Ian Gillan


Keine Frage: Dieser alternde Adonis in der engen Lederhose kann immer noch singen. Die Jährchen – inzwischen sind’s 45 – haben Ian Gillan in den Hüften zwar ein wenig voller werden lassen. Seinen Qualitäten als Erstligist unter den Rock ’n‘ Roll-Shoutern konnte der Speck der späten Jahre allerdings nichts anhaben. Der Graue Panther in spe schmettert seinen Bariton auch heute noch mit solcher Wucht ins Publikum, daß es Konzertbesucher mit Segelohren mühelos auf die hinteren Ränge pustet. Gillan grölt und groovt, flüstert und stöhnt, schmeichelt und flucht, daß die aufgeheizte Halle innerhalb kürzester Zeit einem Feuchtbiotop gleicht. Etliche der anwesenden Damen lassen verzückt ihre Becken kreisen, und auch der Schweiß fließt in Strömen.

Ian Gillan, der „Speed King“ früher Deep-Purple-Tage. transportiert selbst im fortgeschrittenen Rock ’n‘ Roll-Alter noch ungebremste Energie. Seine Musik zielt nicht auf die Birne, sondern auf den Bauch: Brachiale Bässe lassen das Beinkleid beben, wohligwarmer Hammond-Sound reizt die erogenen Zonen, und die singende Gitarre von Steve Morris sorgt für Gänsehaut der angenehmen Art. Den Takt in Ian Gillans routinierter Tournee-Kapelle gibt unüberhörbar Edel-Drummer Ted McKenna an. Mit seinem punktgenauen, beständigen Beat treibt er die Band an, ohne dabei unnötig aufs Tempo zu drücken.

Die passenden Mitstreiter für seinen Alleingang zu finden, kann Ian Gillan nicht leichtgefallen sein. Schließlich hatte er früher mit Ritchie Blackmore. Jon Lord, Roger Glover und Ian Paice eine passable Band beisammen, deren Musiker sich doch nicht so einfach ersetzen lassen. Um so erstaunlicher, daß Gillans neue Weggefährten ziemlich exakt den Ton treffen. Das gilt sowohl für die neuen Songs von seinem Solo-Album NAKED THUNDER als auch für alte Kracher aus vergangenen Tagen. Rockende Evergreens wie „Black Night“, „Demon’s Eye“ und „Smoke On The Water“ kommen mit ähnlich wonnigem Druck wie weiland bei Deep Purple.

Zeigt der Mann denn überhaupt keine Schwächen? Doch, doch: Zumindest bei seinen berühmten, lanegezogenen Schreien machen sich erste Alterserscheinungen bemerkbar – der Meister aller Sangesklassen auf dem Gebiet des Hardrock muß jetzt öfter mal kräftig durchatmen.

Und im Purple-Klassiker „Speed King“ hilft selbst angewandte Atemtechnik nicht mehr viel – völlig unvermittelt hangelt sich Ian Gillan durch drei verschiedene Tonarten.

Aber daß es sich bei solcherlei Mißgeschick dann doch lediglich um einen bösen Ausrutscher handelt, wird spätestens an der Ballade „When A Blind Man Cries“ deutlich: Ian Gillan geht aufs Ganze und trifft auch noch den letzten Halbton.

In der Halle machen sich derweil etliche Besucher ihre Gedanken über die Legionen von jungen Rockstars, die sich heutzutage unverschämterweise als Sänger ausgeben.