Fury in the Slaughterhouse


High Noon in Hannover? Für den 34jährigen Sänger von Fury In The Slaughterhouse ist Erfolg nicht der Nabel der Welt. Gerade deshalb macht er sich seine Gedanken über die Zukunft der Band, die am Scheideweg

Du wirkst oft ziemlich ernst was macht dir überhaupt Spaß? „Musik macht mir Spaß, auf der Bühne zu stehen, dieser ganze kreative Prozeß. Nur ein Beispiel: Wir spielen einen Song zum 100. Mal und beim 101.Mal entsteht urplötzlich eine völlig neue Version.“

Und was bringt dich sonst noch in Hochstimmung?

„Alkohol {lacht). Nein, es gibt viele Dinge, über die ich lachen kann. Ich bin kein so ernster Typ, wie viele meinen. In der Schule war ich immer der Klassenkasper. Ich bin momentan eher in einer nachdenklichen Phase. Ich habe bei der neuen Platte das dumpfe Gefühl, daß die Band sich gerade ein bißchen verliert. Einige wollen jetzt unbedingt den großen Erfolg, andere wiederum würden ihn am liebsten ganz verneinen. Ich stehe irgendwo in der Mitte.“

Also herrscht derzeit nicht rundum eitel Sonnenschein im Hause Fury?

„Ich weiß, daß es bisher immer so aussah, als seien wir eine große Familien-Band, als sei alles ganz toll und würde ein Leben lang so bleiben. Das wäre zwar schön, ist aber nicht die

Was geht dir denn besonders auf den Geist?

„Eine ganze Menge. Zum Beispiel wenn ich Rücksicht nehmen muß, weil die Stimmung sonst noch beschissener wird. Mit dem Ergebnis, daß ich soviel Rücksicht nehmen muß, bis ich mich selbst zum Kotzen finde.“

Hast du schon mal an die Auflösung der Band gedacht?

„Ja sicher, daran hat jeder von uns schon mal gedacht. Deshalb haben wir uns im letzten Jahr auch für vier Monate getrennt, damit jeder für sich mal Abstand gewinnen kann.“

Spielst du vielleicht mit dem Gedanken an ein Solo-Projekt?

„Manchmal tüftele ich zuhause am Computer herum, spiele mit Grooves und Akustik-Gitarren. Ich möchte dann in erster Linie die Musik machen, die ich mit Fury nicht machen kann. Aber auf Dauer liegt es mir nicht, allein an Musik zu basteln. Ich brauche das Gewächshaus als kreatives Biotop.“

Wie hat sich dein Leben nach dem Erfolg verändert?

„Früher hat der Spaß an der Musik überwogen, wir hatten wesentlich mehr Zeit; für das erste Album waren es vier Jahre, für das nächste nur noch eines. Ich hatte auch mehr Zeit für Freunde, und jetzt kann ich die kaum noch besuchen, weil ich zu sehr mit Musik beschäftigt bin und mich nicht auf Leute konzentrieren kann. Ich mag keine blabla-Freundschaften. Wenn ich mich mit Leuten treffe, möchte ich mich auch intensiv mit ihnen beschäftigen.“

Macht es eigentlich einen großen Unterschied, vor 1000 oder 10.000 Leuten zu spielen?

„Für mich nicht. Ich mache mir bei beidem gleich viel in die Hose. Nur früher hatte ich das Gefühl, ich könne tun und lassen, was ich will. Ich habe mir auch nicht soviele Gedanken gemacht und bin auch mal besoffen auf der Bühne herumgetorkelt. Inzwischen schenke ich mir das, weil an einer Tour soviele Leute hängen, die ihre Arbeit und ihre Hoffnungen da reinstopfen, und wenn ich die alle auflaufen ließe, käme ich mir ziemlich schäbig vor. Ich habe Verantwortung gegenüber den Leuten, mit denen man arbeitet, aber auch gegenüber den Fans. Vor einem stehen 7000 Kids, und dann überlege ich mir schon ganz genau, was ich sage.“

Auf eurem aktuellen Album ‚The Hearing And The Sense Of Balance‘ gibt’s den Song ‚Hello And Goodbye‘ , der ein Lieblingsthema der Furys aufgreift: den Verlust von Freundschaften, den Mangel an Bindungen…

„Die schneite Freundlichkeit liegt mir überhaupt nicht. Ich brauche Zeit, um mich an Menschen zu gewöhnen, dann spreche ich auch über ernsthafte Dinge. Wenn sich das entwickelt, entsteht so etwas wie Freundschaft. Aber das gibt es heute so gut wie nicht mehr, das gab’s damals in der alten DDR noch, weil die ein alle verbindendes Feindbild hatten, zwei schlechte Fernsehprogramme und deshalb zusammen in der Kneipe gesessen sind und diskutiert haben. Ich kann mit der hiesigen ‚Hallo und Tschüß‘-Mentalität nicht viel anfangen.“

Hat sich euer Verhältnis zu den Fans gewandelt?

