Dieter Meier


Name: Meier Vorname: Dieter Geburtstag: 4. März 1945 Geburtsort: Zürich Größe: 179 cm Farbe der Augen: Blau Unveränderliche Kennzeichen: Meiep ist ein bunter Hund. Machte Happenings, dreht Filme, spielt Poker und arbeitet mit Boris Blank in der Schweizer Gruppe YELLO.

ME/Sounds: Ich las einmal ein Interview, in dem du über deine Schreibmaschine sprachst. Darüber, wie sehr du sie haßt und wie schwer es dir fällt, dahinter ruhig sitzen zu bleiben, wenn ’s eine Straße weiter eine nette Bar gibt…

Meier: „Ich habe eine sehr körperliche Beziehung zu meinen beiden Schreibmaschinen; beide sind nicht elektrisch. Ich hasse elektrische Schreibmaschinen, weil die Dinger, auch wenn du nicht schreibst, ständig vor sich hinsummen. Das ist so unglaublich fordernd. Wie: ,Produzier! Los, produzier was!‘ Das macht mich total nervös.

Ich hasse auch den Geruch von Schreibmaschinen. Es ist wie beim Bergsteigen: Du hängst an einem Felsvorsprung – und der Fels stinkt!

Du liebst den Kick, aber du wirst mit deinen Grenzen konfrontiert. Deine Grenzen sind genau da – im Geruch des Steins, der gegen dein Gesicht drückt.

Ein Aufstieg hat natürlich auch einfache Etappen. Aber genauso gibt es Tage, an denen alles, was aus der Schreibmaschine kommt, stinkt.“

ME/Sounds: Viele Schreiber, Texter, Autoren behaupten, daß sie bloß Antennen seien für Informationen, die im Kosmos herumschwirren. Daß es gar nicht sie seien, die schreiben – daß sie bloß Kanäle seien.. .

Meier: „Mir geht es nicht so. Ich sehe mich als weißes Blatt Papier, auf das – und darin besteht vermutlich Individualität – bestimmte Farben auf diesem Planeten in bestimmter Art und Weise reagieren.

Es kann interessant sein, die Reaktionen zu beobachten, wenn dieser schöpferische Mensch, der immer auch eine exhibitionistische Anlage hat, fähig ist, etwas von Herzen, etwas von seiner subjektiven Wahrheit einzubringen. Das ist es, was wir alle erreichen wollen, als Schreiber, Maler, was immer.“

ME/Sounds: Ich möchte dich mal mit einem deiner eher umstrittenen Zitate konfrontieren (nehme mein Notizbuch aus der Tasche)…

Meier: (lacht nervös) ME/Sounds: …hier ist es: „Es gibt kein Land, das ein niedrigeres kulturelles Level hat als Deutschland. Die ungebildetsten Leute sind die Deutschen. Ich bin sicher, das kulturelle Niveau dieser Leute ist gleich Null. “ Möchtest du das vielleicht erläutern?

Meier: „Ja. Ich glaube, die Tragödie Deutschland ist – mit diesen Worten des Zitats habe ich das übrigens nie gesagt, das ist überdrastisch – aber die Tragödie mit Deutschland besteht darin, daß die Deutschen alles, was immer sie anfassen, für ein großes Ziel tun. Der Engländer dagegen ist wesentlich zufriedener mit dem, was er ist selbst wenn er vergammelte Kleidung trägt und in einem Haus wohnt, in dem es keine gerade Wand gibt.

Das war ein Schock und gleichzeitig ein Gefühl von Freiheit, als ich zum ersten Mal nach England kam. Diese Freiheit im Zusammenbruch aller Dinge! Wohingegen dieses deutsche Aufrechterhalten der Fassade soviel Energie kostet, daß du dein Herz, deinen Mut dabei verlierst.

Das große Problem in Deutschland ist der riesige Abstand zwischen der Oberklasse und ihrer Kultur, (der Art, wie sie essen und wie sie leben,) zur Mittel- und unteren Mittelklasse, die meiner Meinung nach zu sehr für das Ziel leben, den Ruf ihres Landes wiederherzustellen.

