Guns N‘ Roses im Studio


Das letzte Stündlein schien schon geschlagen. Die ständigen Drogen-Exzesse und fehlende Arbeitsmoral, so Axl Rose vor einigen Monaten, wolle er nicht länger tolerieren. Der gröbste Stunk ist zwar inzwischen verraucht, doch die Gewehre glühen noch immer. ME/Sounds stieg zu Slash und Duffy in die Studio-Arena.

Kein Zweifel: Sie könnten sich alles leisten, was gut und teuer ist – doch sie wollten lieber kleine Brötchen backen. Probleme hatten sie in den vergangenen Monaten schließlich auch ohne den Erfolgsdruck, ein neues Hitalbum produzieren zu müssen, schon genug. Also machten sie das einzig Richtige: Sie ließen sich nicht in Studio-Fabriken wie etwa das Record Plant locken; sie verzichteten von vornherein auf teuren Schnickschnack; sie ließen den Streetrock sozusagen auch im Studio auf der Straße und zogen sich wieder in das gleiche Etablissement zurück, in dem sie schon ihren Millionenseiler APPETITE FOR DESTRUCTION aufgenommen hatten.

Frag mal jemand in Downtown L A. nach dem Rhumba Studio – du erntest bestenfalls ein Achselzucken. Dieses Studio gehört nicht unbedingt zu den ersten Adressen im Showbusiness. Aber gerade deshalb bietet es die richtige Atmosphäre für Guns N‘ Roses. Von der Außenwelt weitgehend zurückgezogen und unbehelligt vom Starrummel, können sie sich hier auf ihre kreative Arbeit konzentrieren.

Vor allem aber dürfte sich die familiäre Atmosphäre im Rhumba positiv auf die Gesundheit der Musiker auswirken. Denn Dealer dubioser Drogen bleiben bei Guns N‘ Roses neuerdings draußen vor der Tür. Was war geschehen? Axl Rose zückte mitten im Konzert im Spätsommer 1989 die rote Karte und verkündete dem verdutzten Publikum: Die Arbeitsmoral seiner Kollegen lasse sehr zu wünschen übrig, und wenn gewisse Leute in der Band ihren Drogen-Krempel nicht bald in den Griff bekämen, sei dies definitiv eines der letzten Konzerte von Guns N“ Roses. Tags darauf stieg Gitarrist Slash auf die Bühne und hatte ein T-Shirt der „Betty Ford Klinik“ an. Anscheinend frisch auf Entziehung, tat er umgehend Buße und erklärte den staunenden Fans: „Gestern stand ich zwar hier auf der Bühne, aber davon habe ich nicht mehr den blassesten Schimmer. Deshalb meine Warnung an alle: Laßt bloß die Finger von Drogen. Zum Glück gehört Guns N’Roses zu den wenigen Bands, die an derlei Problemen niemals zugrunde gehen werden.“

Seiner Abneigung läßt er deshalb auch im Studio während einer Zigarettenpause – gegen die Droge Nikotin erhebt niemand Einwände – freien Lauf: „Schon lange vor der Tournee, im Frühjahr 1989, hatten wir ein Studio in Chicago gebucht, um den Nachfolger von APPETITE in Angriff zu nehmen. Wir hatten uns für Chicago entschieden, weil wir Schiß davor hatten, in Los Angeles unter die Räder zu kommen. Axl schaute zwar mal vorbei – doch ansonsten herrschte tote Hose. Wir brachten nichts auf die Reihe.“

Außerdem hatte Slash wohl auch Probleme mit sich selbst: „Ich habe mich permanent bis zur Besinnungslosigkeit besoffen, zwei Liter Wodka pro Tag waren ein Leichtes für mich“, kommentiert der bekehrte Sünder seinen Fehltritt mit zerknirschter Miene. „Wir sind uns schließlich gegenseitig derart heftig an den Karren gefahren, daß ich kurzerhand meinen Koffer packte und Axl eine Nachricht hinterließ: ‚Leck‘ mich. Hier gehl eh nichts ab. Tschüß.“‚ Zurück in Los Angeles mußte der Abtrünnige allerdings schnell erkennen, daß er ohne W. Axl Rose, Izzy Stradlin. Duff McKagan und Steven Adler aufgeschmissen war. „Die Band bedeutet mir einfach alles. Sie tritt mich rechtzeitig in den Arsch, damit ich zur Besinnung komme.“

Der Erfolg von APPETITE FOR DESTRUCTION sorgt freilich nach wie vor dafür, daß hohe Erwartungen wie Blei auf den Gemütern der Rock-Recken lasten. Denn immerhin gilt es die Rekordmarke von zehn Millionen verkaufter Platten erst mal wieder zu erreichen. „Wenn ich mir vorstelle, daß wir vor genau drei Jahren am gleichen Ort, in exakt demselben Studio saßen und uns einen Dreck darum scherten, ob sich das Album nun zehn Millionen Mal verkaufen würde oder nicht, wird mir manchmal schon mulmig“, erinnert sich Bassist Duff McKagan unbehaglich. „Wir benahmen uns damals wie die Unschuld vom Lande, wir haben einfach nur das auf Platte genommen, was wir zuvor zwei Jahre lang bereits rauf und runter gespielt hatten. „

