Freddie Mercury: Freddie Mercury im Interview


Tote leben länger. Drei Monate liegt er nun unter der Erde - und der Queen-Boom scheint kein Ende nehmen zu wollen. Doch je fetter die Schlagzeilen, je satter die Verkaufszahlen, desto blasser das Bild des Mannes, ohne den es Queen nicht gegeben hätte. 1984 führte ME/Sounds-Mitarbeiter Steve Lake ein Gespräch mit ihm, das auch acht Jahre später mehr über Freddie Mercury sagt als alle wortreichen Nachrufe.

ME/SOUNDS: Wie wichtig sind Songtexte fär dich?

MERCURY: Naturlich sind sie wichtig, aber sie fallen mir sehr schwer. Melodien finde ich viel leichter. Gott sei Dank ist es normalerweise die Melodie, die einen Song verkauft. Ganz, ganz selten habe ich zuerst den Text beisammen. Für mich sind die Songtexte einfach komplett eskapistisch. Ich glaub nicht, daß ich die Veranlagung habe, tiefschürfende „Botschaften“ zu schreiben. Für mich ist ein Queen-Song lediglich etwas, was man sich anhört und dann wegwirft – wie ein Tempo-Taschentuch. Ich gehe ins Kino und vergesse für anderthalb Stunden meine Probleme. Ich bin nicht hier, um zu verkünden „Ändere dein Leben, hör einen Queen-Song“. Ich will das Leben der Leute nicht ändern.

John Lennon konnte Songs mit einer Botschaft schreiben. Stevie Wonder. Die haben aber auch danach gelebt. Bei denen kannst du sicher sein, daß die das auch so meinen, wenn sie ein Friedenslied schreiben. Ich bin nicht so. Ich schreib gern einen netten Song mit einer guten Melodie, das ist alles, und gleich weiter, den nächsten.

ME/SOUNDS: Was denkst du über die neuen Gruppen, die sich mit einem auffällig schwulen oder transsexuellen Image präsentieren? Gruppen wie Frankie Goes To Hollywood oder Culture Club beispielsweise.

MERCURY: Einige Images sind gut, andere mies. Boy George mag ich ungeheuer. Seine Rolle ist verdammt schwer: es ist mutig, daß er das macht – und es ist wunderbar, daß es klappt. Und er glaubt auch an das, was er tut!

Okay, jeder kann sich eine Menge Puder und Make-up auf die Backen klatschen. Aber Boy George hat nicht nur ein Image – obendrein sind seine Songs gut! Das Schock-Element ist grundsätzlich positiv. Aber bei manchen klappt’s einfach nicht und wirkt ein bißchen ordinär. Das hängt vom Einzelnen ab.

ME/SOUNDS: Hat Queen auch mit diesem Schock-Quotienten gespielt?

MERCURY: Oh, ich denke schon. Wir haben mit Roxy Music angefangen, mitten in der Glam Rock-Ära. Sicher, Boy George ist sehr couragiert, aber er kann auch auf unsere Erfahrungen zurückgreifen. Als ich anfing, war das Publikum an Bands gewöhnt, die auf der Bühne Jeans trugen. Als sie plötzlich Freddie Mercury in einem Zandra Rhodes-Gewand sahen, mit Make-up und schwarzem Nagellack, war das absolut unerhört.

ME/SOUNDS: Natürlich konzentriert sich in England, besonders in Blättern wie „The Sun“, das Interesse vor allem auf das Sexleben dieser Paradiesvögel…

MERCURY: Ja, ich weiß. Du wirst mich vermutlich nach dieser Geschichte in der „Sun“ fragen, daß ich angeblich schwul bin. Was mich betrifft: Ich bumse, wen ich will und wann ich will. Über Queen haben die Zeitungen doch schon immer geschrieben, was sie wollten – sollen sie doch! Ich mach mir deshalb keine schlaflosen Nächte.

Aber dieser eine Artikel war völlig falsch zitiert, absolut aus der Luft gegriffen. Was kann ich dagegen schon tun? Soll ich mir die Haare raufen und sagen: „0 mein Gott, ich muß das unbedingt richtigstellen?“ Die Frau, die den Artikel geschrieben hat, wollte einfach eine knallige Story von mir und hat nichts bekommen. Ich hab sie gefragt: „Was willst du hören? Daß ich mit Kokain deale oder was?“ Da hat sie halt einfach geschrieben, daß ich zugegeben hätte, schwul zu sein. Ich bin doch nicht bescheuert, so was zu sagen! Dazu bin ich zu intelligent.