Ähnlich wie bei den Japanern. Ich habe nie eine traurigere Stadt gesehen als Tokio. Es gibt nur die Große Idee, für die du leidest – und hier und da werfen sie dir ein paar Spielzeuge an den Kopf: Farbfernseher, Kühlschränke, Autos. Aber die wirkliche Lebensqualität, die ich als eine bestimmte persönliche Freiheit definieren würde…in deinem Pub stehen, …die unbedeutende Ruhe…der Typ in der Ecke, der Zeitung liest…

Oder die Familie in Italien! Ein Land, in dem der reichste Mann dasselbe ißt wie der ärmste Arbeiter in seiner Fabrik. Er ißt Spaghetti! Eßkultur ist keine Frage der Klasse, sondern eines Lebensgefühls. In Italien haben einige Leute mehr Geld und andere weniger, aber im Grunde – (da vereinfache ich natürlich ein bißchen)- lebt jeder ganz gut.

Länder wie Japan und Deutschland haben leider keine Individual-Kultur. Und wenn das mit ihrem großen Ziel nicht hinhaut, sind sie sofort bereit, sich in eine neue Dummheit zu stürzen, sich in eine ausnehmend dämliche Richtung zu organisieren. Es ist kein Zufall, daß diese Länder für faschistische, für sehr schlechte Ideen offen sind.

Wenn du in den fernen Osten reist und dir anschaust, was die Japaner da gemacht haben – unglaublich! Du kannst den Leuten die Unzufriedenheit ansehen, auch wenn sie sich mit Mitsubishi und Sony im Erfolg sonnen. Sie leiden unter ihrem Erfolg.

Kultur ist für mich…ein bestimmter Humor, eine bestimmte Freiheit, die Dinge zu betrachten, das Essen, eine Zeitung. Natürlich sind Verallgemeinerungen gefährlich, aber in Deutschland bekomme ich Angst. Das Land ist wie ein großes Konzentrationslager – ums mal ganz überspitzt zu sagen.

Als wir uns zum Interview treffen, ist der Schnupfen des Jahrzehnts gerade in voller Blüte – und der Verstand des Interviewers entsprechend lädiert. Aber Yellos Mann des Worts ist schlagfertig genug und hat ausreichend Anekdoten auf Lager, um Konversation für zwei zu betreiben. „Ich kriege nie Schnupfen“, meint er, sieht fürchterlich gesund und gepflegt aus, während euer Korrespondent aus dem letzten Loch pfeift, niest und schnupft. „Sauna“, rät Meier weise. „Ich gehe mehrmals pro Woche. Sehr gut fürs Immunsystem. Natürlich mache ich es nicht deswegen. Ich mag einfach das Erlebnis der Hitze.“ Bei näherem Studium seiner Ausführungen stellt man unschwer fest, daß Dieter Meier so gut wie alles nur um des Erlebens willen macht – um es dann ins Herz zu schließen oder zum Teufel zu jagen. Und gerade das macht ihn zu einem so angenehmen Zeitgenossen. Steve Lake Das ganze Jahr über strampelst du dich hier ab – um dann für ein paar Wochen zu fliehen. Dann fallen die Deutschen in Spanien und Griechenland ein. Aber da langweilen sie sich prompt, wissen nicht, was sie mit sich anfangen sollen. Also fahren sie zurück ins Lager.

Deutschlands soziologische Indikatoren von Kultur – Fernseher, Zweitwagen, Haus, was immer – sind nichts als oberflächliche Fassade, haben keine Seele.“

ME/Sounds: Was diesen Aspekt angeht, so wirkst du selbst ja auch ein wenig verwirrend: Du siehst aus wie ein erfolgreicher Angestellter in gehobener Position. Trotzdem findet sich in deinen Interviews durchgehend ein antimaterialistischer Ton, der ziemlich utopisch, ja fast schon hippielike ist…

Meier: „Geld ist nur insofern wichtig für mich, als es mir erlaubt, meinen Spielplatz zu behalten. Wenn du Seiltänzer bist, brauchst du ein Seil und ein Gerüst, das dieses Seil hält. Wenn nie jemand dafür bezahlt, dich tanzen zu sehen, dann kannst du auch nicht mehr tanzen.