„Wir werden immer wieder nach dem Geheimnis unseres Erfolges gefragt“, mischt sich Slash ein. „Was soll ich dazu sagen? Wir wissen ja selber nicht, wie’s funktioniert. Auf jeden Fall haben wir uns fest vorgenommen, auf dem kommenden Album die Erfahrungen und Erlebnisse der letzten drei Jahre musikalisch zu erarbeiten. Der Scheiß, der uns schon seit geraumer Zeit auf die Leber drückt, muß nun endlich mal raus.“

Da scheint die Leber eine ganze Menge verkraften zu müssen: Denn gleich ein pralles Doppel-Album mit !18 oder 19 Songs “ soll es werden, darunter Material, das von den Sessions für APPETITE FOR DESTRUCTION liegen blieb und inzwischen radikal umgearbeitet wurde. Noch haben sich die Fünf nicht auf einen Titel für die Doppelpackung ihres bewährten Street-Rocks einigen können.

Vor allem Axl Rose und Querkopf Izzy Stradlin halten sich bedeckt, wenn man mehr über die neue Platte wissen will, die hier in konzentrierter Handarbeit ihrer Vollendung entgegengeht. Die beiden pilgern lieber wie aufgescheuchte Hühner zwischen Aufnahme- und Kontrollraum hin und her oder lümmeln sich völlig weggetreten auf der Couch, um angeregt über diese oder jene Passage eines Songs zu diskutieren.

In diesem arbeitsamen Umfeld wirken Slash und Duff fast schon wie faule Fremdkörper: Sie gehen’s eher gemütlich an, lassen die anderen wirbeln und philosophieren statt dessen lieber über die generelle Marschrichtung des Albums. „Wir versuchen diesmal, zwei Extreme konsequent unter einen Hut zu bringen: Wir schlagen einen großen Bogen vom harten und heavy Rock zu eher gemäßigten formen mit Akustik-Gitarren, echten Bläsern und derlei Brimborium mehr“, streicht Slash heraus.

„Und ob du’s glaubst oder nicht – wir werden uns sogar an einer Cover-Version des Wings-Klassikers, Live And Let Die‘ vergehen, mit einer mächtigen Bläsertrutppe im Rücken. Außerdem wird’s einen reinen Piano-Song mit dem Titel ‚November Rain‘ geben“, ergänzt Duff und reibt sich genüßlich die Hände, weiß er doch um die verdutzten Gesichter vieler Fans, die Guns N’Roses alles vergeben – nur nicht den Verrat an hehren Streetrock-Idealen.

Selbst der Vorwurf, daß sogar eine Ruine wie Stones-Gitarrist Keith Richards noch immer mehr Rock „n“ Roll im kleinen Finger habe als die gesamte Guns’N’Roses Gang in ihren zerfressenen Körpern, wirft Slash nicht aus dem Gleis. „Dafür sind wir die einzigen, die den alten Idealen des Rock ’n Roll zu neuem Leben verholfen und damit den Kids dieser Welt Mut gemacht haben. Punk konntest du doch schon nach wenigen Monaten in der Pfeife rauchen, so modisch angepaßt wurde er. Endlich haben die Kids wieder eine Band, die ihnen vorlebt, daß es sich lohnt, sich nach Herzenslust auszukotzen – sei es über die eigenen Eltern, den bescheuerten Alltag oder den Arbeitsplatz, eben alles, was tierisch nervt. Glaub mir, dieses Ventil darf man nicht unterschätzen.“

Fühlen wir den selbsternannten Vandalen doch mal auf den Zahn. Wo stecken beispielsweise im Song „One m A Million“ von der Mini-LP LIES, in dem offen und unverblümt rassistisches Gedankengut anklingt, die guten alten Ideale des Rock ’n Roll? Da ziert sich Slash ein wenig, doch Duff faßt sich ein Herz und nuschelt eine Erklärung wie: „Diesmal wollen wir keinen mit unseren Texten vor den Kopfstoßen. Die meisten Songs handeln einzig und allein von unseren Erfahrungen in Los Angeles. Sie drehen sich um Allerweltsthemen wie Sex, Hollywood und noch mal Sex.“

Plötzlich fällt Slash noch was ein: „Wir sind wirklich reifer geworden. Wir haben auch musikalisch nicht immer nur Scheuklappen auf, sondern sehen vieles von einer anderen Warte aus.“

Fragt sich nur, ob diese Band auch erkennt, daß sie mit ihrem neuen Album vor zwei Gefahren steht: Entweder landet sie in der Ecke der musikalischen Dauer-Querulanten – oder aber sie wird vom Big Business endgültig gezähmt. Und wie versucht sich das Quintett dagegen zu wappnen? Es setzt erneut auf die bewährten Karten: aufs gleiche Studio und auf Mike Clink, den gleichen Produzenten. Und natürlich auf die gleichen Musiker.

Denkste! Kaum hatte sich der Studio-Spion verabschiedet, brodelt es schon wieder in der Gerüchteküche: Neuesten Meldungen zufolge hat Drummer Steven Adler aufgrund akuter Drogen-Probleme seine fristlose Kündigung erhalten. Seinen Platz nimmt jetzt Adam Maples ein, der von den Streetrockern Sea Hags aus San Francisco ins Guns N’Roses-Lager wechselte.