ME/SOUNDS: Es überrascht mich, daß das Thema deiner Sexualität nicht noch extremer ausgeschlachtet wurde – nimmt man dein Bühnen-Image, den Bandnamen und so weiter…

MERCURY: Ich bin immer in die

Schwulen-Kiste gesteckt worden. Erst hieß es, ich sei bisexuell, dann war es der Zwitterlook; außerdem hab ich einige Sprüche draufgehabt, die gute Schlagzeilen hergaben. Wenn du auf meine sexuellen Vorlieben anspielst: Ich mach’s ganz einfach mit jedem, den ich mag. Da gibt’s keine Schubladen. (Seufzt.) Mein Privatleben ist privat. Ich rede über praktisch alles, aber das letzte auf der Welt, was ich machen würde, wäre, zur „Sun“ zu gehen und zu sagen: „Ich geb’s zu, ich gebe zu. daß ich schwul bin.“ Das ergibt keinen Sinn. Wenn doch, hätte ich es schon vor Jahren gemacht.

ME/SOUNDS: Zynisch betrachtet, ist es jetzt ja eine gute Zeit zum Schwulsein. Gut fürs Geschäft.

MERCURY: Ist es wirklich, nicht wahr? In diesem Geschäft ist es gut, schwul oder sonst etwas Unerhörtes zu sein, wenn du neu bist. Wenn ich aber jetzt damit an die Öffentlichkeit träte, würden die Leute sagen: „0 Gott, jetzt erklärt Freddie plötzlich, daß er schwul ist, weil’s grad im Trend liegt, schwul zu sein.“

Das ist nicht mein Bier. Solche Sachen überlasse ich den Leuten, dies nötig haben. Die einzige Sache, die mir etwas bedeutet, ist die Musik. Wenn die Musik sich nicht mehr verkauft, hör ich einfach auf damit.“

ME/SOUNDS: Was uns zur unvermeidlichen Frage der Lebensdauer einer Gruppe bringt: Gibt es einen Punkt, von dem an du nicht mehr auf der Bühne stehen kannst?

MERCURY: Das einzige Indiz ist die Platte. Was die Presse sagt, spielt keine Rolle. Wenn du aber die Platte nicht verkaufst, dann war’s das. Im Moment langweilen mich die Bühnenshows. Ich will andere Sachen machen. Ich will an Orten spielen, wo ich noch nie gespielt habe. Wir überlegen uns gerade, ob wir nach Südafrika gehen; das wird zwar politisch einigen Staub aufwirbeln, aber ich scheiß drauf.

Ich mache Musik für die Leute. Wir waren eine der ersten Gruppen, die nach Südamerika gingen. Eine tolle Erfahrung. Zwei Wochen, nachdem wir dort waren, stand Großbritannien mit Argentinien im Krieg. Aber das sollte einen Musiker nicht beeinflussen. Musik ist für jeden.

Ich möchte einmal nach Rußland. Wir wollten schon vor drei oder vier Jahren dahin, aber sie haben sich unsere Album-Cover angesehen und entschieden, daß wir zu schlüpfrig seien und ihre Jugend verderben würden.

Was ich hingegen überhaupt nicht will, ist nach Nordamerika gehen und in denselben langweiligen Stadien spielen. Das ist das Schlimmste, was passieren kann; du siehst das im Moment bei einer Menge Bands, die ihren Höhepunkt überschritten haben, aber immer noch weitermachen, als ob alles okay wäre, und – sagen wir mal – im Madison Square Garden spielen. Vor zwei Jahren haben sie dort gespielt und ihn dreimal ausverkauft – diesmal spielen sie bloß einmal. Was muß das für ein Schlag fürs Ego sein!

ME/SOUNDS: Aber du glaubst trotzdem, daß Publikums-Akzeptanz ein echtes Kriterium ßr musikalische Qualität ist?

MERCURY: Ja!!

ME/SOUNDS: Wirklich?

MERCURY: Absolut. Die einzige Art und Weise, deinen Erfolg einzuschätzen, besteht darin, daß du die Nummer eins bist.

ME/SOUNDS: So stellst du vielleicht die Ausnahme deines Erfolges fest, aber das sagt überhaupt nichts über den tatsächlichen Wen deiner Musik, oder?

MERCURY: Oooh… was für ein Haufen Scheiße!!

ME/SOUNDS: Haufen Scheiße???

MERCURY: Ich weiß, was du sagen willst: Daß du ein wundervoller, unentdeckter Musiker sein kannst. Na und? Was heißt das schon? Talent bedeutet, daß du weißt, wie du’s den Leuten reindrückst! Talent heißt, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Du mußt wissen, wie du an die Leute rankommst. Talent ist Image.

