Ice T


Eigentlich wollte der 35jährige Tracy Merill, besser bekannt als Ice-T, nur über Musik reden. Für ME/Sounds entdeckte Marion Renk-Richardson jedoch überraschende Seiten am vielgeschmähten bösen Mann.

Die Fahrt in ICE-T’s neue „Hood“ ist nur etwas für Schwindelfreie. Die schmale Straße windet sich an den Hollywood Hills hoch. Ganz oben liegt der ultramoderne Bau mit Blick über die Filmmetropole, Beverly Hills und den Pazifik. Die Ghettos von South Central L.A. sind weit weg von hier.

Familie ICE-T wohnt schon seit zwei Jahren in dem blitzsauberen High-Tech-Domizil, das der Herr des Hauses gerade für eine viertel Million Dollar erweitern läßt – ein hypermodernes Aufnahmestudio inklusive Haifischaquarium muß es sein. Im Augenblick herrscht im Ice-Reich Hochbetrieb: die englische Plattenfirma (die US-Company hatte nach dem „Cop Killer“-Boykott weiten Abstand vom Buhmann der Nation genommen) hetzt den Star seit Wochen pausenlos von Interview zu Interview. Arbeit ist genug da. Body Counts „Born Dead“ wird weltweit von Virgin vertrieben, das nächste Rap Album „ICE-T 6, Return Of The Real“ bringt ICE’s Rhyme Syndicate im Herbst heraus. Bis vor kurzem stand die Schreckfigur des weißen Mittelstandes zusammen mit Keanu Reeves für den Sci-Fi-Film „Johnny Mnemonic“ vor den Kameras, im August beginnen die Dreharbeiten für den nächsten Film. Ein Buch hat er auch geschrieben, Titel: „The ICE Opinion“. Ein schwer beschäftigter Mann eben.

ICE trägt zum Interviewtermin ein teures Polohemd und Jeans und hält erstmal freundlich, höflich Distanz. Ganz erfolgreicher Businessman, der noch vor einer Stunde mit dem Finanzmakler geredet haben könnte von wegen „Gangsta“. Keine Spur des gepflegten Rapper-Images vom „Bösen Mann“. Weder dramatische Posen, noch geballte Fäuste. Trotzdem: das Eis über der bürgerlichen Fassade ist dünn – als die Polizei vor einigen Wochen auf der Jagd nach dem mordverdächtigen Filmstar und ICE-Freund O.J.Simpson das Haus umzingelte, verteilte der kühle Geschäftsmann ICE ohne großes Zögern Knarren an Mitbewohner und Freunde. Dann im Gespräch blickt einem der Rapper direkt in die Augen – spärliche Körpersprache, energiegeladen – der perfekt berechnende Boss eines außerordentlich umtriebigen Unternehmens, das ein Produkt an den Mann bringen will – ICE-T.

ME/S: Du bringst zwei neue Platten gleichzeitig raus. Was ist musikalisch bei dir los?

ICE-T: „,Born Dead‘ ist eine Weiterentwicklung des Body Count Vibe, viel mehr Metal als Rap, obwohl ich mich eigentlich als Berufs-Rapper sehe. Genauer gesagt: ,Dead‘ ist unsere eigene Version von Metal. Unser Rap-Album .Ice-T 6, Return Of The Real‘ dagegen wird Rap pur, und kommt voraussichtlich im Oktober auf den Markt. Unser Ding läuft aber zweispurig, wir halten das strikt getrennt. Body Count ist straight-up Rock, Ice-T ist straight-up Rap. Ich stehe auf Rock wie Black Sabbath, Suicidal Tendencies oder Slayer. Im Auto höre ich Sade, Gangsta oder Luther Vandross. Das hängt ganz von meiner jeweiligen Stimmung ab. Wenn mir nach Sex ist, höre ich Sade, wenn ich eher funky drauf bin, Rap. Für einen Schuß Adrenalin drehe ich Metal auf. Dafür ist Musik da, für jede Laune das Richtige.“ ME/S: Wen willst du mit den Alben ansprechen? An wen denkst du, wenn ihr spielt?

ICE-T: „Wir nehmen in erster Linie für uns selber auf. Ich sage Sachen, die ich mag, die ich cool finde Ich rede den Kids nicht nach dem Maul. Ich rappe für Leute mit meinem Intelligenzgrad, die meine Witze verstehen und auf die gleichen Sachen sauer sind wie ich. Wenn ich rocke, spiele ich die Art von Rock, die ich mag. Ich singe über Themen, die mich ärgern und mir auf den Nägeln brennen. Weiße Kids hören Rock, und schwarze stehen halt auf Rap. Aber wenn ich eine Platte mache, dann eine, mit der ich am Ende selber glücklich bin.“

ME/S: Wie sieht dein typischer Arbeitstag aus?

