Hauptsache, die kapieren nicht!


Mit ihrem Debüt Monarchie und Alltag hat die Band Fehlfarben Geschichte geschrieben: ein 40-minütiger Soundtrack zur Befreiung der deutschen Popmusik von anglo-amerikanischen Vorbildern. Eine Blaupause für Heerscharen von deutschen Indie- Rockbands, die sich an der Idee des Widerspruchs musikalisch und politisch orientierten. Seit 2002 erinnern die wiedervereinigten Elder Statesmen des Punkrock nachhaltig daran, dass Zorn kein Privileg der Jugend ist.

Wie aus dem harmlosen Azubi P. Hein „der Welt gefährlichster Punkrocker Janie J. Jones“ werden konnte, ist nicht abschließend geklärt. Es gibt ein paar Bilder aus den frühen Tagen: Düsseldorf. Der Ratinger Hof. Janie mit Negativ-Irokesenhaarschnitt. Typen, die wie Weihnachtsbäume in einem Kurt-Schwitters-Gedicht aussahen. Und eine Band namens Fehlfarben, die angetreten war, Punk in ihre eigene Sprache zu übersetzen, die Sound gewordene Verweigerung von Erwartungshaltungen. Wie sie sich im Vorprogramm der britischen Urpunk-Kapelle 999 den Zorn des Publikums zuzieht, bespuckt, beschimpft, mit Dosen beworfen.

Das Gefährliche an Janie waren die Haken, die er in seinen Texten schlug, die Rätsel, die er sich und anderen aufgab, die großen Augen, mit denen er den Blick aufs Hier und Jetzt im Najasolala wagte. Mit anderen Worten: die späte Emanzipation vom Anglo-Ami, von vorgefertigten Songstrukturen und allseits bekannten Themen. Singe deine Sprache! Und singe sie gut! Fehlfarben lieferten den entscheidenden deutschen Soundtrack zu dieser Befreiung in der Punk-Ära und so nebenbei auch eine radikale Ästhetik der Unberechenbarkeit.

Die Band würde das so nicht sagen. Erklärungen waren damals das Ding von gestern. Punk war apodiktisch, schnell, manchmal schlau. Fehlfarben wollte weder Sprachrohr einer Szene noch Wortführer der Rebellen-Schickeria sein. Das Pseudonym Janie J. Jones mag sich einer Altbierlaune verdanken, es erinnerte unmissverständlich an einen Song von The Clash, und The Clash standen für Straßenkampf, wilden Humor, große Klappe. Wenn es aber um die Geschichte seiner Band geht, hat Peter Hein es sich zur Gewohnheit gemacht, den Ball flach zu halten. Er hat schon so oft von Fehlfarben erzählen müssen, dass er wahrscheinlich nicht einmal mehr selbst wissen will, wie das alles war und warum es hat so kommen müssen und nicht ganz anders. Eine Geschichte, deren Reize auch entschieden ins Konjunktivische reichen.

Was wäre eigentlich gewesen, wenn der Sänger seine Band nach Monarchie und Alltag nicht einfach verlassen und Fehlfarben sich über die lila Launen der Neuen Deutschen Welle hinweg zu einem Erfolgs-Act der deutschen U-Musik emporgeschraubt hätte? Dann säße Peter Hein nun an Stelle von Campino in TV-Talkshows, ein staatstragendes Stück Befindlichkeit aus dem alten Rock in die neue Facebook-Gesellschaft zu tragen. Gruselige Vorstellung. Die Wirklichkeit kann noch schlimmer sein: Da taucht der von der Band ungeliebte Hit „Ein Jahr (Es geht voran)“ 2012 auf der Humtata-Zusammenstellung Karneval Kult Hits auf, an der Seite von Klaus & Klaus und Modern Talking. Zum Gassenhauer für die verschiedensten Zwecke war er schon vorher in seiner 30-jährigen Karriere geworden: Hausbesetzer-Hymne, Werbespot-Soundtrack, Wahlkampfsong der Ost-CDU. Die Vereinnahmung geht voran, Peter Hein muss nur mal kurz lächeln, dann wird der Mund abgeputzt und weiter geht’s.

