Ian Gillan: Deep Throat


An seinen gesanglichen Qualitäten lag es sicher nicht, daß ihm seine Kollegen die Rote Karte zeigten. Warum die Stimme von Deep Purple auf Eis gelegt wurde, weiß Gillan bis heute nicht. Warum er rückblickend dem Rauswurf trotzdem Positives abgewinnt, erklärte er ME/Sounds-Mitarbeiter Anders Tengner.

böses Blut gab’s immer wieder mal. daran hatte sich Ian Gillan fast schon gewöhnt. Als der Sänger seinen Kollegen 1973 aus heiterem Himmel den Rücken kehrte und in aller Öffentlichkeit verkündete, er wolle nie wieder singen – und schon gar nicht in einer intriganten Band wie Deep Purple, setzte es Prügel von allen Seiten, nannte man ihn gar einen Verräter. Ausgerechnet ihn, der noch heute von sich behauptet, „der größte Purple-Fan auf diesem Planeten“ zu sein.

Nachdem er ausgiebig die Wunden geleckt hatte, formierte er fünf Jahre später sein eigenes Unternehmen namens Gillan, das sich allerdings nur mit Mühe über Wasser halten konnte, ehe er emeut einen Schlußstrich zog und 1982 bei den Metal-Senioren Black Sabbath anheuerte. Ein einziges Album – und schon stand er wieder vor einem Scherbenhaufen.

Und abermals wurde er rückfällig, erinnerte sich wehmütig an die ruhmreichen Tage der englischen Hardrock-Klassiker, griff zum Telefon und trommelte 1984 im amerikanischen Städtchen Greenwich. der Residenz von Purple-Gitarrist Ritchie Blackmore, die einst Verschmähten zur Versöhnung zusammen.

Ende gut, alles gut? Leider nein. Denn in der allseits gefeierten Purpie-Reunion steckte von (Neu-)Beginn an der Wurm. Und dazu trug auch Gillan sein Scherflein bei. Die Fieberkurve seiner Karriere wimmelte immer schon von Widersprüchen. Weder nein noch ja, lavierte er mit der ihm angeborenen Naivität und Blauäugigkeit zwischen den Kuppen innerhalb der Band, scheute notwendige Konfrontationen wie der Teufel das Weihwasser – und lief damit seinem alten Kontrahenten Ritchie Blackmore ins offene Messer.

Im April 1989 kam das erneute Aus. Roger Glover, Ian Paice, Jon Lord und Ritchie Blackmore setzten ihn kurzerhand auf die Straße. „Um ehrlich zu sein: Ich kenne bis heule nicht die Gründe. Die größte Schweinerei aber war, daß niemand den Mumm hatte und hat, nicht einmal mein Freund Roger Glover, mir die Entscheidung der Band zu erklären, geschweige denn mich davon persönlich in Kenntnis zu setzen. Inzwischen bin ich über den schlimmsten Schock hinweg, doch der Stachel der Enttäuschung sitzt immer noch verdammt tief. Denn immerhin war ich es, der den Stein damals wieder ins Rollen und alle an einen Tisch brachte, weil ich einfach unglaublich stolz auf diese Band war.“