ME/SOUNDS: Manchmal gibt es aber Faktoren, die dem im Wege stehen. Du sagst zum Beispiel, daß du schwarze Musik magst. Wenn du aber tatsächlich schwarz bist, kommst du z.B. nicht ins amerikanische Kabelfernsehen. Da gibt’s keinen rechten Ort und keine rechte Zeit.

MERCURY: Das hat was für sich. Immerhin kommt Michael Jackson da rein.

ME’SOUNDS: Michael Jackson hat sich operieren lassen, damit er weißer aussieht.

MERCURY: Oh, hör auf! Ubertreib nicht, Süßer!

ME/SOUNDS: Ja nun, es ist wahr. Du wirst die rassistischen Einflüsse, die im amerikanischen Pop-Business am Werke sind, wohl nicht abstreiten.

MERCURY: Sicher gibt’s die, aber nicht so extrem, wie du sie darstellst. Michael Jackson weiß nun mal einfach, daß du. um in Amerika eine Nummer eins zu landen, den Querschnitt des Schallplatten-kaufenden Publikums ansprechen mußt. Weil die Black Community allein einfach nicht groß genug ist, um dir Hits zu bringen.

ME/SOUNDS: Ich glaube, es war der Vorsitzende Mao, der gesagt hat: Jede Kunst ist politisch.“

MERCURY: Gut. ja. ich habe zwar was dagegen, wenn sich die Politik in das einmischt, aber letztlich kannst du es nicht verhindern. Das ist genau das, was Elton gesagt hat: Daß die Musik und der Sport im Moment die einflußreichsten Botschafter sind. Erzähl ich eine Menge Quatsch? ME/SOUNDS: Mir ist grad ein „Rolling Stone u -Artikel über Queen in Argentinien eingefallen, der Queen als die „erste wahrhaft faschistische Rockband“ beschrieb. Sagt dir das irgendwas?

MERCURY: Du liebe Güte, du liebe Güte. Neeein … Okay, erklär’s mir. Was bedeutet das?

ME/SOUNDS: Das frag ich dich.

MERCURY: Eine Menge Journalisten aus aller Welt kamen nach Argentinien, um uns in diesen Stadien spielen zu sehen. In Sao Paolo haben wir an einem Abend vor 120000 und am

nächsten vor 130 000 gespielt. Das war was ganz Neues für sie und was ganz Neues für uns — nicht wie in Nordamerika. So was wie Organisation gab’s nicht. Das hätte eine total unkontrollierbare Menschenmenge werden können, drum haben sie die Death Squad für die Sicherheit sorgen lassen.

ME/SOUNDS: Die Death Squad?

MERCURY: Die ganz, ganz scharfe Polizei, die Leute schon umbringt, bloß weil sie einen Hut fallenlassen. Die wurden geholt, um uns zu beschützen. Wir wurden sogar in gepanzerten Fahrzeugen transportiert, die sonst bei Unruhen benutzt werden. Und wenn Journalisten das beobachten, wird es natürlich politisch. Die Musik hat nichts damit zu tun. Bevor wir auf die Bühne kamen, stand das ganze Militär davor, mit Bajonetten. Nur für den Fall …

In Südamerika seht’s vollkommen anders lang. Die dachten, daß es sehr, sehr politisch werden könne, wenn jemand ein derart riesiges Publikum bekommt. Sie baten mich inständig, nicht „Don’t Cry For Me Argentina“ zu sagen. Sie machten sich große Sorgen, daß ich das Konzert in eine politische Kundgebung umfunktionieren könne.

ME/SOUNDS: Wie fühlt man sich mitten in so einer Szene?

MERCURY: Oh, sehr stark, sehr stark. Du fühlst dich wie der Leibhaftige. Du merkst, daß du mit all diesen Leuten einen Aufstand anzetteln könntest. Jemand anderes, mit anderer Mentalität, könnte das wirklich zu seinem politischen Vor- oder Nachteil ausnutzen.

ME/SOUNDS: Was gibt es dir überhaupt, wenn du auf einer Bühne stehst – und Tausende von Leuten deinen Namen schreien?

MERCURY: Das ist wundervoll. Da kommt’s Adrenalin. Absolut wundervoll. Du fühlst dich unglaublich stark. Aber was mich betrifft, ich gehe völlig auf in der Musik. Ich will bloß einen guten Auftritt garantieren und meinen Spaß haben. Ich denke nicht plötzlich: Jetzt hab ich all die Macht, jetzt kann ich ZERSTÖREN!“ Da ist nichts Destruktives. Dazu bin ich ein viel zu guter Mensch.