Das beim Major EMI 1980 veröffentlichte Debüt Monarchie und Alltag wird seit Jahren lagerübergreifend als mindestens beste deutsche Platte einer gefühlten ganzen Ewigkeit rauf und runter gefeiert. Die ersten Textzeilen der ersten Schallplatte von Fehlfarben 1980 landeten in einer Republik, die noch nicht im neuen Jahrzehnt angekommen war: „Die Schatten der Vergangenheit: wo ich hingeh, sind sie nicht weit, ich weiß doch noch nicht genau, wer ich bin, in der Zeitung steht’s bestimmt nicht drin.“ In den elf Songs lässt Hein seine Ratlosigkeit in kurzen Geistesblitzen auf die Gemeinde niederprasseln; mit Sätzen, in denen das Ich grün anläuft, bevor es sich im Zorn wegdreht: „Was ich haben will, das krieg ich nicht, und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht.“

Solche Zeilen schöpften Größe daraus, dass das Große nicht zu haben war. Die besten von Hein und Gitarrist Thomas Schwebel geschriebenen Texte waren ein Stück Hau-weg-Literatur, die zu bleibenden Einträgen in den Poesie-Alben der Pop-Fans werden sollten. „Es liegt ein Grauschleier über der Stadt, den meine Mutter noch nicht weggewaschen hat.“ Und: „Paul ist tot. Kein Freispiel drin.“ Fehlfarben kannten das Leben, sie sind im Kino gewesen. Monarchie und Alltag, das Album mit der höchsten Slogan-Dichte hinter dem Gesamtwerk von Bob Dylan und der Ariel-Werbung, wartete mit einer für die deutsche Popmusik neuen Haltung auf. Diese Songs waren gekommen, sich uns in den Weg zu stellen, anstatt nachgegrölt zu werden. Hauptsache, die kapieren nicht!

Fehlfarben hatten den Ballast der 70er-Jahre – Spießbürgers Progrock-Kultur, selbstreferenzielles Hippie-Gedudel, sozialdemokratischer Basis-Singsang – in einem einzigen Husarenstreich vom Parkett gefegt. Eine Punk-Platte wie ein Sprung ins schöne, kalte Nichts des jungen Morgens. „Monarchie und Alltag stiftete für kurze Zeit ein Wir, obwohl (oder weil) es ein Abgesang war auf die verlorenen Punkkriege“, schreibt Klaus Walter in der „taz“. Die Platte markierte den Moment, der den Protagonisten unmissverständlich klarmachen sollte, dass Punk auch bedeuten konnte, nicht Punk zu sein. Und um die Verwirrung noch größer zu machen: „Vielleicht hat es Punk hier nie gegeben“, sagte Peter Hein viele Jahre später in einem „FAZ“-Interview, „und wenn, dann nur ein Jahr. Da war ja auch nichts Tolles oder Missionarisches dabei.“

Zum Feiern war Hein & Co auch nach dem größten Banderfolg nicht zumute. Als Fehlfarben im Jahr 2000 eine Goldene Schallplatte für Monarchie und Alltag einsackten, frisch geduscht, schultergeklopft und schlussendlich als „Kultband“ vom Business hofiert, wussten die Original-Recken nichts anderes zu tun, als noch einmal von vorne anzufangen. Bei dem kantigen Tondokument Knietief im Dispo zwei Jahre später handelte es sich um die trotzige Antwort auf so viel Anerkennung und Großartigkeit. Doch dazu später.

Keyboarder und Saxofonist Frank Fenstermacher hat Fehlfarben einmal als eine „Konglomeratband“ beschrieben: „eine Art Forum oder Sprachrohr für Musiker verschiedener Bands“. Thomas Schwebel (Gitarre) kam von S.Y.P.H. und Mittagspause, Peter Hein ist der Sänger von Mittagspause gewesen, Michael Kemner spielte bei DAF, Uwe Bauer bei Materialschlacht. Und Fenstermacher wirkte bei Der Plan an der Erfindung eines im Hals kratzenden Bastards namens Dada-Pop mit.

