Industrial aus dem Hexenwald


Statt lärmigem Großstadt-Rock erzählen die Liars auf ihrem zweiten Album Märchengeschichten zu Maschinensounds.

Klopfen auf Metall, ein Dröhnen wie das Honken einer Schiffshupe, rhythmisches Scheppern… Überraschend, was die New Yorker Liars auf ihrem zweiten Werk an Atmosphäre auffahren. Wurde ihnen nicht ein modischer „Funky No Wave Eighties Style“ nachgesagt? Verschwuni den, verloren gegangen im Walde von Hickory Lane. Dorthin haben sich die Liars zurückgezogen, um ein Themen-Album zu schmieden, auf dem es um Hexen und Besen geht und weniger der Dancefloor gerockt wird als ausprobiert, was sich aus dem guten alten Industrial-Sound der 8oer herausholen lässt. Die Einstürzenden Neubauten werden – deutlicher geht es nicht – auf dem Cover der neuen Single zitiert, und mit Sonic Youth absolvierten die Liars eine Tournee, erzählt Angus Andrew mit noch immer stolzgeschwellter Brust. „Als ich gehört habe, dass wir mit ihnen auf Tour gehen werden, dachte ich, mein Leben ist perfekt. Gleichzeitig fand ich es beschämend, dass wir ihnen nur einen musikalischen Aspekt von uns vorspielen konnten. Nach der Tour war klar, dass wir eine Auszeit nehmen mussten und nicht denselben Sound wie vorher machen wollten.“

Andrew stolperte im Internet über den Brocken, einen wolkenverhangenen Gipfel im sächsischen Harzgebirge, als „Blocksberg“ der Sage nach Treffpunkt für Hexen, die dort in der Walpurgisnacht mit dem Teufel tanzen. Der Titel der neuen Liars-CD theywere wrong, so we drowned bezieht sich auf den berüchtigten Hexentest, bei dem die gefesselten Opfer in einen Fluss geworfen wurden und ertrinken mussten, um ihre Unschuld zu beweisen. „Die Songs erzählen eine Geschichte darüber, wie Kinder in einen Wald gehen, um Hexen zu suchen. Sie finden sie, und die Hexen werden umgebracht. Das Ganze spielt aber auch auf die Märchen und Geschichten an, die es über Hexen gibt. Wir haben zwei Monate in einem Haus im Wald gelebt und dort aufgenommen. Wir hatten uns ein bisschen Equipment gekauft, einen kleinen Taperecorder wie deinen hier, und dann haben wir ein rumprobiert. Die Aufnahmen waren ziemlich lo-fi, aber ich habe sie anschließend noch im Computer bearbeitet“, sagt Angus. Im letzten Stück, „Flow My Tears The Spider Said“, hören wir die geheimnisvolle Stimme des Waldes mehr als die Stimme New Yorks: Es knirscht und raschelt im Gestrüpp, finstere Stimmen wechseln sich ab mit munterem Vogelgezwitscher. „Unsere letzte Platte war sehr amerikanisch,hatteviel mit NewYorkzu tun.Wir nehmen uns aber das Recht, unsauch als Teil vom Rest derWelt zu betrachten und uns für Geschichte zu interessieren, die außerhalb Amerikas passierte“, meint Andrew lapidar und erkundigt sich gleich mal nach Mythen und Legenden, die Europa noch so zu bieten hat. Die Dance-Clubs werden der Platte wenig abgewinnen können. Die Liars sind auf einem anderen Trip, auch wenn sie sich live weiterhin in bester New Yorker Club-Manier präsentieren.