Aber ich sehe Geld – und das ist natürlich ein Luxus – nie und nimmer als etwas an, mit dem ich mir jetzt ein Auto oder ein Haus kaufen kann. Wenn ich mehr Geld hätte, würde ich mir Bilder von Freunden kaufen, an deren Arbeit ich glaube. Und selbst dann ginge es nicht darum, diese Bilder zu besitzen…

Wenn du Künstler bist, ist Geld deine Brücke zur Welt. Denn du stellst nichts her, was eine lebenswichtige funktionale Bedeutung hat.

Die Haltung, die Künstler in psychiatrischen Anstalten zu ihrer Arbeit haben, ist da ganz anders: Ihre Kunst hat eine ganz andere Intensität und keinerlei Bezug zur Außenwelt.

Der Künstler, der seine Erzeugnisse auch noch verkaufen muß, um zu überleben…naja, du mußt für deine Arbeit vermutlich auch deshalb bezahlt werden, damit du selbst überzeugt bist, kein totaler Spinner zu sein. Verstehst du, was ich meine?“

ME/Sounds: Das Problem bleibt trotzdem, den Grad des Erfolgs am Ausmaß der Verbreitung zu messen. Denn die sogenannte Massen-Kommunikation bedeutet ja oft auch eine Vereinfachung oder Verwässerung. Insofern kann man wohl nicht folgern, daß größere Verkäufe größere Kunst bedeuten – oder daß das erfolgreichere „Kunst‘-Stück von vornherein das wertvollere ist.

Meier: „Nein, auf keinen Fall! Es gibt erfolgreiche Sachen, die ausgesprochen dämlich – und erfolglose Sachen, die sehr gelungen sind. Wenn dein Produkt voll Scheiße ist – und du trotzdem Erfolg hast, dann hat das nur mit der Mode zu tun. Damit, daß dein Produkt zufällig in Mode ist.

Als Geschäftsmann würde ich allerdings nie darauf spekulieren, mit irgendeinem Gegenstand den modischen Zeitgeist zu treffen. Ich würde nur auf mein Herz und seine Wahrheit spekulieren. Als Geschäftsmann kannst du Glück haben oder nicht; aber dann kannst du auch gleich Roulette spielen. Und ich interessiere mich nicht für Roulette – das langweilt mich.“

ME/Sounds: Ist es wahr, daß du mal grüne Haare hattest?

Meier: (grinst) „Ja, ja. Ungefähr mit 23 und nicht ganz freiwillig. Ich war in München, bei Freunden, nahm ein Bad – und die hatten ein Shampoo, das angeblich die Haare ein bißchen aufhelle; ansonsten ein ganz normales Shampoo. Als meine Freunde nach Hause kamen, lachten mich alle aus.

Also ging ich in Zürich zum Frisör und sagte ,Schaun Sie sich das an, machen Sie mir diese schreckliche blonde Farbe da raus‘ – und versuchte ihm zu erklären, welche Farbe mein Haar früher gehabt habe. Gut, er mixte irgendwas zusammen und das Resultat war grün, britisches Rennplatz-Grün, (lacht) Ich kann mich noch an einen Erfolg erinnern, den ich eindeutig meinen grünen Haaren verdankt habe. Das war auf einer Party für einen großen Film in Cannes damals, als sie zum ersten Mal die ‚Quinzaine des Realisateurs‘ hatten. Kurz nach ’68 war das echter Underground. Ich hatte da einen Film, aber wollte natürlich auch zu dem Empfang für den großen Film. Sie hatten wunderbare Weine und Champagner, Kaviar – große Sache, eine Hollywood-Party.

„Natürlich hatte ich keine Einladung, nicht mal passende Kleidung. Dafür aber grüne Haare. Ich wohnte in einem kleinen Hotel und lieh mir vom Kellner ein Jackett.

Ich bin dann einfach durch die Kontrolle marschiert. Dreimal wurden die Karten gescheckt – und jedesmal bin ich mit meinen grünen Haaren einfach durchgerauscht. Das war mein Ticket.“

ME/Sounds: Heutzutage sind grüne Haare oder andere „eyecatcher“ ja fast schon die Norm – der exotische Look als erster Schritt zum Popruhm. Interessiert dich das Image der Marilyn/Boy George-Schule?

