Grunge me softly


Die gitarrespielende und singende Neuentdeckung des laufenden Jahres heißt Erika M. Anderson. Mit ihrem Solodebüt und ungestutzten Achselhaar beschäftigt sie die Musikwelt.

Ein wenig wirkt Erika M. Anderson wie aus der Zeit gefallen. Das liegt nicht an ihrem zur Schau gestellten Äußeren, an ihren ausgeschnittenen Shirts, ihrer EMA-Namenskette oder der punkig verlotterten Gesamtästhetik. Es ist ihr Solodebüt Past Life Martyred Saints, das sich in seinem düsterdigitalen LoFi-Sound voller Gitarrenfeedback weder in der Riot-Grrrl-Bewegung oder im Grunge der Neunziger noch im Indiehipstertum der Nuller einordnen lassen will. Es ist etwas dazwischen. „Ich hab lange Zeit in der Noise-Experimental-Impro-Electronic-Szene verbracht“, sagt Anderson über ihre Bandvergangenheit mit dem implodierten Drei-Mann-Projekt Gowns und lacht: „Für mich ist dieses hier nun ein Popalbum!“

Überhaupt lacht EMA, wie sie sich solo nennt, viel und konterkariert mit ihrem Auftreten so todesmutige Textzeilen wie „I’m just 22 I don’t mind dying“ („California“) oder „I come back to you in another life“. In jenem Song, „Anteroom“, der übrigens so klingt, als hätte Elliott Smith aus dem Jenseits mit in den Vierspur-Rekorder gesungen, geht es um den Jungen von nebenan, mit dem Anderson aufwuchs. „Er starb vor ein paar Jahren an Krebs“, sagt sie und relativiert: In dem Song ginge es ihr natürlich auch um die tragischen Selbstmorde in der Musik, Smith und Cobain.

Entsprechend ist auch der Albumtitel Past Life Martyred Saints ein Shoutout zu den alten Freunden, den „verrückten Jungs aus South Dakota.“ Die waren älter, schmissen Fernseher aus dem Fenster und pissten in Kühlschränke, kannten aber coole Musik. Einer von ihnen dachte, er wäre in einem früheren Leben ein Heiliger gewesen. „Er hat eine Sammlung von UFO-Videos und kann dir erklären, warum George Bush und die Queen Reptilianer und von einem anderen Planeten sind“, sagt Anderson; ein anderer hatte die Hausnummer von Serienmörder Jeffrey Dahmer auf seinem Knöchel tätowiert, „und in den war ich sogar verknallt!“ Damals wollte Anderson genauso tough sein. Mit 18 zog sie von zu Hause aus und nach L.A.

Seit Januar lebt Anderson in der boomenden Szenestadt Portland. L.A. war auch zu teuer. „Eigentlich bin ich nur im Keller“, sagt sie und erzählt von Bandproben in Flanellhemden und wenn man sie fragt, wie ihr derzeitiges Leben wohl als Film aussähe, spricht sie vom ersten Videomaterial von Nirvana.

Als Kind wollte Erika M. Anderson Cowgirl oder Autorin werden – ihre Mutter will bis heute, dass sie Medizin studiert.

* Ihre jüngere und einzige Schwester spielt Bass in EMAs Liveband.

* Als sie in Oakland lebte, kuratierte sie Experimental, Electronic und Impro-Jazz bis hin zu Dance-Abenden.

* Hobbys außer Musik? „Wein trinken und Kochen, Angeln, Karaoke. Oder an der Bar sitzen, Bier trinken und mit meinem Touchscreen rumspielen“, sagt sie.

* Der amerikanische Rolling Stone beschrieb EMA als das uneheliche Kind von Sinéad O’Connor. „Ich fand das witzig“, sagt sie, „aber meine Mom nicht! Sie sagte: ‚Ich bin der einzige Mensch, der sich dadurch persönlich angegriffen fühlen könnte.'“

* Nach ihrem Konzert in Berlin ist ihr Achselhaar ein erstaunlich großes Thema.