Energie für alle


Die Zukunft unabhängiger deutscher Label war im letzten Heft von Uwe Tessnow grau in grau gezeichnet worden. Daß aber sehr wohl Leben in der "alternativen" Szene" steckt, daß neue, entwicklungsfähige Modelle existieren und deren lernbereite Vertreter alles andere als resigniert haben, wird im Folgenden deutlich. Ein engagierter Protest von Hollow Skai.

Wieder einmal haben wir eine Chance vertan unverbesserlich, wie wir sind. Anstatt die Hoffnungen, die in uns gesetzt wurden, zu erfüllen, haben wir, die unabhängigen Labels in der BRD, es vorgezogen, uns zu zerstreiten.

Doch damit nicht genug:

„Nachdem in den letzten zwei Jahren fast alles nur zum Positiven für die kleinen Labels gelaufen ist“, machen wir uns jetzt auch noch des Ausverkaufs schuldig.

Ein seltsamer Schlagabtausch ist das, wo der Ringrichter dem unterlegenen Kontrahenten einen Satz Ohrfeigen verpaßt – als ob der nicht schon genug Prügel eingesteckt hätte …

Lieber Uwe Tessnow, wenn Du schon nicht den Lehrmeister spielen willst, dann werde ich jetzt mal in die Rolle Deines Oberlehrers schlüpfen und Dir ein bißchen Nachhilfeunterricht in ‚Geschichte der unabhängigen Labels in der BRD‘ erteilen.

Die ersten von der Plattenindustrie unabhängigen New Wave-Labels wurden Anfang 1980 gegründet. Ohne Kapital, aber mit umso mehr Engagement und Enthusiasmus begannen wir damals, Platten zu produzieren. Bestenfalls belächelt, in der Regel aber arrogant abgefertigt von der gesamten Branche. Wir waren halt durch die Bank blutige Dilettanten und wußten zu der Zeit gerade mal, daß eine Schallplatte rund ist.

1000 verkaufte Exemplare waren damals eher astronomische Größen für uns als realistische Träume. Aber wir lernten dazu. Und lernten Leute kennen, die für uns die Platten vertreiben wollten. Zum einen waren das pfiffige Großhändler, die sich von‘ unserer Musik bereits sehr früh eine zusätzliche schnelle Mark versprachen, zum anderen gab es da aber auch sogenannte Kleinlabel-Betrüger, die uns Platten abnahmen, aber nie bezahlten. Auch wir kamen nicht darum herum, Lehrgeld zu bezahlen.

Gottseidank traten aber auch Leute an uns heran, die schon seit Jahren für andere unabhängige Labels wie z.B. SCHNEEBALL/ TRKONT- und DAVID-VOLKS-MUND-PRODUKTION die Platten vertrieben. Denen wir also vertrauen konnten und mit denen uns inzwischen mehr verbindet als ein pures geschäftliches Interesse. Diese Leute hatten angefangen als SCHNEEBALL/TRIKONT-Städtevertreter und ihr Vertriebsgebiet mit der Zeit immer mehr ausgeweitet. So entwickelten sich in den letzten zwei Jahren (mehr oder minder) kontinuierlich und gut arbeitende Regionalvertriebe. Und: Sie bildeten sich auf „natürliche Weise“ heran und wurden nicht aus dem Boden gestampft Wer hätte das auch schon leisten können? Du vielleicht, lieber Uwe Tessnow? Wohl kaum, sonst würdest Du ja „Deine“ Platten nicht weiterhin von der Industrie verscherbeln lassen.

Doch zurück zu unserem Vertrieb. Daß dies nicht der beste ist und er (noch) nicht mit der Industrie konkurrieren kann, nun, das wissen wir. Gut Ding will eben Weile haben – die Hände haben wir deshalb noch lange nicht in den Schoß gelegt:

Aus Städtevertretern wurden Regionalvertriebe, die sich, einem Netzwerk vergleichbar, über die gesamte Bundesrepublik ausgebreitet haben. Und das alles innerhalb von nur zwei Jahren. Und von uns wird nun verlangt, das zu schaffen, wofür die Plattenindustrie 20 – 100 Jahre gebraucht hat? Und anders soll es selbstverständlich auch noch sein. Das ist zwar leicht gesagt, aber nicht so schnell in die Praxis umgesetzt.

(Und trotzdem: Es tut sich was. So schlössen sich die diversen Regionalvertriebe Mitte März ’82 , zum EFA (= Energie für alle) -/ Vertriebsverbund zusammen. / Das bedeutet u.a., daß all diese Vertriebe ein gemeinsames Kernprogramm den Läden anbieten (dieses besteht zZ. aus sämtlichen Produktionen der Labels DAVID VOLKSMUND PRODUKTION, NO FUN RECORDS, FROSTSCHUTZ RECORDS, TRJKONT und SCHNEEBALL) und darüberhinaus ein Service-Programm führen (bestehend aus dem ROUGH-TRADE-Angebot sowie diversen Eigenproduktionen z.T. lediglich lokal relevanter Platten). Über das Angebot der Unabhängigen informiert das Magazin VIELKLANG, das in den einschlägigen Plattenläden kostenlos zu haben ist. Um EFA auf die Beine zu helfen, also zu gewährleisten, daß wirklich alle Platten in jedem Laden erhältlich sind, bedarf es jedoch bestimmter Voraussetzungen und Grundlagen:

1. Kapital, das wir nicht haben, u.a. deshalb nicht, weil wir den Gruppen mehr Tantiemen zahlen als die Industrie, uns also beschränken müssen.

2. Zeit die uns davonläuft, da mittlerweile die Plattenfirmen die neue Welle entdeckt haben und auf dieser rumtrampeln, bis von ihr nichts mehr übriggeblieben ist.

3. Profis und Fachleute (zu denen wir uns selbst heranbilden), die von der Arbeit auch existieren können müssen, damit nicht alles wieder zum Hobby nach Feierabend verkommt.

4. Musiker, die nicht von Torschlußpanik befallen werden und schon jetzt an ihre Rente denken, sondern stattdessen auch morgen noch von ihrer Musik überzeugt sind, die sie gestern gemacht haben und es nicht als chic empfinden, zur Industrie abzuwandern, nachdem wir sie aufgebaut haben.

Last not least bedarf es natürlich auch einer Unterstützung durch Presse, Funk und Fernsehen, durch Konzertveranstalter, Plattenkäufer und Fans. Dabei wollen wir jedoch nicht vergessen, was im ROUGH-TRADE-Büro an der Wand geschrieben stand: MOST OF THE TIME WE ENJOY OURSELVES.

Hollow Skai (NO FUN RECORDS) P.S. Gegen eine Aufnahme von Roger Chapman oder Mitch Ryder in das Kernprogramm hätte EFA wohl nichts einzuwenden.