Die Sozialisationen der Musiker sind wenig dokumentiert, das war dem Punk-Style geschuldet: Schreib dir deine Geschichte selber! Peter Hein skizziert in Jürgen Teipels Interview-Collage „Verschwende deine Jugend“ die geradezu sprunghaften Veränderungen, die die Zeit vor Fehlfarben prägten. Bis zum Schulabschluss: Hausaufgaben, Abschreiben, Kino. „Und dann, wir‘, Sommer 1977, die Erfinder und Herren der Welt. Zwischen beidem gab es bei mir keine Verbindung.“ Mit Musik hatte der 1957 in Düsseldorf geborene Peter Hein lange Zeit kaum etwas am Hut gehabt. „Ich war nicht mal von der Schule großartig versaut, in den Jahren vorm Abi, wo man in so Jugendszenen reinfindet, hat mich Musik nie richtig interessiert.“ Mit dem ersten selbst verdienten Geld aus der kaufmännischen Lehre versorgt sich der Azubi Hein zuerst mit den allgegenwärtigen Platten aus dem Rock- und Pop-Kanon: „Von Chuck Berry über Who, Kinks und Stones bis zu den Beatles. Ich absolvierte einen Crash-Kurs in zwei Jahren. Das, was es an neuen Scheiben damals gab, war ja nicht so interessant.“

In dieses Vakuum an Aufregung und Aktualität treten die ersten Berichte von der Frontlinie des britischen Punk. Die konnte man in „NME“ und „Sounds“ lesen. Dazu kamen die frühen Punk-Singles, Anarchy In The UK von den Sex Pistols, Stiff-Records-Platten, das Debüt der Damned. „Das war eine Initialzündung für mich, hörte sich gut an, sah lustig aus, kein Schwein kannte das hier. Dann hab ich das adaptiert. Anhand der Bilder und der Cover habe ich mich zum Punk stilisiert.“ Heins Geschichte ist eine der prototypischen Anfängergeschichten des deutschen Punkrock, die mit Nachahmung beginnt und mit der Selbstermächtigung endet. Die noch frische Behauptung „Ich bin ein Punk“ fand nirgendwo so schnell Ausdruck wie in den Updates der Moden, in den Attributen des Zerrissenseins und der Zerstörung, die diese Typen, die vom nächtlichen Fronteinsatz in den Metropolen berichteten, am Leibe trugen.

Das allererste „Wir“-Erlebnis hatte Hein, als er im Record Shop dieselbe Platte befingerte wie Franz Bielmeier (Texter und Gitarrist von Charley’s Girls, Herausgeber des Punk-Fanzines „The Ostrich“). Hein: „Für deutsche Verhältnisse sahen wir beide recht seltsam aus. Und musterten uns: ‚Bist du auch ’n Punk?'“ Bielmeiers Band suchte noch einen Bassisten. „Ich hatte das Gerät, aber keine Ahnung. Dann wurden mir auf den vier Drähten die drei Stellen gezeigt, wo man die Finger hintun muss. Es stellte sich schnell heraus, dass es bei mir mit dem Bass nicht weit reichte, irgendwer musste auch singen, so bin ich beim Singen geblieben.“

Dass aus den holperigen Clash- und Ramones-Coverversionen von Charley’s Girls über die Station Mittagspause jenes auratische Grollen aufziehen konnte, mit dem Fehlfarben 1980 debütierten, war der wachsenden Lust am Widerspruch zu verdanken, dem noch stillen Wissen um die Macht der Veränderung, das jedem, der Punk zur Lebensphilosophie zu erklären drohte, heftiges Magengrimmen bescheren sollte. Und der Langeweile an dem, was die anderen eh schon besser spielten. Monarchie und Alltag konnte zu einem Klassiker werden, weil es dem „anders anders sein“ (Hein) einen Sound und ein Gefühl gab.

Die Ära der ersten deutschen Punkbandgründungen fiel 1976/77 in die Zeit, als der Bundesrepublik die Schlussakte des ersten RAF-Kapitels bevorstand: Die Ermordung Pontos, die Entführung der „Landshut“, Baader, Ensslin und Raspe werden tot in Stammheim aufgefunden. Hanns Martin Schleyer liegt ermordet im Kofferraum eines Audis. Verheerende Kampfspuren aus einer Republik im Ausnahmezustand, die sich bei der Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit mehr als eine blutige Nase holte. Die Punks der ersten Jahre übersetzten die Verletzungen des Alltags in Bilder und Worte; holzschnittartig, zynisch und provozierend, wie die Hakenkreuze in den Fanzines und an den Revers. Bei Fehlfarben hören wir Peter Hein keifen: „Ernstfall, es ist schon längst so weit“. Im Song „Militürk“ dichtete die Band (nach einem Text von DAF-Sänger Gabi Delgado-López) dem anderen Deutschland einen bizarren Machtwechsel an, das war schon mehr Kopfkino denn Politkommentar: „Kebabträume in der Mauerstadt, Türk-Kültür hinter Stacheldraht, Neu-Izmir in der DDR, Atatürk der neue Herr … Deutschland, Deutschland alles ist vorbei.“