Meier: „Ich interessiere mich generell für Images. Boy George hat Boy George erfunden. Was das angeht, befindet er sich in der Tradition von David Bowie, der auch nie so getan hat, als sei er der Junge von nebenan, der einfach auf die Bühne geht und in die Gitarre greift. Leute, die so etwas vorgeben, sind sowieso nie natürlich, aber sie geben immer vor, es zu sein. Ein Typ wie Bowie hingegen erfand die Kreatur, die er auf die Bühne stellte.

In diesem Sinne erwiesen sich die grünen Haare für mich als sehr lehrreich. Denn du lernst zwangsläufig, mit den Aggressionen umzugehen, die unweigerlich auf dich zukommen, wenn du ausgefallen aussiehst.

ME/Sounds: Ich will hier keine Instant-Psychoanalyse betreiben, aber das klingt mir sehr nach dem Weg des Introvertierten – sich selbst in eine aggressive Situation zu versetzen, auf die man dann reagieren muß.

Meier: „Ja, ja, ja, ja, ja … (Pause) Ein Aspekt, der mich an Boy George interessiert, ist die Tatsache, daß sein Image bei Müttern und Großmüttern so gut ankommt. Ich schätze ihn sehr – ich sah ein Interview im amerikanischen Fernsehen – und er war bezaubernd, charmant, menschlich. Ich kenne ihn nicht, aber ich liebe ihn. Willst du noch ein Bier?“ (macht der Kellnerin ein Zeichen) Kellnerin: Tut mir leid, aber wir bedienen in der Lobby nicht mehr. It’s closed. Sie können an die Bar gehen …

Meier: (schon fast unerträglich charmant) „Aber… bloß ein Bier? (lächelt) Zwei kleine Biere?“

Kellnerin (wird rot): Na gut…

ME/Sounds: Wir sollten uns über das neue Yello-Album unterhalten. Dieselbe Prozedur wie üblich ?

Meier: „Nein, es war anders. Deshalb hat es auch so lange, lange gedauert. Durch unsere größere technische Erfahrung wurden wir zusehends glatter und perfektionistischer. Wir suchten die Perfektion bis zum Exzess. Wir sind in ein digitales Studio gegangen, um die perfektest möglichen Abmischungen zu machen, auf einer Digital-Maschine, mit dem SSL-Pult. Dabei mußten wir aber – was ein schmerzlicher Prozeß für uns war – feststellen und lernen, daß Perfektion oft bloß ein Weg ist, sich vor der Erkenntnis zu drücken, daß man nichts zu sagen hat.“

ME/Sounds: Sag das nochmal.

Meier: “ Perfektion ist ein Weg, der inhaltlichen Leere zu entgehen. Wenn du deinen Stil gefunden hast und diesen Stil nur noch wiederholst, bloß perfekter, dann bist du schon tot.

Das interessiert mich nicht. Das ist so, als würde man zum zehnten Mal auf denselben Berg klettern – und immer noch Abenteuer und Begeisterung vortäuschen, auch wenn in Wirklichkeit alles aufgesetzt ist.

Es war ein schwieriger Prozeß, wieder… da gibt’s eine Zeile in der Bibel … wie ein Kind zu werden. Nicht wie ein Kind zu bleiben, das ist uninteressant! Das hat was mit Zen-Buddhismus zu tun, mit dem Vorsatz der Vorsatzlosigkeit. Und das ist natürlich ein Weg, der niemals endet.

Wie ein Kind zu werden, ist praktisch unmöglich aber man kann zumindest versuchen, alle Möglichkeiten auszuschließen, die einen in die falsche Richtung bringen.

Wir hatten das Problem noch nie so deutlich vor Augen wie bei der Arbeit an dieser Platte. Der Exzess der Perfektion kehrte sich gegen uns. Inzwischen aber befinden wir uns auf einer wirklich angenehmen Stufe dieses Prozesses. Wir tun nicht so, als wären wir die totalen Idioten – was die Technik betrifft; aber wenn wir die Technologie benutzen … dann spielen wir wirklich Fußball damit. Bäsch! Bäsch! Bäsch! Verstehst du? Der Technologie in den Arsch treten! Sie durch die Gegend kicken! Spaß damit haben!