ME/SOUNDS: Denkst du, daß du all diese Bewunderung verdienst?

MERCURY (lacht): Nein, nein. Diese Art von Bewunderung macht mich ziemlich verlegen, um ehrlich zu sein. Ich will jetzt nicht als bescheiden rüberkommen, aber manchmal kommt’s mir schon komisch vor. daß mir das alles passiert.

ME/SOUNDS: Brauchst du Queen eigentlich überhaupt noch?

MERCURY: Du … Ratte! Ich denke schon, ja. Ich dachte anfangs, wir blieben vielleicht fünf Jahre zusammen, aber wir sind inzwischen längst an dem Punkt angelangt, wo wir zu alt sind, um unsere eigenen Wege zu gehen. Kannst du dir vorstellen, mit 40 Jahren eine neue Band zu gründen? War doch etwas seltsam, oder?

Das Komische ist, daß die Konkurrenz innerhalb der Band, daß alle versuchen, ihre Songs aufs Album zu kriegen, die Spannung ist, die uns zusammenhält. Irgendeine merkwürdige chemische Reaktion hält uns kreativ und bewirkt, daß wir zusammenbleiben wollen. Vielleicht liegt’s auch daran, daß innerhalb der Band genug Raum für unsere Rollen ist. Wenn du so willst, hatten wir immer Solo-Karrieren innerhalb der Band.

ME/SOUNDS: Hmm. Ich habe gerüchteweise gehört, daß John während der Aufnahmen zum letzten A Ibum plötzlich nach Bali verschwand…

MERCURY: Ja. Er hatte die Nase voll und ist gegangen. Ich glaube, wenn man 12 oder 13 Jahre zusammen ist, ist man ständig kurz davor, auszurasten. Wir kriegen alle unsere Launen und wollen für eine Weile weg von allem …

ME/SOUNDS: Du betonst immer, daß du gern spontan arbeitest, aber wenn du dir mal die Aufnahme-Daten von Queen-Alben anschaust, sieht die Geschichte anders aus. THE WORKS hat zum Beispiel sechs Monate gebraucht, bis es fertig war. Das klingt nicht so fürchterlich „spontan“.

MERCURY: Ja. Ha, ha, sehr gut. Du redest schon wieder über vier Mitglieder, siehst du. Oooh, ich werd mich hier in Schwierigkeiten bringen. Schau, ich hab meine Songs viel schneller zusammen als irgendeiner von den anderen. Brian nimmt sich gern viel Zeit dafür. Ich probier lieber ein paar Ideen, und -(klatscht in die Hände)- dann muß entschieden werden! Brian kann ein Jahr lang am selben Song arbeiten.

Ich komme jeden Tag ins Studio und fange mit einem neuen Song an, ganz von vorn, und wenn der Tag vorbei ist, hab ich ihn zwar nicht ganz fertig, aber das Gefühl für die Gesamtstrukrur. Das ist das Ziel, das ich mir im Moment gesetzt habe.

ME/SOUNDS: Glaubst du, daß dußr deinen Job überbezahlt bist?

MERCURY: Tja, in diesem Spiel kann man eine Menge Geld machen. Nein, ich arbeite hart für das Geld. Niemand hat mir was geschenkt. Das wurde mir nicht auf dem Silbertablett serviert. Ich hab dafür gearbeitet. Ich will nichts geschenkt haben.

ME/SOUNDS: Warum ist Queen von der Presse immer so hart angefaßt worden ?

MERCURY: Das fing in den allerersten Tagen an, als wir in Wirklichkeit sie bekämpft haben. Das ging bis zu dem Punkt, daß ich jeden Abend „fuck the press“ gesagt habe. Das haben die natürlich mitbekommen – und so kam’s.

Grad jetzt war’s mir am liebsten, wenn es überhaupt keine Presse gäbe, weil die Songs für sich sprechen. Aber wenn du einmal von der Presse profitiert hast, gibt’s kein Zurück mehr. Im großen und ganzen aber habe ich für Musikkritiker nichts übrig. Darum gebe ich auch eigentlich nie Interviews. Warum rede ich überhaupt mit dir?

ME SOUNDS: Okay, letzte Frage: Was wirst du heute in 20 Jahren machen?

MERCURY: Was ich heute in 20 Jahren machen werde? Dumme Frage. Ich werde tot sein, Darling!