Pionierstatus durfte die Band nie für sich reklamieren. Die Ersten waren Male in Düsseldorf, die klebten schon Plakate, als es Charley’s Girls noch gar nicht gab, jene Ursuppe, aus der später die Fehlfarben hervorkochen sollten. Im Gründungsmythos der Band ist ein Konzerterlebnis 1979 vermerkt. Peter Hein, Thomas Schwebel, Uwe Bauer, Markus Oehlen (der bei Mittagspause noch an den Drums saß) und Carmen Knoebel, die Besitzerin des Ratinger Hofs, stehen an der Bar eines Clubs in London – auf der Bühne: Gang Of Four! Das ging weit über alles Gehörte hinaus, Funk und Dub und letzte Fetzen von Punk. Dass Fehlfarben die neue Musik von der Insel erst einmal kopierte, ist kein Wunder: Sie richtete sich in den coolen Secondhand-Identitäten ein, die Freiheit von den langweiligen alten Musiken und Konformitätszwängen versprachen. Peter Hein war einer, der auch die neue Freiheit nicht schnell genug über Bord werfen konnte. Nach Monarchie und Alltag, mitten in den Proben fürs neue Album und drei Tage vor Tourbeginn steigt er bei Fehlfarben aus. Weil es ja nie klappt mit der Rebellion. Weil Karriere und große Hallen stinken. Also Hemd und Vereinsfarben abgelegt und geradeaus ins Ungewisse.

Hein geht, Fehlfarben bleiben. Auf der Suche nach einem neuen Sänger landen Schwebel, Kemner und Bauer wieder bei sich selber. Thomas Schwebel übernimmt die Rolle des atemlos hechelnden Frontmannes, 33 Tage in Ketten (1981) will ein Funk-Album sein, kommt aber vom Punk noch nicht los. So zwischen den Stühlen entdecken Fehlfarben, dass sie mit Gitarre (neu dabei: Uwe Jahnke), Bass und Synthesizer noch hinreichend piesacken können, während Hein etwas später als Shouter der „Tanzkampfkapelle“ Family 5 Partymusik für kleine Clubs produziert, für den treuen Haufen, der sich weiterhin weigert, die Welt schönzureden. Mit einer Art zu brüllen, die einzigartig bleiben sollte im deutschen Rock und Pop. Xao Seffcheque, damals Bandkollege bei Family 5, heute Filmemacher, beschrieb die Wirkung von Heins Gesang einmal so: „Selbst über eine Gegensprechanlage würde er die Emotionen ungefiltert rüberbringen.“

Vielleicht kann man das sogar auch auf Die Platte des himmlischen Friedens hören, die 1991 bei WEA erschien, mit dem Rückkehrer Peter Hein und einem Gastspiel von Helge Schneider an der Hammondorgel. Aber wie verstockt und altmodisch das plötzlich klang, die Produktion schien aus dem Pop-Mesozoikum zu stammen, Hein mühte sich redlich im wabernden Gitarrensaft. „Die Neunziger waren das schlimmste aller Jahrzehnte. Auch für uns war das keine gute Zeit.“

Die Nostalgie haben sie dann aber doch den anderen überlassen. Fehlfarben sind heute die Band, bei der längst ergraute, linksgewellte Bürgerkinder immer noch in Habachtstellung gehen, davon träumend, dass Musik einmal die Regierung stürzen könnte (ein Traum, der damals schon schneller ausgeträumt war, als ihnen lieb sein konnte). Die frühen Fehlfarben-Songs haben aber ihre Spuren in den späteren Indie-Rock-Generationen hinterlassen, sie wurden zur Blaupause für einen neuen Umgang mit Wirklichkeit im deutschen Pop. Und dieser wurde wichtig für alle, die ihr Nicht-Verstehen der Welt da draußen und die Unzufriedenheit da drinnen zu ihrem zentralen Anliegen machten. Fehlfarben deuteten auf die Themen, an denen sich die Klassenbesten der kommenden Jahrzehnte abarbeiten sollten, oft politischer, aber selten eindrucksvoller als ihre Vorbilder. Das reicht von Blumfeld über Tocotronic bis zum aktuellen Album der Berliner Band Die Türen, die den Verwüstungen des alten Onkels Kapitalismus in den Privaträumen und sozialen Beziehungen nachspürt.