Das ist schwer. Wenn du da eine Menge Zeit und Energie, und ja, auch Geld – wir sind beinahe bankrott gegangen – hineinsteckst, und dann … ich mußte jedenfalls über das Resultat lachen und sagte mir plötzlich:, Also komm, dafür bist du doch nicht in dem Geschäft‘. Ich wäre lieber Staubsaugervertreter als mein eigener Epigone, der bloß noch die Fassade poliert.“

ME/Sounds: Alles in allem: Hat es Spaß gemacht oder nur Schweiß gekostet?

Meier: „Beides. Aber das ist bei jeder Produktion der Fall. Wie alles im Leben. Spaß ist nur interessant als Widerpart zum Schweiß – und umgekehrt. Sonst bist du ein fröhlicher Irrer.“

ME/Sounds: Zum Beginn der LP hat man das Gefühl, daß ihr euch diesmal auf etwas konventionellerem Rock-Territorium bewegt, mit Lead-Gitarre …

Meier: „Nun, das gehört auch zu unserer Freiheit. Das gehört zum Spiel, nicht die ganze Zeit zu versuchen, unbedingt .anders‘ zu klingen. Es wäre engstirnig und gar nicht gut für uns, immer krampfhaft Avantgarde sein zu wollen.“

ME/Sounds: Also keine satirische Absicht?

Meier: „Nein, einfach aus Spaß. Die Stücke wachsen halt einfach. Wenn jemand anfängt, ein Bild zu malen, hat er normalerweise nur eine vage Idee; den Pinselstrich bestimmt dann der Prozeß selbst. Und manchmal ist das Resultat eben ein traditionelles Gemälde.

Das ist normalerweise (lächelt) der Moment, wenn Boris panisch wird und meint:

,Ohh… das ist nicht mehr Yello. Wir verlieren unsere Identität.‘ Ich sage dann: .Nein, wir haben ’s gern gemacht, es hat uns Spaß gemacht und als Resultat haben wir nun ein kleines, traditionelles Bild. Was soll’s?‘ Wir sollten nicht versuchen, das zu verbergen. Das ist also überhaupt nicht satirisch gemeint. Sicher, manchmal benutzen wir Ironie, aber wir wollen nicht zynisch sein und Dinge tun, nur um zu zeigen, wie schlecht sie sind. Ich halte das für eine miese Einstellung.“

ME/Sounds: Wie sieht der Alltag aus. wenn man Mitglied von Yello ist? Alben kommen nur unregelmäßig heraus, PR-Aktivitäten sind sporadisch …

Meier: (schaut verständnislos) ME/Sounds: Was ich wissen will: Stehst du jeden Morgen auf und fühlst dich wie ein Popstar?

Meier: „Nein, nein, nein, nein. Ich fühle mich wie ein Kind, das alle möglichen verschiedenen Spielsachen hat und im Laufe des Tages die unterschiedlichsten Dinge erledigen muß. Yello ist ein wichtiger Teil meiner Art mich auszudrücken, aber ich denke nie (Macho-Stimme): .Ich bin der Sänger von Yello‘ oder (schmunzelt): Jetzt muß ich aber an meinen Texten arbeiten … Mir macht auch die ganze Business-Seite viel Spaß. Wie du weißt, habe ich mit allen Faktoren zu tun. Wenn wir Videos drehen, mache ich beispielsweise auch selbst die Kamera.

Eine andere Analogie: Ich fühle mich ein bißchen wie ein Golfer. Da ist dieser kleine Ball. Ich schlage ihn weg. Aber der Ball hat seine Eigendynamik, ich verfolge, wo er landet und schlage ihn wieder weg.

Eine Menge Musiker, die weltfremden Künstler, hassen Interviews, hassen das Geld, hassen ihre Manager. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, Interviews zu hassen. Ich lasse mir gerne Fragen stellen; das ist so, als würde ich mir selber Fragen stellen.“

ME/Sounds: Haben dir deine Erfahrungen als Spieler im Geschäftsleben geholfen?