ICE-T: „Meistens stehe ich um 6 Uhr früh auf, gehe von 7 bis 10 in den Sportclub und dann in mein Büro in der ,Hood‘, arbeite da bis 12, danach checke ich den Ablauf in meiner Porschewerkstatt in der Nähe, kümmere mich da ums Geschäft. Und so gegen 2, 3 Uhr nachmittags proben Body Count. Das heißt über die Hügel fahren und dann eine Weile ins Mikrofon gebrüllt. Das geht so bis 4, 5 Uhr. So ab 6 Uhr abends bin ich im Studio mit der Band, meist bis spät in die Nacht. So gegen Mitternacht gehe ich dann nach Hause. Diese Woche mußten wir pausenlos Interviews geben. Ich habe es noch nicht mal geschafft, zu der Beerdigung eines Freundes zu gehen. Nächste Woche nochmal Presse, Mittwoch ein Video mit Motörhead, Donnerstag ist frei, Freitag und Sonnabend drehen wir die Body Count-Videos ohne Pause. Die Woche drauf geht’s für den nächsten Film nach Arizona. Ich komme im August zurück und versuche, das ICE-T-Album fertig einzuspielen. Und dann kommen noch die Tourneen im Herbst.“ ME/S: Wie heißt dein neuer Film? ICE-T: „,Tank Girl‘. Nach einem englischen Comic-Buch. Es wird so eine Art Punk-Film. Ich spiele eine schräge Rolle, bin halb Mann, halb Känguruh. Täglich gehen allein zweieinhalb Stunden fürs Plastik Make-Up drauf. Und das in Arizona, im Sommer… phhh!“ ME/S: Entgegen deinem Brutalo-Image bist du auch als sorgender Familienvater bekannt. Wie definierst du Familie?

ICE-T: „Image? Familie? Familie sind für mich alle Leute, denen du wirklich etwas bedeutest, die dir helfen, wenn du down bist. Das hat mit Blut nichts zu tun. Das ist das Üble am Begriff der Interview

herkömmlichen Familie. Liebe bekommst du oft nicht in der sogenannten richtigen Familie, obwohl viele meinen, sowas kommt von ganz allein. Nur weil dich jemand geboren hat, heißt das nicht, daß du auch geliebt wirst.“

ME/S: Du hast Kinder?

ICE-T: „Ja, Letesha, meine Tochter, ist 17, und Little Ice, mein Sohn ist gerade 2. Ich lebe mit meiner Freundin Darlene seit sieben oder acht Jahren zusammen, wir sind nicht verheiratet. Letesha ist meine Tochter aus der Beziehung mit einer anderen Frau. Ich war damals noch auf der High School, und wir machten uns beide nicht viel vor in Bezug auf eine romantische Zukunft. Mir ging’s damals ziemlich dreckig, aber ich habe immer irgendwie für Letesha gesorgt. Ihre Mutter mußte nie Geld vom Staat erbetteln. Und wir haben beide das Baby geliebt. Deshalb habe ich mich auch gefreut, als Tesha bei mir einziehen wollte.“

„Gewalt ist der American Way of Life zu stehlen, rauben und morden gehört einfach zum Alltag

ME/S: Wie steht es mit Regeln? Was findest du als Vater für eine 17jährige in Ordnung und was nicht? Kann sie ausgehen, solange sie will, kann sie Leute nach Hause bringen, kann sie über Nach t wegbleiben ?

ICE-T: „Unser Deal beruht auf gegenseitiger Achtung. Sie ist 17, sie könnte auch allein leben. Mit 17 war ich auf der Straße zu Hause. Ich will nur eines von ihr, daß sie in der Schule gut arbeitet. Fünf Tage die Woche. Und gute Zensuren nach Hause bringt, ansonsten kann sie eigentlich kommen und gehen, wann sie will. Es gibt noch ein paar Regeln, was Hausgäste angeht, weil Darlene und Little Ice hier leben: hauptsächlich Ruhe halten, und keine Freunde unter der Woche, da ist nur Schule angesagt. Da muß sie auch abends um acht zu Hause sein, weil sie sonst in der Schule nur noch bummelt. An Wochenenden ist es ihr Bier, ob sie die ganze Nacht wegbleiben will. Letztendlich macht sie sowieso, was sie will. Ich möchte nur, daß wir uns mit Achtung behandeln.“

ME/S: Sprichst du mit ihr über Themen wie „safe sex“, Verhütung und Kondome?