Fehlfarben sind heute auch die Band, bei der ergraute, linksgewellte Feuilletonisten wieder beginnen, sich selber zu zitieren, in einer Endlosschleife aus Verzauberung – und der Verwunderung darüber, dass sie gerade doch wieder träumen oder am gegenwärtigen Pop leiden. Und wenn es mal wieder richtig schlecht um die deutsche Popmusik bestellt war, riefen die Feuilletons bei Herrn Hein an, dass er aus seiner Schatztruhe der Eigenwilligkeiten plaudere. Einer, der seine Rolle als Überlebender in der Legende gefunden hatte und nun aus der Distanz eine Bewertung für den deutschen Pop finden würde.

Etwas Ähnliches leistete die Band mit ihrer Wiedervereinigung 2002. Wiedervereinigung, das wissen die Deutschen am besten, ist eine schwierige Sache. Dass es dann wieder Fehlfarben gab, die Band mit dem einen Song, den alle kennen, entbehrte nicht einer gewissen Ironie: Hatte die Punk-Generation sich nicht „No future!“ ins Stammbuch geschrieben? Und jetzt sollen sie noch mal aus den Löchern kriechen: Fehlfarbens Fortysomethings in Originalbesetzung plus neuer Drummerin (Saskia von Klitzing senkt den Altersdurchschnitt der Band gewaltig). Ata- Tak-Chef Kurt Dahlke, auf „Paul ist tot“ 1980 noch als synthesizender Pyrolator am Start, übernahm die Rolle des Produzenten und Chef-Elektronikers und buk Gitarren, Knistern und Krachen zu einem Sound zusammen. Man macht Witze auf dem Plakat zum Popkomm-Auftritt: „Scheiße, nix mehr wie früher“. Knietief im Dispo war die Neuverortung einer Band, die immer noch keinen Frieden mit dem Hier und Jetzt geschlossen hatte. Warum auch sollte das Recht auf Zorn und Entrüstung der Jugend vorbehalten bleiben?

Es gab tief im Magen grummelnde Rocksongs mit einem charismatischen Hein, der nur Abscheu und Empörung kennt („Reiselust“), das wahrscheinlich erste deutsche Telefonzanklied („Ich geh nicht ran, geh du ran“) und eine Geschichte aus „der kleinen Geldwäscherei“, wo die Melodie zum last goodbye vom Glockenspiel kommt. Und „Die Internationale“ hieß jetzt: „Ich denke nur daran, dass ich mit dir vergessen kann.“ Mehrheitlich wird auf Knietief im Dispo traditionell gerockt, aber Fehlfarben hatten auch wieder ihren rheinischen Soul-Song im Bläser-Sound gemacht.

Im Fahrtwind von Jürgen Teipels „Verschwende deine Jugend!“ (2001), das die Ursprünge von Punk und New Wave in Deutschland dokumentierte, und im Sog der Düsseldorfer Ausstellung „Zurück zum Beton“, geriet auch das Projekt Fehlfarben zu einem größeren Medienwirbel. Das bisschen Jugend, das die inzwischen sieben Bandmitglieder noch aufbrachten, wollte auch versendet werden. „Im Prinzip ist uns die Punkgeschichte gleich“, erzählt mir Peter Hein 2002 im Interview, „aber sie hat den Effekt, dass die Band gepusht wird.“

Den 25. Bandgeburtstag haben sie dann absichtlich verbummelt und mit der langweiligen Neuinterpretationen-Platte 26 ¿ im Februar 2006 begossen, auf der ein seltsamer Verein, bestehend aus Fehlfarben-Enkeln (Distelmeyer, von Lowtzow), zwei amtlichen Rockstars (Grönemeyer und Campino) und einem bekannten Schauspieler (Peter Lohmeyer) mit der Band im Rücken beweisen durfte, dass Fehlfarben im Original doch nicht zu schlagen sind. Besser machten es die neuen Fehlfarben auf dem kräftigen 2010er-Album Glücksmaschinen, Hein rauscht mit einer regelrechten Theaterstimme durch die acht Songs, in denen gesellschaftliche Katastrophen im besten Fall auf Slogan-Format verabschiedet werden.