Meier: „Absolut. Und nicht nur im Geschäftsleben. Wenn du Poker spielst, mußt du deine Persönlichkeit auf brutale Art und Weise entblößen. Und du siehst, wie dein Gegenüber sich preisgibt. Wie beim Boxen. Du schlägst dich nicht physisch, aber du schlägst dich geistig so hart, daß du unheimlich auf deine Deckung achtgeben mußt. Du mußt herausfinden, hinter welcher Fassade sich dein Gegenüber versteckt; und du mußt herausfinden, wer du bist. Du mußt zu dir selbst finden, sonst hauen sie dich in die Pfanne.

Ich habe durchs Pokern viel übers Leben, aber auch über Kunst und Geschäft gelernt. Andere Leute reisen, wenn sie etwas über die Welt erfahren wollen, wieder andere schauen in die Sterne … Ich hab‘ Poker gespielt. Nicht weil ich bewußt plante, etwas zu lernen, sondern weil ich süchtig war. Ich war ein Junkie, ein Spiel-Junkie.“

ME/Sounds: Aber hat das auch praktischen Nutzen? Anders gesagt: Blickst du jetzt durch, welche Karten der Vertreter deiner Plattenfirma in der Hand hält?

Meier: „Nein, letztlich wohl nicht. Die Deals, die ich gemacht habe, waren immer sehr fair, sehr unkompliziert: vier Zeilen auf einem Blatt Papier – und das war’s. Ich habe nie versucht, Yello oder mich für viel Geld zu verkaufen.

Ulkig genug, daß alle Deals, die wir mit alternativen, kleinen Labels hatten, sehr mies für uns waren. Die haben uns das Fell über die Ohren gezogen; das waren ganz krumme Verträge. Ich habe bei Leuten Verträge unterschrieben, die in Shorts ankamen, mit Rucksäcken auf dem Rücken und mich dabei mit Haut und Haaren verkauft.

Die Firmen, mit denen ich seitdem Verträge mache – Warner, Elektra, Phonogram – hätten mir solche Deals gar nicht erst angeboten. Die wollen Geschäfte machen, die wollen dich nicht übers Ohr hauen. Sie sagen: ,Gut, wir geben dir diesen und jenen Vorschuß und wir geben dir 14 Prozent‘. Und du sitzt da und sagst: ,Gut, 14 Prozent … hmm . .. ja, okay. ‚ Ich will mit den Leuten meinen Spaß haben. Wenn ein Platten-Boß gut ist, ist er für mich als Geschäftsmann ein Künstler. Kein Poker. Das geht nicht (flüstert): , Wie weit kann ich wohl gehen ??? Nimmt er mich auch noch, wenn ich 18 verlange?‘ Das ist kein Pokern; nur Schmalspur-Manager denken so.“

ME/Sounds: Klingt wie die Malcolm McLaren-Story: Einfach in die Plattenfirma marschieren und mit einem Sack Geld wieder herauskommen.

Meier: „Ja, das ist ein sehr offensichtlicher Teil seines Spiels. Das ist seine Nummer, und er spielt sie gut. Aber er ist auch kein Pokerspieler, das ist noch etwas anderes.“

ME/Sounds: Etwas Kruderes. Hast du noch irgendwelche Ambitionen?

Meier: „Nur die eine: so zu werden wie ein Kind.“

ME/Sounds: Darauf kommst du immer wieder. Willst du rückwärts gehen?

Meier: „Nicht rückwärts, das wäre kindisch. Es bedeutet vielmehr, daß man sich über festgefahrene Assoziations-Ketten und zementierte Bewußtseins-Zustände hinwegsetzt und den verlorenen Garten Eden für sich wiederfindet. Der Gedanke steht hinter allem, was ich tue. Er ist der einzige Grund, überhaupt etwas zu tun.

Ich betrachte das Produkt nicht im westlichen Sinne als .endgültig‘, sondern mehr als Fußabdruck. Das Wichtigste ist die Art, wie ich gehe; die Fußabdrücke sind dabei nur der Ausdruck meiner Art zu gehen. Aber ich gehe nicht, um bewußt Fußabdrücke zu hinterlassen.“