ICE-T: „Hmm, nein, bislang nicht. Ich habe zumindest nie direkt darüber mit ihr geredet. Ich weiß, daß sie die Pille nimmt. Ich hab‘ ihr zwar mal gesagt, daß wir Jungs total unverantwortlich sind, daß uns alles egal ist, wenn wir nur kommen wollen, und daß sie deshalb tunlichst Kondome benutzen sollte, aber ihr war das Gespräch wohl eher peinlich, hatte ich den Eindruck.“

ME/S: Was für Erziehungspläne hast du für Little Ice?

ICE-T: „Ich will, daß Little Ice mit beiden Elternteilen um sich aufwächst.

Ich will ihm einfach alles beibringen. Letesha ist mit 2 Live Crew-Musik und meinen Schimpfwörtern groß geworden, und trotzdem ein nettes Mädchen geblieben, weil ich mich auch immer um sie gekümmert habe. Ich habe viele abgerückte Kids gesehen, deshalb sollen meine eigenen nicht so werden.

Ich habe meine Eltern gehaßt. Allesamt. Ich saß in meinem Zimmer und wünschte mir, sie wären tot. Das wird bei meinen Kids hoffentlich nicht so werden. Little Ice soll zur Schule gehen und viel lernen. Da ich viel Geld habe, wird er mit .street gangs‘ nichts zu tun haben. Ich bin im Prinzip wie jeder Vater: Ich will, daß meine Kinder genügend Wissen haben, um mein Erbe dann an ihre Kinder weiterzugeben. Das Ice-T-Reich, wenn du so willst (locht).

Ich liebe meine Familie. Selbst meine besten Freunde ziehen mich manchmal auf, wenn ich nach Hause gehe, anstatt mit ihnen durch Nachtclubs zu ziehen. Hey, warum auch nicht, die Boys sind mir in letzter Konsequenz doch ohnehin keine Hilfe. Meine Frau ist stets diejenige, die für mich da ist.“ ME/S: Ist der Zerfall der Familien für dich ein Grund für die Gewalt in dieser Gesellschaft?

ICE-T: „Sicherlich einer davon. Wenn du eine Familie mit Vater und Mutter hast, wirst du nicht in einer Gang landen. Eine Gang ist immer nur eine Ersatzfamilie.“

ME/S: War sie das auch für dich?

ICE-T: „Yeah, ich hatte sonst niemanden. Wie meine Freunde auch. Machen wir uns doch nichts vor, jeder braucht jemanden, der ihm nahesteht und ihn stützt. Und wenn nur ein Vater da ist, hast du schon weniger Probleme. Er kann dich beschützen. Mütter und Väter können Kids allein erziehen, aber Kids brauchen wirklich beide Eltern. Töchter brauchen ihren Daddy, und kleine Jungs die Mutter. Alle haben weibliche und männliche Qualitäten.“

ME/S: Dabei wird dir Verherrlichung von Gewalt vorgeworfen…

ICE-T: ….. Blödsinn. Ich sage nur, was los ist auf den Straßen. Gewalt heißt doch nicht nur, daß kleine Kids mit großen Knarren auf den Straßen schießen. Gewalt ist auch, daß ihnen jemand diese Knarren verkauft hat. Und dann wird ein Musiker angeschissen, weil er darüber rappt? Wir leben nun mal in einem zutiefst kriminellen Land. Gewalt ist der .American Way of Life‘ zu stehlen, rauben und morden gehört einfach zum Alltag. Bis ich herausgefunden habe, wie ich diese verdammte Welt in den Griff bekomme, rappe ich nur laut über einige Probleme, die mir auffallen.“ ME/S: Was hältst du eigentlich von Präsident Clinton?

ICE-T: „Wer ist das denn? Die einzige staatliche Organisation, die mich interessiert, ist das Finanzamt. Alles andere ist Bullshit. Wir haben keine Kontrolle. Durch Politik was ändern zu wollen ist eine Illusion. Die Regierung ist korrupt, ganz egal, wer politisch gerade am Drücker ist. Deshalb wähle ich auch nicht. Wen oder was denn? Amerikaner haben alle Abkommen gebrochen, die sie je unterzeichnet haben. Warum soll ich da mitmachen? Um den amerikanischen Traum zu verwirklichen – ein Auto, ein schönes Haus, einen Job und einen Sklaven zu besitzen? Wir Schwarze nehmen am amerikanischen Traum Teil. Das waren hier die .guten, alten Zeiten‘, als es noch Plantagen gab. Seitdem ist dieser Traum aus den Fugen geraten.“