Die Band als Lebens- und Arbeitsmodell, das funktioniert im Falle Fehlfarben nach der Reunion trotz positiver Aufnahme bei Fans und Kritik nicht. Von der Musik leben kann heute nur Pyrolator Kurt Dahlke, der auch mit A Certain Frank und solo Platten veröffentlicht, als Produzent seine Kreise zieht, Software programmiert. Die Biografien der übrigen Band-Mitglieder weisen Brüche und Irrwege auf, und wenn Peter Hein erzählt, dass er inzwischen als „Tagelöhner“ seinen Unterhalt verdient, so setzt das auch einen vorläufigen Schlussstrich unter die Geschichte des deutschen Punkrock.

Die Suche danach, was Punkrock heute bedeuten kann, geht dennoch oder gerade deswegen weiter. In der Band Fehlfarben lebt die Renitenz fort, die man sich und dem Publikum als Paten des deutschen Punk schuldig ist, ohne in die erstbeste Besserwisserfalle zu tappen, nur weil man Ikonenstatus erreicht hat. Es gibt auch Momente, da wird dieses Verharren zur Pose, dann aber schwingt die Band sich auf und haut wieder dieses unwiderstehliche Grollen raus.

Gerade wird das neue, das neunte Album Xenophonie gemischt, das in den Berliner Hansa-Studios mit Moses Schneider aufgezeichnet wurde und am 18. Mai erscheinen soll. Ein paar Programmpunkte für den Waschzettel werden im Kopf geschrieben. „Kapitalismuskritik und Kritik der Kapitalismuskritiker, auch ein Lob des Kapitalismus, ein Lob der Agnostik – alles etwas lustiger als zuletzt“, kündigt Peter Hein an. „Es wird wieder auf die üblichen Verdächtigen eingehackt. Man möchte nicht mit uns befreundet sein.“

7 Songzitate für die Ewigkeit

„Ich habe das alles schon 1 000-mal gesehen. Ich kenne das Leben, ich bin im Kino gewesen. Doch jedes Mal, wenn ich sie seh, weiß ich nicht, wie es gehen soll, ich finde nicht den Dreh. Es liegt ein Grauschleier über der Stadt, den meine Mutter noch nicht weggewaschen hat“

(„Grauschleier“, 1980)

„Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran. Spacelabs fallen auf Inseln, Vergessen macht sich breit, es geht voran. Berge explodieren, Schuld Hat der Präsident, es geht voran. Graue B-Film-Helden regieren bald die Welt, es geht voran“

(„Ein Jahr (Es geht voran)“, 1980)

„Die Schatten der Vergangenheit: wo ich hingeh, sind sie nicht weit, ich weiß doch noch nicht genau, wer ich bin, in der Zeitung steht’s bestimmt nicht drin“

(„Hier und jetzt“, 1980)

„Was ich haben will, das krieg ich nicht, und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht“

(„Paul ist tot“, 1980)

„Lass dir alles gefallen, nimm dein Geld schnell, halt dich sauber, fang niemals neu an, verschweig dein Wissen, red nichts und nichts zu laut, sonst wirst du leider auf den Kopf gehaut“

(„Hutschläger“, 1981)

„Es mag ja wirklich schlimm sein – und es tut mir vielleicht leid. Aber zum richtig Gutsein – da hab ich keine Zeit“

(„Politdisko“, 2007)

