Emily Haines Über Autarkie


Nach zehn Jahren Bandgeschichte haben Metric sich komplett unabhängig gemacht. Eigenes Studio, eigenes Label - keine Angst vor der Wirtschaftskrise? "Wir leben in sehr interessanten Zeiten", findet Sängerin Emily Haines.

Mit eurem neuen Album FANTASIES hat sich nicht nur euer Sound stark verändert in Richtung Pop -, sondern auch euer Arbeitsumfeld.

Es gibt nur eine einzige große Entscheidung in unserer Band: Wir wollen uns immer wieder neues Terrain erschließen, Neues ausprobieren. Bei der letzten Platte wollten wir einen rauen, nackten Rocksound. Aufgenommen haben wir das damals in einem einzigen Raum, mehr oder weniger an einem Laptop. Das neue Album sollte etwas Verträumteres, Unwirkliches haben. Wir wollten mal sehen, ob wir so einen Sound hinbekommen, und dass wir uns ein eigenes Studio gebaut haben, hat uns neue Möglichkeiten eröffnet.

Ihr habt ja nicht nur ein eigenes Studio gebaut, ihr habt auch eure eigene Plattenfirma gegründet, Metric Music International – und das in diesen Krisenzeiten. Haben euch eure Freunde nicht gefragt: Seid ihr noch bei Trost?

So war’s. Aber ich finde ja, wir leben in sehr interessanten Zeiten. Das kennt ja jeder: Manchmal steht man an einer Kreuzung. Die eine Straße gibt dir ein Gefühl von Sicherheit, die kennst du nämlich schon, und du kannst einen halben Kilometer weit gucken. Wir wollten aber freier und unabhängiger werden und hatten das Gefühl, wir könnten das Risiko eingehen, die andere Straße zu nehmen. Wir haben das Studio gebaut, das Label an den Start gebracht und Songs geschrieben – also alle drei Ebenen des Musikschaffens zusammengebracht. Anstatt uns mit Leuten, zu denen wir keinen Bezug haben, in irgendeinem Büro über unsere Musik unterhalten zu müssen, haben wir auch diese Seite zu einem Teil des kreativen Prozesses gemacht. Und bis jetzt haben wir noch keine Nachteile gespürt.

Das klingt nach viel Business-Kram. Macht das Spaß?

Du musst dich einfach entscheiden, wie du arbeiten willst. Denn irgendwann kommt die Realität auf dich zu – das merken wir ja alle gerade. Du kannst dich nicht nicht mit Problemen befassen, denn die verschwinden nicht von selbst. Früher war es mit Musikern so: Klar, ich unterschreib‘ euch den 150-Seiten-Vertrag, und ich werde nie wissen, was wirklich läuft, ich werde mich einfach nicht damit befassen – und irgendwann ende ich drogensüchtig oder sonst wie ohne Kontrolle über mein Leben. Und zehn Jahre später wird mir vielleicht klar, was alles schiefgelaufen ist.

Du sagst: Früher war es so. Ändert sich da gerade etwas?

Ich glaube, dass sich die Künstler meiner Generation sagen: So schwer ist es gar nicht, ein bisschen Ahnung von den Dingen zu bekommen. Das ist ja alles keine Hexerei. Jetzt, wo die Platte draußen ist, läuft mein Leben eigentlich genauso, wie wenn ich bei einem stinknormalen Label wäre. Außer dass ich nicht 23 Cent von jeder verkauften Platte verdiene, sondern sieben Dollar. Man denkt immer, als Künstler ist man in einer anderen Sphäre, dazu passt das Geschäftliche nicht. Aber was heißt schon „ein Künstler ist erfolgreich“? Nicht zu wissen, was läuft, und Leuten aus dem Business ausgeliefert zu sein, ist auf jeden Fall kein Erfolg.

Es ist dir ernst mit dem DIY-Gedanken, was?