„Es ist schon distanzierter geworden. Ich weiß noch, am Anfang riefen bei uns ständig irgendwelche Girls an und gackerten den Text von ‚Time To Wonder‘ ins Telefon. Daraufhin haben wir uns gleich Geheimnummern zugelegt. Andere Fans wiederum schrieben uns, daß ihr Freund gestorben sei und daß sie zum Trauergeleit ‚Time To Wonder‘ haben laufen lassen und ihn in Fury T-Shirts zu Grabe getragen haben. Das geht doch ein bißchen zu weit, für meinen Geschmack. Im Grunde will ich davon gar nichts wissen. Ich will nur Musik machen, spielen und fertig aus.“

Die Furys gehen allmählich auf Distanz – als Reaktion auf die Popularität?

„Zum Glück ist es noch nicht so, daß mich die Leute auf der Straße anquatschen. Ich stelle mir das grausam vor, wenn ich nicht mehr ins Restaurant gehen kann, um in aller Ruhe was zu essen, ohne daß mir die Leute meine Pasta vom Teller gucken. Das wäre nichts für mich, darauf hätte ich überhaupt keinen Bock.“

Die Furys gelten ja bis heute als das Paradebeispiel für viele Amateurbands: Proben im Hinterhof, Kneipengigs, erste Produktion in Eigenregie und schon im ersten ]ahr ein Auftritt vor 1000 Besuchern. Liest sich wie ein Kapitel aus einem Märchenbuch. War es denn wirklich so?

„Nicht ganz so. Wir wurden ja am Amfang mit den Verträgen wirklich ganz schön über den Tisch gezogen. Wir spielten zwar schon früh auf großen Festivals wie ‚Bizarre‘ oder als Support von den Pogues, aber Knete haben wir dafür damals keine gesehen.

Es hat uns dennoch viele Türen geöffnet.“

Wie ist dem Verhältnis zu deutscher Rockmusik?

„Ich finde, es gibt hierzulande eine Menge guter Bands. Es ist aber andererseits schade, daß diese Tatsache in England und Amerika hartnäckig ignoriert wird. Es gibt nämlich viele deutsche Bands, die um Klassen besser sind als irgendwelche englische Hype-Scheiße, die aufgeblasen wird, bis der Arzt kommen muß. Viele Engländer würden unsere Sachen sicherlich Klasse finden, aber die Companies lassen einen da ja gar nicht erst rein. Wir wollten mal eine Veröffentlichung in England, doch dann hieß es, wir zögen die falschen Klamotten an, unsere Songtexte seien mies. Alles Bullenscheiße. Die Engländer leiden doch am härtesten unter der Rezession und Arbeitslosigkeit, die wollen ihre eigenen Bands hochdonnern. Das geht mir inzwischen am Arsch vorbei. Daß unsere Texte so schlecht nicht sein können, sehen wir an Amerika. Dort haben sie unsere Songs gefeiert.“

Von den Scorpions erzählte man sich früher, daß sie nach ihren US-Tourneen erstmal eine Entziehungskur einschieben mußten. Habt auch ihr Probleme mit dem Alkohol?

„Eine solche Kur mußten wir noch nicht machen, aber wir legen uns schon mal ein bißchen trocken, denn unterwegs trinken wir mehr als sonst. Nach dem Auftritt geht’s meist noch schnell in die Hotelbar, ein paar Drinks und jede Menge Bier. Es ist irgendwie schon ein Problem.“

Wie verbringst du denn deine Freizeit? „Ich reise gern, fotografiere auch gern, das habe ich gelernt. Ich lese gern Bücher, gehe auch mal in Ausstellungen, gehe gern ins Theater – mit Theater habe ich ja schließlich mal angefangen.“

Und was genau hast du da gemacht?

„Ich habe meinen Arsch gezeigt, ohne Scheiß. Ich hatte in Hannover am Staatstheater eine Statistenrolle in dem Stück ‚Candide oder der Optimismus‘ von Voltaire, da mußte ich den Statthalter von Buenos Aires spielen und rannte mit ein paar Komparsen im lila Tanga über die Bühne. Damals muß ich wohl einen ganz geilen Arsch gehabt haben {lacht).“.Das habe ich gemacht, bis mir eine gute Rolle angeboten wurde. Ich wollte dann erst Schauspiel studieren, hatte aber schon einen Plattenvertrag mit einem Freund und habe mich so für die Musik entschieden. Ich würde gern wieder schauspielern…“