Ian Gillan Band – Noch immer spukt der Geist von Deep Purple


Ian Gillan steckt in der Klemme. Längst singt er bei einer Band, die brillanten, zum Funk-Jazz tendierenden Rock spielt. Doch auf der Bühne bringt er nach wie vor „Smoke On The Water“, „Child In Time“ und „Black Night“, mimt den wilden Mann, kreischt und schüttelt die Mähne. Weil das scheinbar mehr Applaus einbringt als all die komplexen Rhythmen und sensiblen Klanggemälde, die die Ian Gillan Band ansonsten mühelos aus dem Hut zaubert. Der Geist von Deep Purple spukt noch immer, und die frühere Stimme des dahingeschiedenen Heavy-Rock-Phänomens schafft es nicht,die Vergangenheit abzuschütteln. Ian Gillan hatte Deep Purple bereits im Sommer 1973 verlassen – weil die Band sich seiner Meinung nach nicht weiterentwickelte. Er gehörte der Gruppe in jenen Jahren an, in denen sie in Europa den Durchbruch schaffte, eine Reihe kommerziell überaus erfolgreicher Singles und LP’s veröffentlichte und sich in der Heavy-Rock-Szene mit dem Album „Deep Purple In Rock“ im wahrsten Sinne des Wortes ein steinernes Denkmal setzte. Seitdem gilt vor allem auch bei den Heerscharen der Purple-Fans in deutschen Landen Ian Gillan als der, eigentliche Sänger der Band – David Coverdale, sein Nachfolger, konnte sich bis zur endgültigen Auflösung der Gruppe nicht mehr in so starkem Maße in den Vordergrund singen.

Ian Gillans Suche nach einer neuen Identität lief Mitte der siebziger Jahre recht schwierig an. Die internen Spannungen zwischen Jon Lord und Ritchie Blackmore sowie anderen Purple-Musikern hatten ihm die Lust an der Rockmusik erst einmal gründlich versalzen. Ein Jahr lang kehrte er der Szene den Rücken, ehe er über eine Beteiligung an einem Aufnahmestudio („Kingsway Recorders“) so nach und nach wieder Kontakt zu Musikern fand. 1976 schließlich nahm er ein neues Album auf, gemeinsam mit Sessionsmusikern, die so gut miteinander auskamen, daß sie sich dann mit Ausnahme des Keyboard-Spielers Mike Moran zur Ian Gillan Band zusammenschlossen.

Die Debütplatte lebte noch in starkem Maße von Klischees aus der Purple-Sound-Küche – eine neue Version von“Child In Time“ wurde zum Beispiel mit in die Rillen gepreßt. Setzt man gegen diese LP den brandneuen Longplayer der Gillan Band, „Clear Air Turbulence“ traut man zunächst seinen Ohren nicht. Zusammen mit dem Keyboard-Mann Colin Towns, dem Trommler Mark Nauseef, dem Gitarristen Ray Fenwick (früher bei Spencer Davis) und dem Bassisten John Gustafson (vorher bei Roxy Music) tummelt sich Ian Gillan im musikalischen Freiraum zwischen Rock, Funk und Jazz. Vielschichtige, mitreißende Arrangements mit Bläsern, komplizierten Rhythmen und farbigen Instrumentalpassagen zeichnen alle sechs Titel des Albums aus. Lateinamerikanische Einflüsse mit brodelnder Perkussion schimmern zuweilen durch, entspannte Klangmalereien und etliche heißblütige Soli bleiben in der Erinnerung haften.

Zuweilen singt Gillan affektiert, gelegentlich schreit er zuviel. Aber stärker wiegen Titel wie „Good Hand Liza“ und „Angel Manchenio“, in denen er zeigt, was alles in seiner Stimme steckt, in denen er Melodielinien mit schwierigen Tonschritten und Tonfärbungen sicher im Griff hat. Was will dieser Mann mehr? Warum, verdammt nochmal, inszeniert er jedesmal, wenn er auf der Bühne steht, seine Vergangenheit im Stile eines großen Affentheaters?

Bei einem Live-Konzert der Ian Gillan Band hat man derzeit zuweilen den Eindruck, zwei verschiedene Gastspiele zur gleichen Zeit am gleichen Ort zu erleben. Da bemühen sich im Hintergrund vier Musiker, einfallsreichen, qualitativ guten Rock packend zu spielen. Und da schreit und kreischt vorne an der Rampe ein langmähniger Sänger, als steckte er am Spieß. Schaufelt mit seiner Mähne die Luft durch den Saal, als wäre er ein Ventilator. Schüttelt Hände von Fans und läßt jeden durch seine Mimik wissen, daß er der tolle Ian Gillan ist. Klar, er hat es schwer; der alte, von ihm gesungene Purple-Hit „Smoke On The Water“ steht inzwischen wieder in den englischen Charts und die Purple-Fans wollen ein bißchen mitbekommen vom alten Heavy-Rock-Zirkus. Aber wer zwingt ihn, seine Markenzeichen aus alten Purple-Tagen bis zur Karikatur zu übertreiben?

Die Ian Gillan Band spielte um Ostern nun auf einigen deutschen Festivals und kam ganz gut beim Publikum an. Im Juni oder Juli wird sie vermutlich wiederkommen. Vielleicht sagt dann mal jemand Herrn Gillan, daß es ihm und seiner Band auf die Dauer schadet, sich ständig unter Wert zu verkaufen.