Oh ja. Es war interessant zu merken, dass viel von dem Frust und der Wut in unserer Musik daher kam, dass wir kreativ so eingeschränkt waren. Dadurch, dass wir uns selbstständig gemacht haben, sind wir diesem Kampf entkommen, der unser Leben bestimmt hat. Wir müssen uns nicht mehr von irgendeinem Konzern bewerten lassen. Wenn wir jetzt mit einem Label arbeiten, ist es eine Partnerschaft zwischen „Metric Music International“ und denen. Nicht hier die Band, da die Firma und ihr Raster.

Kannst du dir vorstellen, Bands zu signen und unter deine Fittiche zu nehmen?

Absolut! Im Moment ist das alles noch so neu, wir sind noch nicht so weit. Aber wir reden darüber. Die Idee ist, so eine Art Exempel zu statuieren. Und der Gedanke, dass wir anderen Künstlern eine Möglichkeit bieten könnten, sich treu zu bleiben, macht mich froh.

Kim Gordon von Sonic Youth ist ein Vorbild von dir. Inzwischen hast du selbst eine Art Indie-Ikonenstatus, und gerade eure neue Unabhängigkeit könnte auch vielen jungen Frauen ein Vorbild sein. Bedeutet dir das was? Sehr viel sogar. Mein Gefühl als Teenager war: Es gibt so wenige Frauen, an denen man sich orientieren kann. Ich habe viele Leute bewundert, Neil Young zum Beispiel. Aber das ganze Leben, wie es Kim und Thurston führen mit Sonic Youth … Das als junger Mensch zu sehen, öffnet dir die Augen dafür, was alles möglich ist. Da wird dir klar, dass Erfolg etwas ganz anderes sein kann als das, was wir normalerweise dafür halten. Kim hat es vorgemacht: Du kannst berühmt sein, aber das Leben führen, das du willst. Ich habe sie einmal getroffen, bei einem Festival. Ich glaube, ihr ist sehr bewusst, was sie anderen Frauen bedeutet. Wir brauchen mehr Kim Gordons auf der Welt! Denn das Tolle an ihr ist: Sie bringt dich nicht dazu, sie imitieren zu wollen. Sie bringt dich dazu, du selbst sein zu wollen, einfach dadurch, wie sie ist.

In eurem Song „Gimme Sympathy“ gibt es die Zeile „Who would you be, the Beatles or The Rolling Stones?“ Wäre das denn vorstellbar für eine unabhängige Band wie Metric, so eine richtig dicke Band zu werden?

Wir sind entweder bescheuert oder mutig genug, zu träumen. Es gehört in meiner Generation ja fast zum guten Ton, zu sagen: Es ist ja alles schon gemacht worden, die tollen Zeiten sind vorbei, mit Kurt Cobain ist der letzte Rockstar gestorben, und es wird keine Led Zeppelin und keine Beatles mehr geben. Sollen wir deswegen wirklich alle unsere Ziele so niedrig stecken? Und diese Zeile will eben genau das sagen: Warum zum Teufel soll so etwas nicht mehr möglich sein?

Dann nervt dich dein eigener maßvoller Celebrity-Status wohl auch nicht besonders?

Die Anerkennung, die ich mir mit meiner Musik verdient habe, gefällt mir. Was mich echt berührt, ist, wenn junge Mädchen auf mich zukommen und sagen, unser Konzert war ihr allererstes oder sie haben jetzt auch eine Band gegründet. Ich bin stolz darauf, dass ich an der Popkultur teilnehmen und meinen Teil dazu beitragen kann. Wir haben auf einem Festival in Toronto gespielt, zu dem 20.000 Leute gekommen sind. Alle anderen Bands dort waren dick produzierte Popradio-Bands. Und eben wir. Wir haben uns unseren Platz da verdient. Das war so ein Moment, wo ich gedacht habe: Schön, dass wir auch da sind. Es bringt doch nichts, wenn du deinen tollen, ehrenwerten Stiefel durchziehst, aber keiner kriegt’s mit. Mir gefällt es, wenn die Leute uns wahrnehmen und merken, dass wir’s draufhaben. Bei unserer Aftershowparty in New York standen auf einmal Woody Harrelson und Owen Wilson da. Warum nicht? Das sind coole Typen, uns macht das Spaß! www.mvspace.com/metric