Heißkalter Engel


Menschen, die sie nicht mag, bekommen ihre nordische Kühle zu spüren. Auf der Bühne jedoch wird Björk zum Vulkan. Nun setzt die Isländerin mit der himmlischen Stimme auf einer CD neue Akzente.

Du hast den größten Teil Deines neuen Al bums in Spanien aufgenommen. Warum?

Letztes Jahr, in der ersten Septemberwoche, explodierte plötzlich alles-emotional, geistig und auch arbeitsmäßig. Jemand hatte mir eine Bombe schicken wollen, und am nächsten Tag standen 40 Fotografen vor dem Haus. Da sagte ich mir okay, so geht das nicht weiter.

Und? Wie ging es dann weiter?

Zufälligerweise hatte ich Monate zuvor einen Flug nach Spanien gebucht, denn mein Drummer hatte in der Nähe von Gibraltar ein Studio gebaut. Ich wollte ihn eigentlich nur übers Wochenende besuchen. Als ich aber dann das Haus sah, sagte ich: Das ist es! Ich bleibe hier!

Keine leichte Umstellung, wenn man bedenkt, daß Du an das hektische Leben in London gewöhnt warst.

Das Abbremsen machte sogar richtig angst. Es war wirklich eine wahnsinnige Herausforderung, nach vier Jahren am schönsten, sichersten und wunderbarsten Ort auf dieser Welt auszusteigen und sich auf sich selbst zu besinnen.

Teil dieser Besinnung auf Dich selbst war wohl auch, daß Du „Homogenic“ selbstproduziert hast. War es denn nicht schwierig, im Zuge der Aufnahmen die guten Ideen von den weniger guten iu trennen?

Als ich mit elf meine erste Platte aufnahm, suchte ich nur die Lieder aus, die ich singen wollte. Später begann ich, selber Songs zu schreiben. Darauf folgten erste Arrangements. Bei den Aufnahmen zu „Post“ war ich bereits Koproduzentin, und jetzt sitze ich eben allein an den Reglern-wobei ich nicht verschweigen darf, daß mir Mark Bell von LFO bei den Beats wahnsinnig geholfen hat. Trotzdem: Das Album ist so ausgefallen, wie ich heute bin – mit nichts, wohinter ich mich verstecken könnte.

Sind Dir bei der Arbeit nie Selbstzweifel gekommen?

Nein, aber je älter ich werde, desto stärker wächst in mir das Gefühl, daß meine Stimme eine Gabe ist, die mir gar nicht gehört. Es ist jedoch meine Aufgabe, wirklich alles zu tun, um die Möglichkeiten dieser Gabe voll auszuschöpfen.

Auch London bietet zahlreiche Möglichkeiten. Wie gefällt Dir der dortige Sound?

Die Stadt ist für mich noch immer voller Überraschungen. Vor allem ist sie eine Ort, an dem Menschen aus allen Erdteilen zusammenkommen und zusammen wirken.

Du führst ein sehr unstetes Leben – heute in London, morgen ein halbes Jahr in Spanien, dann wieder in London. Ganz zu schweigen von all den Reisen zu Konzerten und anderen öffentlichen Auftritten. Hast Du kein Bedürfnis nach Ruhe in Deinem Leben?

Doch, und ich mache mir auch Gedanken darüber – was wohl mit dem Alter zusammenhängt. Viele meiner Freunde.alle so um die 30, denken Ähnliches: Bleibe ich, oder gehe ich fort? Was habe ich bereits gefunden, und was werde ich noch finden? Bleibe ich das Partytier, oder werde ich zum Makrobiotiker? Die meisten entscheiden sich für beides (lacht).

Und wo bleibt da die Familie?

