Gary Kemp


Der musikalische Kopf von Spandau Ballet erwies sich als ein Blind Date-Partner, wie man ihn sich nur wünschen kann: musikalisch aufgeschlossen, bestens informiert und um ein Urteil nie verlegen. Auf der jüngsten Spandau-Tournee nahm er sich in Köln die Zeit, um unsere Blind Date-Cassette abzuhören und die vorgestellten Singles zu erraten und zu kommentieren.

Freddie Mercury: „Great Pretender“

„Ganz klar – Freddie Mercury! Ich finde, seine Interpretation ist wunderbar überdreht. Nur Freddie kann so etwas bringen. Für mich ist er der moderne Liberace. Und dabei verliert er nicht mal seine Glaubwürdigkeit als Queen-Frontmann. Es ist sein Geheimnis, wie er diese Gratwanderung vollbringt, aber er schafft’s. Die Nummer ist – und das weiß Freddie bestimmt – ungeheurer Kitsch, ein Hochglanz-Art-Deco-Kitsch.

Meine Musik ist das allerdings nicht. Und das Traurige an der Sache ist: In den englischen Top Five steht zur Zeit nur eine Nummer, die 1987 geschrieben wurde. Das ist ein echtes Dilemma für nachrükkende. junge Bands“

Yello: „Call It Love“

„Wieder so eine Band, die nur Musik für Clubs und Discos macht. So etwas will sich doch zu Hause keiner anhören. Oder? 1 ? Ganz interessante Gitarre. Aber letztlich nur Disco … Solche Acts machen keine Platten, weil sie Songs schreiben wollen, sondern weil man dazu tanzen können soll. Es gibt meiner Meinung nach zwei Arten. Songs zu schreiben: Zum einen geht man von einer Melodie aus und macht lann das Arrangement, die Instrumentierung … oder aber man hat ein Schlagzeug/Baß-Muster und singt dazu einen unwichtigen Blendax-Text. Das ist Yello? Ja. ich hab‘ von ihnen gehört, aber ich kann mich an keinen ihrer Songs erinnern. Auch den hier hab ich schon wieder vergessen. Zu viele Maschinen, zuwenig Menschliches …“

Pepsi & Shirlie: „Heartache“

„Kenne ich schon lange: Pepsi & Shirlie. Shirlie ist die Freundin meines Bruders Martin. Martin spielte mir den Song schon Weihnachten ’86 vor. und ich prophezeite gleich einen Hit. .Heartache‘ hat all die Wham-Elemente, die deren Fans so lieben, aber die Nummer hat auch was Eigenes. Ein Vorteil der beiden ist sicherlich auch ihr Aussehen: nichts Vamphaftes, keine Fischnetz-Strümpfe, nichts Einschüchterndes, sondern nette, liebe, verspielte Girls.“

John Farnham: -You’re The Voice“

..Wer ist denn das? Etwa Paul Young? Nein! Wer ist das — John Farnham? Ein Australier? Habe nie von ihm gehört. Klingt interessant. Eine Sekunde lang erinnerte mich sein Falsettgesang an Paul Young… Tolle Stimme, wunderbar! Ich mag auch die Art. wie er mit dem Schlagzeug umgeht, saubere Produktion. Klingt sehr amerikanisch. Nach dieser ersten Anhörung würde ich sagen: Daumen hoch! Das ist endlich mal ein Song — und keine pluggernde Drummaschine.“

Sandra: „Midniqht Man“

„Ja, da haben wir’s ja wieder: Noch eine total durchcomputerisierte Platte. Ist das Stephanie? Sam Fox? Ich kenne die irgendwoher?! Hat sie lange schwarze Haare? Eine Europäerin? Ach. Sandra — hab ich gehört. Das sind solche Platten, die sie in langweiligen Hotel-Discos für alternde Businessmänner spielen, die richtig einen losmachen wollen.

Ich versteh‘ eins nicht: Sie finden immer wieder Mädchen, die nicht singen können, dabei ist doch der Gesang bei diesen Maschinenplatten das einzig menschliche Element. Und das sollte dann doch bitte schön brillant sein. Aber das Gegenteil ist er Fall!

Diese Platten werden nur des Geldes wegen gemacht. Da braucht sich niemand mit Musikern auseinandersetzen, da strickt man ganz einfach mit den Maschinen ein gängiges Muster. Das ist ein Supermarkt für Billigmusik.“

Elkie Brooks: „No More The Fool“

..Kenn‘ ich … Das ist die Sängerin von Vinegar Joe … Elkie Brooks! Guter Song. Sie hat auch in der Vergangenheit einige tolle Sachen gemacht: .Pearl’s A Singer u.a. Sehr emotional, sehr dramatische Akkordwechsel, wirklich gut. Aber ich habe das Gefühl, sie will auf diese Jennifer Rush-Schiene. Bei Vinegar Joe hat Elkie Brooks mich noch stark an Maggie Bell erinnert; da war sie noch eine rauhe Kehle. Aber der Song ist gut — und bislang habe ich bei diesem Blind Date noch nicht allzu viele gute Songs gehört.“

Duran Duran: .Skin Trade“

„Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: .Skin Trade‘ gefällt mir viel, viel besser als .Notorious‘. Aber ich war nie ein besonderer Fan von Simon LeBons Stimme. Doch diesmal versucht er auch in dieser Beziehung andere Wege zu gehen. .Skin Trade‘ ist mein Favorit von allen Duran Duran-Singles seit langer Zeit. Ironischerweise ist sie in Europa die am schlechtesten verkaufteste Single seit Jahren.

Das Problem von Duran Duran ist wohl folgendes: Ihre Fans fühlen sich ein wenig betrogen. Jahrelang nahmen sie an. da seien fünf Freunde am Werk — und plötzlich erfahren sie. daß sich einige ihrer Idole überhaupt nicht grün waren. Mit anderen Worten: Duran Duran sind eigentlich gar keine richtige Band mehr. Ich persönlich glaube nicht, daß da noch viel hinterher kommt, obwohl die Single und das Album das Beste ist, was sie bislang geliefert haben.“

Boy George: „Everything I Own*

„Keine Frage: Boy George! Aber zum wiederholten Mal: Die momentane Nummer eins in England ist die Coverversion einer Coverversion, kein Song, der 1987 geschrieben worden ist. Aber ich bin froh, daß Boy George wieder dabei ist. Daß er die Nummer eins zur Zeit ist. kommt mir vor wie eine Art Wiedergutmachung. Nach all dem, was die Presse mit ihm angestellt hat, beginnen jetzt erneut die guten Jahre.

Musikalisch ist .Everything I Own‘ harmlos. So harmlos, daß der Song jeden ansprechen muß und keinem weh tut. Die ersten beiden Strophen finde ich okay; danach müßte meiner Meinung nach etwas passieren. Aber kein Wunder, daß Boy George auf Nummer Sicher gegangen ist.“