Heino


Am 24. Dezember 1981, Heiligabend also, betrat ein gewisser Herr Hähnel die Bühne des Kreuzberger Punkschuppens So 36. Selbst abgebrühte Punks staunten nicht schlecht über diesen blonden, mit einer großen dunklen Sonnebrille maskierten Herren, als dieser so beliebte Weichmacher wie „Blau, blau, blau blüht der Enzian“ und „Karambo, Karacho, ein Whiskey“ mit Enthusiasmus herausschmetterte. Das konnte nur Heino sein.

Wer jetzt gedacht hätte, die Punks würden diesen singenden Schäferhund steinigen, sah sich getäuscht. Das Publikum gröhlte und schunkelte in bekannter Pogo-Manier mit. War hier jemand verrückt geworden?

Herr Hähnel wurde befragt. Seine Antwort mußte überraschen. Er behauptete, der wahre Heino zu sein. Während einer Südafrika-Tournee habe er sich von seiner Plattenfirma EMI getrennt, da diese ihm verboten hätte, mit einer Neger-Combo durch die Slums zu tingeln; das würde nicht zu seinem Image passen.

Heino war erbost und geläutert. Er zog nach Berlin-Kreuzberg, eröffnete einen skurrilen Platten-Shop, den „Scheißladen“, organisierte Punkkonzerte und kümmerte sich fortan nur noch um die Unterdrückten und Armen.

Schön und gut. Aber wer ist denn nun dieser andere Heino, der immer noch unsere alten Damen zum Schwitzen bringt? Da wäre, so der wahre Heino aus Berlin, dieser Herr Kramm aus Düsseldorf, den die EMI aus der blonden Masse der Deutschen herausgepickt habe, um weiterhin den Schlager-Rubel am Rollen zu halten. Ein Double also. Er würde es auf einen Prozess ankommen lassen, tönt Herr Hähnel mit fester Stimme!

Inzwischen läuft seine – zweite – Karriere auf vollen Touren. Der Durchbruch kam mit der Tournee der Toten Hosen im Frühjahr dieses Jahres, als er im Vorprogramm auftrat. Die Medien wurden (wieder?) auf ihn aufmerksam. Die Boulevard-Presse allerdings schlug sich gleich auf die Seite der EMI und dieses Herrn Kramm aus Düsseldorf. Die EMI blieb verhältnismäßig ruhig. Sie trennte sich nur von den Toten Hosen, die, der Zufall will es, wie Heino in ihrem Hause unter Vertrag stand. Aber Virgin übernahm die Bommerlunder-Truppe mit offenen Armen.

Herr Hähnel aus Kreuzberg hat noch keinen Plattenvertrag. Das hindert ihn aber nicht daran, demnächst seine erste Single herauszubringen. Die Label Kartell und Totenkopf unterstützen ihn dabei. Eine Disco-Version des blauen Enzian wird dabei herauskommen. Adolf von Kleebsattel, Verfasser dieses Bergsteigermelodrams, wird es übel werden: Nach seinem so genialen Vers „In der dritten Hütte hab’ich sie geküßt, keiner weiß, was dann geschehen ist“ folgt das eindeutige Stöhnen der Zenzi. Heino, Du bist wirklich geläutert!

Mittlerweile ist sogar Bahnhofsvorsteher Biolek auf den neuen Heino aufmerksam geworden. Dem Erfolg steht also nichts mehr im Wege. Denn wir wissen natürlich alle, wer der wahre Heino ist!