Letzte Weihnachten habe ich lange / mit meiner Großmutter über diese Dinge geredet, Männer und so. Sie sagte: „Schwäne leben ihr Leben lang mit demselben Partner am selben Ort, Zugvögel hingegen ziehen ständig weiter und suchen sich neue Partner.“ Ich glaube nicht, daß mich derlei Erkenntnisse ewig beschäftigen werden, aber momentan scheint die Zeit dafür reif zu sein Gibt es dafür Gründe, etwa bestimmte Situationen, die in dieser Hinsicht besonders stimulierend auf Dich wirken?

Einerseits war es mir ein Bedürfnis, mich bei der Arbeit an meiner neuen Platte auf mich selbst zu konzentrieren. Andererseits ist es für mich immer noch das Allergeilste, mit anderen zusammenzuarbeiten.

Klingt erklärungsbedürftig.

Nun.es sind doch meist die anderen, die dir den Stoß geben, der dich über die Klippe springen läßt -jenen Stoß also, den du dir eigentlich selber geben solltest.

Es muß ja nicht gleich eine Klippe sein. Oft ist es ja schon schwer genug, über den eigenen Schatten zu springen. Auch dabei kann ein bißchen Hilfe manchmal nicht schaden.

Stimmt. Aber was die musikalische Seite dieser Sache angeht, ist es so, daß es so viele Leute gibt, mit denen ich gern zusammenarbeiten möchte-was wohl auch damit zu tun hat, daß ich immer noch auf der Jagd nach dem perfekten Popsong bin.

Wie jene Songs, „Joga“ zum Beispiel, bei denen Deodato nicht mithalf? Nummern, die eckig sind und rauh? Songs also, in denen einfach mehr Spannung steckt?

Für mich sind diese Lieder Island. Oder genauer: die Natur von Island. Ich habe viel Zeit in der isländischen Wildnis verbracht, war oft zwei, drei Wochen lang wandern, weitab von allen Straßen. Felsen und Wiesen und die See – sie waren mir Vater und Mutter, bei allem gebotenen Respekt vor meinen Eltern.

Sind die Streicherarrangements auf „Homogenic“ von diesem speziellen isländischen Geist beeinflußt?

Nachdem ich mit Deodato „You ve Been Flirting Again“aufgenommen hatte, wußte ich, wie interessant Streicher klingen können. Ende 1995 fing ich an, mich intensiver mit der Musik zu beschäftigen, die sie uns schon in der Schule vorgespielt hatten – Debussy etwa, Ravel oder Bartök. Bloß, es gibt fast keine isländischen Komponisten. Unser Ding ist die Literatur, die Dichtung. Auch die Sugarcubes waren ja von Hause aus Dichter, allesamt Mitglieder im Isländischen Schriftstellerbund. Die Band hatten wir als eine Art Scherz ins Leben gerufen.

Aber dann kamen die Sugarcubes nach England, und die gesamte Musikpresse machte sich lustig über ein paar besoffene Wikinger, die Gedichte in die Nacht hinausbrüllten.

Stimmt. Aber einiges von dem, was wir damals gemacht haben, hatte durchaus Hand und Fuß.

Das bringt uns an den Anfang unseres Gesprächs zurück – nach Spanien. Ähnlich dem Bild von den wilden Wikingern ist auch der Stierkampf Ausdruck einer auf Männlichkeit ausgerichteten Kultur.

Da gibt es tatsächlich so eine Art Geistesverwandtschaft, etwas, das wir schon zu Sugarcubes-Zeiten erkannten. Als wir damals mit dem Tourbus unterwegs waren und dauernd irgendwas Lyrisches von uns gaben, waren das oft Gedichte von spanischen Autoren. Lorca mochten wir am meisten, und Spanien war unser Lieblingsland. Aus irgendwelchen Gründen verstanden uns die Leute da sofort. In Spanien galten wir nie als eigenartig. Vielleicht hängt es ja damit zusammen, daß beide Länder, Island genauso wie Spanien, erdige, bodenständige Nationen sind. Natürlich sind beide Länder modern – aber eben auch noch ein bißchen heidnisch. Was Spanien betrifft, merkt man das z. B. an manchen Filmen.