„Wir haben Angst,

aber leider keine Zeit dafür“

(„Neues Leben“, 2010)

inspiriert von

Velvet Underground

Flamin‘ Groovies

The Clash

Gang Of Four

Wire

fehlfarben für Kenner

Peter Heins Modellbau-Phase

Im Hobbykeller der Erste-Stunde-Punks konnte man Airfix-Modelle und Kriegsspielzeug finden. Er hätte gerne mehr englische Texte übersetzt, um zu verstehen, was in den Flugzeugbastelanleitungen gestanden hat, erzählte Peter Hein im Interview Jürgen Teipel. „Die Modellbauer waren die politisch Unkorrekten. Die anderen haben gekifft.“ Das Ende des Vietnamkriegs war für den jungen Modellbaufan Hein eine eher traurige Angelegenheit: „Vor allem, weil es keine spannenden Nachrichten mehr gab. Natürlich war ich auf Seiten der Vietcong. Aber von der Optik her hatte das schon was Anziehendes: US-Marines und F4-Phantom und Kampfhubschrauber im Fernsehen.“

Fehlfarbens erste Single

Ende 1979 gingen Fehlfarben ins Studio, um für ihr selbst finanziertes Welt-Rekord-Label die Single „Abenteuer und Freiheit/Große Liebe“ aufzunehmen. Im Juli 1980 verkauften sie ihre Single inklusive der Rechte am Welt-Rekord-Label an die EMI. 3 000 Mark sollen die Musiker dafür erhalten haben.

Peter Heins Angestelltendasein

Fehlfarben verließ Peter Hein nach dem ersten Album, um seinen Bürojob bei der Druckerfirma Rank Xerox nicht zu gefährden. „Business System Consultant“ hieß das in der Firmensprache, Heins Tätigkeit fiel in die Nahtstelle von EDV und Vertrieb – „immer schön inhäusig“. „War das noch Punkrock?“, fragten sich die Fans. Hein hatte sich lediglich und ganz kaufmännisch dafür entschieden, eine Existenz unabhängig von der Musik zu sichern. Dass ihn noch vor dem 50. Geburtstag eine Rationalisierungswelle bei Rank Xerox erfasste und um den liebgewordenen stillen Job brachte, zerstörte sein Modell von Musik und Arbeit. Auf dem Arbeitsmarkt, stellte er in Interviews resigniert fest, werde einer wie er heute nicht mehr gesucht.

Peter Heins Deutschland-Buch

Erstmals 2007 veröffentlicht: Ge- vatter Heins Deutschland-Impressionen, ausnahmsweise nicht auf Bierdeckeln, sondern zwischen zwei Buchdeckeln (Titel des Werks: „Geht so. Wegbeschreibungen“). Im Kapitel „Bochum“ erinnert er sich an die Trips zur „Zeche“: „Üblicherweise fünf Leute, ein Auto, zwei Wege, einmal durch die Stadt, die aussah wie das Fehlfarben-Cover für Arme: Bierreklamen, Nachttanken, irgendwo im Finstern die Zeche. Ich hab nie jemand getroffen, der gewusst hätte, wo das genau war und wie es da im Hellen ausschaute.“

Fehlfarben und die schöne Mutter

Im Video zur Single „Club der schönen Mütter“ (2002) geht die hochschwangere Charlotte Roche (damals noch nicht als Autorin bekannt) im Club arbeiten, während zu Hause die Kids Party vor der Flimmerkiste machen. Wer da eigentlich wen generationsübergreifend und kreuzüber beworben habe, fragte man sich im Anschluss. Roche durfte ihre alten Helden fürs Jugendmedium fit machen, Fehlfarben stellten im Clip den schönen dicken Bauch der Viva-Moderatorin aus, fehlte nur noch der Hinweis auf die Sendezeiten von „Fast Forward“. Im Musikprogramm zeigte Charlotte Roche, wie die auf den Bauch tätowierte Schlange mit dem Kind wuchs.

die besten alben

Mittagspause – Herrenreiter (1979/1980)

„Schwarz – der Himmel unserer Zukunft/Rot – die Erde der Vergangenheit/Gold – die Zähne unserer Väter“. „Herrenreiter“ ist so etwas wie ein früher Fehlfarben-Hit im Western-Galopp. Der Sound auf dem Rest der Platte ist Mist, aber die Richtung stimmt. In der Besetzung Schwebel/Bielmeier/Oehlen/Hein wird hart an neuen Worten und Tönen gearbeitet. Ein Dokument vom Vorabend der Revolution, etwas verhuscht, unausgegoren und mit Zeilen voll Widersinn gepflastert. Wer Monarchie … hochhält, sollte die besten Songs aus der Düsseldorfer Klangwerkstatt kennen.

