Franz Ferdinand: Auf Achse Again


Wieder haben sich Franz Ferdinand zu einer gigantischer Tour verpflichtet, obwohl sie der Streß on the road schon einmal fast zur Trennung gebracht hätte. Auch dieses Mal sieht man ihnen die Strapazen an. "Es gibt immer Ärger", gestehen sie Christoph lindemann

Fünf Stunden vor Beginn des Franz-Ferdinand-Konzerts im Brighton Center spielen sich in der Halle kuriose Szenen ab: Nick McCarthy und Bob Hardy stehen, beide schweigend und mit den Händen in den Hosentaschen, vor der Bühne, auf der sich ein paar 14- und 15-jährige an ihren Instrumenten zu schaffen machen. Sie drehen an den Knöpfen von Nicks Verstärker, verstellen Alex‘ Mikrophonständerund schrauben an den Becken von Pauls Schlagzeug herum. Als alles paßt, beginnen sie mit einem nervösen „One-two-three-four“ den ersten Song, eine weitgehend originalgetreue Version von „I Bet You Look Good On The Dancefloor“ von den Arctic Monkeys. Die Teenager rocken, als hinge ihr Leben von der Vorstellung ab, doch ist das Saallicht an und die Halle bis auf ein paar Roadies und die beiden prominenten Zuschauer leer.

„Das ist eine Band hier aus Brighton“, murmelt Nick mit leicht betretenem Gesicht zwischen zwei Songs. „Einer von ihnen hat vor drei Wochen bei einem Autounfall beide Eltern verloren oder so. Deshalb dürfen sie heute hier spielen. Schlimme Geschichte. „Bob applaudiert höflich und klettert auf ein fahrbares Metallgerüst, mit dem die Crew die schweren Gitter für den Bühnengraben in die Halle transportiert hat. Als die junge Band – sie heißt The Deluge – wenig später ihre dritte Eigenkomposition anstimmt, schiebt Nick plötzlich mit ein paar schnellen Schritten das Gerüst an und springt selbst mit auf. Während die beiden grinsend die Halle auf ihrem sperrigen Gefährt durchqueren, das mit seinen vier individuell beweglichen Rollen unberechenbare Haken schlägt und mehrmals umzukippen droht, schlurft Alex Kapranos herein und betrachtet eine Weile schweigend die Szenerie. Nachdem sich die Band bedankt und verabschiedet hat, läßt er sich in einem Seitenflügel des Saals in einen Stuhl fallen, obwohl jeden Augenblick der Soundcheck passieren soll. Er ist blaß und wirkt etwas bedrückt. „Mir geht es gut, ich bin nur mit dem Kopf noch ganz woanders“,sagt e und reibt sich mit beiden Händen das Gesicht. „Ich nehme zur Zeit Vocals für einen Song von The Fall auf und wenn man so konzentriert ist und dann plötzlich rausgerissen wird, kreisen die Gedanken noch eine ganze Weile um die Arbeit…“

Von dem Enthusiasmus und der Lebensfreude, die die Vier ausgestrahlt haben, während sie gemeinsam in einem alten Haus in Schottland YOU COULD HAVE IT SO MUCH BETTER aufgenommen haben, scheint nach ihrer USA-Tournee und den ersten Europa-Konzerten wenig übriggeblieben zu sein. Erinnerungen an den Vorfall im November vor einem Jahr werden wach, als der völlig überarbeiteten Band in Paris die Sicherungen durchgebrannt sind: Vor einem Publikum von 400 Leuten, die vor der Garderobe im Zenith auf die Gold-Verleihung warteten, entbrannte ein lautstarker Streit zwischen Alex und Nick, derwie man inzwischen weiß – irgendetwas mit einem gestreiften Pullover von ihrem Schlagzeuger Paul zu tun hatte. Die Auseinandersetzung endete mit einer Prügelei Nick gestand dieses Jahr, daß er damals ernsthaft erwogen hatte, aufzuhören: „Die nächsten Tage hab ich mir überlegt, ob es das wert ist, wenn wir uns so dermaßen auf die Nerven gehen können.“

Seit dem Zwischenfall ist die Arbeit- besonders nachdem ihr zweites Album auch in den USA die Top-10 geknackt hat – sicher nicht weniger geworden. Um den Streß in Grenzen zu halten, wurden am Tourplan zwei Veränderungen vorgenommen. Erstens: Die Band läßt an Tagen mit Konzert inzwischen keine Termine mehr vor 12 Uhr Mittags zu. Zweitens: Auf der Catering-Liste steht neuerdings eine Flasche Whiskey. „Wir sind gerne auf Tour“, sagt Alex etwas halbherzig. „Man findet Wege, wie man miteinander auskommen kann, wenn man so viel Zeit zusammen verbringt. Zum Beispiel lernt man, wie man sich Raum läßt, um auf Tournee zu überleben.“ Als er dann darüber zu sprechen beginnt, daß er auf den langen Reisen Freunde und Familie vermißt, bittet ihn die Tour-Managerin zum Soundcheck. Schade. Es wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, nach seiner noch relativ jungen Fernbeziehung mit Eleanor Friedberger von den Fiery Furnaces zu fragen.