Typisch Blackmore – oder genauer gesagt: typisch Bruce Payne. Der Purple-Manager, auch „payne in the ass“ genannt, machte in der Affäre Gillan seinem Ruf als Chef-Intrigant wieder einmal alle Ehre. Seinem Herrn und Gebieter Ritchie Blackmore stets zu Diensten, manövrierte er am Ende der letzten WeltToumee die diversen Fraktionen geschickt gegeneinander aus. „Bruce und ich waren uns während der Tour schon häufiger in die Haare geraten, speziell wegen seiner mehr ab hinterfotzigen Art, immer über Abwesende herzuziehen. So kam er zum Beispiel eines Tages zu mir, ich glaube es war in Italien, und meinte nur: ‚Wir hatten gerade ein Meeting – und die Band hat beschlossen, daß Roger Glover das nächste Album definitiv nicht produzieren soll.‘ Daraufgab ich ihm zu verstehen, daß ich sein mieses Spiel durchschaute: ‚Wetten, daß du darüber nicht mit Roger gesprochen hast. Und außerdem: Was ist mit mir? Habe ich gar nichts mehr zu melden?‘ Worauf er wie schon so oft den Schwanz einzog und kniff.“ Nichtsdestotrotz ließ Pavne in seinem Bemühen, die Band auf Blackmore einzuschwören, nicht locker, sondern setzte nun sogar alles daran, den Blackmore-Gegenspieler Gillan aus der Band zu kippen. „Das Verhältnis zwischen Ritchie und Bruce war fast schon psychopathisch: Der Manager agierte nach der Methode des vorauseilenden Gehorsams und las Ritchie die Gedanken von den Lippen ab, noch bevor er den Mund aufmachen konnte. Okay, Ritchie und ich waren nie die größten Freunde, obwohl gerade er wissen soltte, daß ich im Prinzip einer der umgänglichsten Typen bin. Inzwischen aber halte ich ihn für einen Mistkerl, der über seinen verlängerten Arm Bruce Payne meinen Rauswurf inszenierte.“

Es bedurfte letztlich eines Anrufs von Ians Manager Phil Banfield, um ihm auch noch die letzten Illusionen über seine Zukunft bei Purple zu rauben. Deep Purple suchen bereits einen neuen Sänger, ließ Banfield ihn wissen, und „ich fiel fast in Ohnmacht. Bis zufällig meine Frau auftauchte und mir vor Freude um den Hals sprang: Jetzt kannst du doch endlich machen, was du willst. Und keiner quatscht dir mehr rein‘ Sicher, das war der positive Aspekt, aber trotzdem hatte ich an dieser Hiobsbotschaft erst einmal schwer zu beißen. Obwohl ich die Entwicklung eigentlich hätte voraussehen können: Im November 1988 hatten wir uns nämlich in Vermont treffen wollen, um neue Songs zu schreiben. Dazu kam ’s nicht, weil Bruce mir kurz vor meinem Abflug mitteilte, daß der Rest der Band auf mich verzichten wolle. Hoffentlich tauchen meine Songs, die ich damals zur Verfügung gestellt hatte, nicht auf dem neuen Purple-Album auf. Dann werde ich nämlich stinkig.“

Unabhängig von persönlichen Differenzen gesellte sich ein auf lange Sicht weit gravierenderes Problem dazu. Stichwort: Entwicklung contra Stagnation. Ian plädierte schon damals für einen radikalen Bruch mit der ach so geliebten Vergangenheit.

„Purple zeichnete sich ursprünglich dadurch aus, daß wir uns ab Hardrock-Band stets die Freiheit nahmen.

progressive Elemente einfließen zu lassen. Statt dessen drehten wir uns spätestens mit HOUSE OF BLUE LIGHT im Kreis. Jede neue Idee wurde im Ansatz blockiert.“

Inzwischen kann der vom Schicksal Gebeutelte endlich tun, was ihm beliebt. Wie seine Vorstellungen von musikalischem Fortschritt aussehen, will er zunächst einmal mit seiner Solo-LP NAKED THUNDER dokumentieren. Natürlich hat Ian seine Lehren aus der leidigen Purple-Affäre gezogen und die nötigen Sicherheitsventile in seine Solo-Karriere gebaut. Erst kommt Gillan, dann die Musik – und später ist immer noch genügend Zeit, um eine professionelle „Backing-Band auf die Beine zu stellen“. Denn: „Mich nochmal in einer festen Band verwursten zu lassen, würde ich wahrscheinlich nicht verkraften. Dies ist das allererste Mal, daß ich auf meinen eigenen Füßen stehe und auf niemand Rücksicht nehmen muß.“ Nur eines könnte ihn noch aus der Fassung bringen, „wenn nämlich meine Ex-Kollegen sich unter dem Namen Deep Purple das Vertrauen der Fans erschleichen. Sie sollten so viel Anstand besitzen, mit dem nächsten Album auch ihren Namen zu ändern.“