Fehlfarben – Monarchie und Alltag (1980)

Die Platte, die neue Fakten schuf. Peter Hein konnte voller Abscheu und Verachtung von den kleinen Verletzungen singen, die Abbild der großen Katastrophen waren, ohne Hoffnung, aber auch ohne Angst. „Krisen-Rhetorik“ hat jemand das mal genannt. Monarchie und Alltag wurde zum Monument einer anderen deutschen Rockmusik, in deren Pflicht die halbe Hamburger Schule steht – in Text, Musik und Haltung. Dass der bei der Band unbeliebte spätere Hit „Ein Jahr (Es geht voran)“ in letzter Minute auf die Platte rutschte, weil ein EMI-Mensch noch nach Füllstoff suchte, stört uns heute gar nicht. Der ironische Disco-Pop-Song mit supercatchy Funkriff, der Parole „Keine Atempause, Geschichte wird gemacht“ und Fenstermachers knödeligem Saxofonpart ist der perfekte Gegenpart zum schweren Ambient-Rock-Finale „Paul ist tot“. Der nervöse Hochgeschwindigkeitspunksong „Hier und jetzt“ steht der cool groovenden Fantasie „Militürk“ diametral entgegen. Es hat eine wunderbare Balance hier, die sich manchmal über das große Keifen des Herrn Hein legt. Dann stiftet dieses Album für ein paar Minuten doch wieder ein „Wir“ unter uns Nachhörern. Aber das wollten Fehlfarben doch nie hören, oder?

Fehlfarben – 33 Tage in Ketten (1981)

Während Monarchie und Alltag und „Es geht voran“ langsam die Charts erobern, baut Thomas Schwebel Fehlfarben nach dem schnellen Ausstieg von Peter Hein um, Uwe Jahnke kommt als Gitarrist dazu. Die neu gestylte Band mit dem Ersatzsänger Schwebel klingt wie die nervöse Funk-Ausgabe der Fehlfarben vom Vorjahr. Thomas Schwebel garantiert ein Textbooklet der Extraklasse und strickt eine Textzeilen aus „Paul ist tot“ und „Hier und jetzt“ weiter: „Ich will was haben / bevor’s zu spät ist / ich will was tun, was nicht in der Zeitung steht“ („Die wilde Dreizehn“). Eine verpasste Chance für Hein? Eher eine Entfernungsübung vom Nukleus der Fehlfarben.

Fehlfarben – Knietief im Dispo (2002)

Peter Hein, letzter deutscher Weltmeister im Assoziationsketten-Schwingen, hat zur Reunion wieder ein paar Slogans geschrieben, die sich mit einem Wumms auf unsere Synapsen legen. Und sie bleiben dort sitzen. „Am Rhein lebt man erst, wenn’s nebelt und nässt, wenn die Sommergeilheit sich endlich legt“. Das sind so die Beobachtungen, die der alte Held der Sommerfrische in die schöne neue Welt der Stellenabbauer und Differenzgewinnler schmeißt: „Ein paar Bier, ein paar Mark, ein paar Möpse vielleicht“. Aus der Glut und Asche der alten Fehlfarben ward ein siebenköpfiges Monster geboren, das knistert, schon mal elektronisch knackt und über weite Strecken gut rockt.

Fehlfarben – Glücksmaschinen (2010)

Fehlfarben 2010, eine große Müllabfuhr, die mitnimmt, was (ihr) nicht passt. Captain Hein schwingt sich in seinen luziden Momenten noch einmal zum größten Nichtsänger der deutschen Pop-Geschichte auf. Die Band (Pyrolator, Fenstermacher, Kemner, Jahnke und von Klitzing) spielt den kalten Maschinenhallen-Rock’n’Roll, den diese gemeinen Gedankenblitze brauchen. „Wir haben Angst, aber leider keine Zeit dafür“. Tocotronic-Produzent Moses Schneider hat den reifen Punk-Recken einen klaren Polter-Sound verpasst, der gar nicht mehr mit dem Klassiker Monarchie und Alltag konkurrieren will. Das ist gut so.

haben inspiriert

Blumfeld

Tocotronic

Die Sterne

Die Türen

Mediengruppe Telekommander