Soundchecks sind für Franz Ferdinand eine willkommene Gelegenheit, an neuen Songs zu arbeiten. Bis zu 90 Minuten lassen sie sich gewöhnlich bei diesen Zusammenkünften Zeit, doch brechen sie dieses Mal schon nach einer guten halben Stunde ab. Befangenheit ist zu spüren, da die junge Band aus Brighton mit zahlreichen Freunden zurückgekehrt ist und minutenlang vor der Bühne für Fotos posiert.

Wenig spater finden wir Nick McCarthy im Catering-Bereich, in dem ein halbes Dutzend Köche ein aufwendiges Menü zubereiten. Gedankenverloren sitzt der Gitarrist an einem der leeren Tische und läßt seine Finger über die rot-gelb-orange Plastikdecke streichen, die mit Zeichnungen von Elefanten und indischen Symbolen bedruckt ist. „Die gleiche hatten wir in der Küche in dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin – das macht mich fertig. Ich hab sie nie gemocht „, sagt er und schüttelt den Kopf, wie um die Erinnerungen aus Rosenheim abzuschütteln. Von seinen Bandkollegen ist niemand zu sehen, da sich jeder vor der Show noch etwas Privatsphäre gönnen will.

„Man muß schauen, daß man sich ein bißchen aus dem Weggeht“, erklärt Nick. „Wir machen jetzt auch nicht mehr alle Interviews zusammen. Man muß dafür sorgen, daß man auch ein bißchen Zeit für sich alleine hat.“

Da die Interessen verschieden sind, geht jeder einer anderen Beschäftigung nach. „Alex schreibt seine Kolumne“, berichtet Nick. „Er muß jede Woche eine Restaurant-Kritik für die Zeitung The Guardian schreiben. Dienstag in der Früh muß er abgeben, weshalb wir Montag abends immer Essen gehen müssen. Dann ist er die ganze Nacht auf und schreibt. Das ist wie Hausaufgaben. Bob liest unglaublich viel. Und Paul macht entweder was für sein Label NEW!, oder er geht Platten shoppen. Jetzt sitzt er wahrscheinlich gerade am Laptop und holt sich neue Musikaus dem Netz.“Hat Nick ein paar ruhige Minuten, arbeitet er meistens für ein „Stereo-Total-artiges Nebenprojekt“ an Musik, die für Franz Ferdinand ungeeignet wäre. Alle in der Band achten darauf, „daß man nicht total verrückt wird“, wie Nick es ausdrückt, und doch treten weiterhin Spannungen auf. „Es gibt immer Ärger, das wird nie aufhören“, sagt Nick. „So sind wir halt. Aber das ist auch okay so.Das macht es mehr… exciting.“

Die Show am Abend ist ausverkauft und die Gästeliste lang, da der einst so glamouröse Badeort an der englischen Südküste bequem von London zu erreichen ist. In einem Kuvert, das am VI P- Eingang verwahrt wird, stecken zwei Tickets für James Blunt, der drei Monate später selbst im Brighton Center spielen wird. Franz Ferdinand spielen ein souveränes, mitreißendes Konzert. Daß die Bühne fast den ganzen Abend in ein gleißend weißes Licht getaucht ist, das Pauls schwarze Haare bläulich glänzen und die blauen Hemden von Nick und Alex seltsam farblos erscheinen läßt, scheint der Band etwas Magisches zu verleihen. Mit Ausnahme des etwas unausgegorenen „What You Meant“ ist jeder Song grandios und spätestens ab „Matinee“, dem ersten Titel aus dem Debüt, ist auch die Stimmung fantastisch. Es folgen Highlights wie „Walk Away“, bei dem Paul Thomson mit verbissenem Gesicht eine Gitarre bearbeitet, während das neue Teilzeit-Mitglied Andy Knowles am Schlagzeug sitzt, „Eleanor Put Your Boots On“, das Alex „someone far away “ widmet, „Bob Hardys Lieblingslied“ „Take Me Out“ und eine endlose Version von „40 Ft“.

Daß bei der Zugabe die Stimmung auf der Bühne fast so euphorisch ist, wie die im Publikum, mag an der zur Hälfte geleerten Flasche Whiskey liegen, die Alex am Schlagzeug deponiert. Nach einer fiebrigen Version von „Outsiders“ und einem lautstark bejubelten „This Fire“ ruft Nick „AufWiedersehen!“ und Franz Ferdinand verschwinden in den Gängen hinter der Bühne. Es ist alles für eine Party vorbereitet, doch wird man Maßlosigkeiten aller Art hier vergeblich suchen. „Der einzige exzentrische Wunsch, den ich je auf Tour geäußert habe, ist ’no peanuts!‘. Weil ich allergisch bin“, sagt Alex grinsend. „Erdnüssen – NEIN! Haha!“ Überhaupt werden alle darauf achten, nicht zu spät ins Bett zu kommen, da man die Verantwortung einer großen Tournee durchaus nicht auf die leichte Schulter nimmt. „Man braucht genug Schlaf, wenn man am Abend ein Konzert spielen soll“, sagt Nick ernst. „Vor so vielen Leuten kann man sich nicht erlauben, schlecht drauf zu sein.“ www.franzferdinand.co.uk