„Gegen Rockmusik“ ist der neue Spielplatz für Satire-Analphabeten


Nach „Postillon“, „Nachdenkliche Sprüche mit Bilder“, „Was ist das für 1 Life“ und „Tattoofrei“: Unter dem Namen „Gegen Rockmusik – zum Schutze unserer Kinder und Kultur“ wird auf Facebook neuerdings gegen eines der ältesten angeblichen Übel unserer Gesellschaft angestänkert. Mit ersten Erfolgen, wenn man denn so will.

Am Anfang traut man seinen Augen kaum: Seit ein paar Tagen taucht dieses sehr schlechte Stock-Foto einer Familie in etlichen Facebook-Timelines auf, auf dem Eltern und Kinder gleichermaßen dumm lächeln und ihre Daumen hochhalten. „Jesus liebt Dich… solange Du keine Rockmusik hörst!“ steht wie auf einem Meme darüber geschrieben. Man glaubt, wenn schon nicht an Gott, an einen schlechten Scherz – ein Eindruck, der bei weiterem Durchstöbern der Absender-Seite „Gegen Rockmusik – zum Schutze unserer Kinder und Kultur“ verschärft wird: Seit dem 1. September werden dort Fotos von etwa Kiss’ Gene Simmons mit dem Kommentar „kranke Welt“, von einem Iron-Maiden-Pulliträger, der von der Polizei abgeführt wird, von indonesischen Punkrockkids, die zur Umerziehung sollen und von Angela Merkel neben dem Papst und einer Denkblase „Ob er wohl weiß, dass ich Dimmu Borgir höre?“ gepostet. Vor allem aber eben sehr schlechte Stockfotos, auf denen Kindern und Jugendlichen mit Photoshop Bandnamen wie AC/DC, Metallica, Slayer und Black Sabbath auf die Shirts gemalt wurden und sich deshalb Sprüche wie „Morgen kommst Du ins Heim Du Hurensohn“ und „Sei nicht Schuld, dass deine Eltern sich scheiden lassen!“ anhören müssen.

Meinen die das ernst? Man würde den Absendern Fragen stellen wollen wie die, ob sie John Nivens „Second Coming“ gelesen haben. Ob sie wenigstens zwischen Bad Religion, Marilyn Manson und den Böhsen Onkelz unterscheiden. Ob Nickelback oder Deutschrap denn okay gingen. Was sie erst von der AfD oder, schlimmer noch, Computerspielen halten müssen. Schnell wird aber klar: „Gegen Rockmusik – zum Schutze unserer Kinder und Kultur“ ist natürlich eine waschechte, wenn auch nicht immer lustige, Satire. Die provozierten Reaktionen in den Kommentarspalten, die von Ablehnung bis Zustimmung reichen, sind dafür Beweis genug.

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„Ganz ehrlich? Das ist echt arm, dass Kindern sowas gesagt wird, dass sie Schuld an Trennungen der Eltern sind wegen Musik! Euch müsste man an das Jugendamt oder an den Kinderschutzbund melden für so einen Müll!Eltern trennen sich , wenn sie nicht klar kommen miteinander. Ihr zerstört damit Haufen Seelen der Kinder,die sich die Frage durch solche Post stellen „bin ich schuld“! Für Euch ist Internet Teufelszeug“, heißt es etwa an einer Stelle. „Also so eine Seite als christlich zu bezeichnen ist im weitesten Sinne Blasphemie!! Der christliche Glaube basiert auf Toleranz und Respekt, und wer das nicht weiß ist kein Christ! Mal davon abgesehen wenn das Satire ist, dann finde ich das auch schlecht, weil man mit dem Glauben anderer nicht spielen sollte. P.s ich bin nicht gläubig“ an einer anderen. Mittlerweile trudelt auch reflektiertere Kritik ein. FB-User Bastian Magolei schreibt: „Ich weiß nicht, was ich schlimmer finden soll: Diese Seite die offensichtlich und auf billige Art und Weise mit platten Provokationen die heute so verbreitete „Empörungs-Manie“ füttert, oder die Leute, die das Ding hier ansatzweise ernst nehmen… Leider hat die Seite auch mich jetzt schon zuviel Zeit meines Lebens gekostet, die ich kopfschüttelnd mit dem Lesen von Kommentaren verplempert habe. Von daher: Chapeau, Ziel erreicht!“

Im Impressum der Seite „Gegen Rockmusik – zum Schutze unserer Kinder und Kultur“ werden ein Herr Prof. Eritas und ein Herr Kevin Christ (!) ohne Angabe von Adresse oder Telefonnummer als Vorsitzende des „Vereins zum Schutz vor schädlichen kulturellen Einflüssen“ genannt. Das Ziel der Seite lautet: „Mit peppiger Sprache, coolen Sprüchen und Wortwitz versuchen wir, die Gefahren der Rockmusik zu vermitteln. Das sind wir unseren Kindern schuldig. Führen wir sie auf die rechte Bahn zurück.“ Betreut wird die Seite angeblich von einem „jungen Social Media Team, welches aus den Kindern des Vorstandes und der Vereinsmitglieder besteht“, und spätestens jetzt dürfte auch dem naivsten Facebookuser dämmern, dass er es hier nach „Was ist das für 1 Life“, „Tattoofrei“ und so weiter mit einer neuen Satireseite zu tun hat. Aber die schlichtesten Menschen sind ja meist am wenigsten empfänglich für Ironie, ob nun subtil oder mit dem Holzhammer, ob gelungen oder nicht.

Eine Interviewanfrage lehnen die Macher der „Gegen Rock!“-Initiative übrigens bis auf Weiteres ab. „Dafür ist es noch zu früh, wir müssen erst mal alles ordnen und verdauen“, erklären sie. Vielleicht haben selbst sie mit soviel Dummheit nicht gerechnet.