Interview: Tom Waits


Ein Sonderling? Nicht doch! Im Interview greift Waits (49) völlig normale Themen auf-das Dasein von Stubenfliegen etwa, von Küchenschaben und Skorpionen.

Ihr letztes Album, „Bone Machine“, klang apokalyptisch. „Mute Variation*“ dagegen, das aktuelle Werk, wirkt fast schon versöhnlich – wie die Ruhe nach dem Sturm.

„Nun ja, ich denke, es ist einfach eine andere Kategorie, ein anderer Schauplatz. Man kann nicht immer wieder in dem selben Loch buddeln. Also habe ich mir ein neues Fleckchen zum Angeln gesucht. Das Wort „Zuhause“ kommt ja in vielen Songs vor – dementsprechend anders ist meine neue Kollektion eben geworden. Es heißt „Mule Variations“, weil mir meine Frau mal gesagt hat: „Ich habe keinen Mann geheiratet, ich habe einen Maulesel geheiratet.“ Mein Leben hat sich in vielerlei Hinsicht verändert. Bitte sehr – hier habt Ihr Eure „Maulesel-Variationen“.“

Ihre Frau spielte damit sicher auf die Beharrlichkeit des Tom Waits an. Insofern ist es fast schon ein Kompliment.

„Was? Daß ich ein Maulesel bin?“ (lacht)

Klar – auch ein Maulesel ist sehr beharrlich.

„Um nicht zu sagen: konsequent dickköpfig. Wenn Du jemals in deinem Leben mit Mauleseln zu tun hattest, weißt Du, daß sie völlig eigensinnig sind und niemals auf Dich hören.“

Auf dem Album angeln Sie in vielen verschiedenen Löchern. Nicht alle sind neu. Zum Beispiel spielen Sie wieder viel Klavier, obwohl Sie einmal sagten, es falle Ihnen schwer, noch mit diesem Instrument zu arbeiten.

„Das Klavier ist ein „Fischer“ aus New York, also prädestiniert dafür, dicke Fische zu angeln. Es klingt hervorragend im Raum. Wir nahmen es so auf, als stünde es in einer Garage. Und da stand es tatsächlich! Instrumente brauchen die richtige Umgebung, um richtig klingen zu können.“

Sie hatten immer ein sehr gespaltenes Verhältnis zu Klavieren. So sagten Sie einmal, daß sich alle Klavierspieler insgeheim wünschen, ihr Klavier einmal von einem Hausdach herunterzuwerfen und dann unten am Boden den Klang des Aufpralls zu hören.

„Das stimmt.“

Im Grunde brauchten sie zwei Klaviere: eines zum Spielen und eines zum Kaputtmachen.

„Gute Idee. Dummerweise ist es ja so, daß man bei Konzerten notgedrungen immer auf dem Klavier eines anderen spielen muß. Außer Elton lohn hat doch niemand auf Tour sein eigenes Klavier dabei. Ich kann dann nur sagen: Besorgt mir ein gutes Klavier. Doch das bedeutet für jeden etwas anderes. Eine Gitarre kann man überallhin mitnehmen.“

Auf dem neuen Album spielen Sie nicht mehr so viel Percussion-Instrumente wie auf dem letzten.

„Ich habe einen Profi angeheuert. Wir fanden ein paar Leute, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen ganz im Gegensatz zu mir: Stephen Hodges, Andrew Borger und Brain von der Band Primus, ein exzellenter Percussionist mit wirren Ideen.“

Das müßte Ihnen sehr entgegenkommen. Auch Sie praktizierten jahrelang, wie man Songs schreibt und sie hinterher wieder dekonstruiert.

„Ich denke, daß der Kontext, in dem man einen Song hört, immer wichtiger geworden ist. Mir geht es nicht mehr nur noch um den Song an sich. Früher schrieb ich einen Song, das Aufnehmen hinterher war nicht so wichtig. Jetzt spiele ich lieber mit unterschiedlichen Facetten und Gesichtern der Songs.“

Half Ihnen dabei auch die Arbeit, die Songs für ihr Best-Of-Album „Beautiful Maladies“ zusammenzustellen?

„Ich wurde mitten in den Aufnahmen für das neue Album damit konfrontiert. Es stimmt. Man muß eine Balance zwischen den Songs finden. Und wenn du das schaffst, hat die Sache zwei Beine, zwei Arme und einen Schwanz.“

Manchmal auch zwei Köpfe.

„Das sind die guten – die zweiköpfigen Alben.“

Ist das neue ein zweiköpfiges Album?

„Es ist eine Art Schwarzweißfilm. Ich weiß nicht, ob es ein zweiköpfiges Etwas ist.

Es ist auffällig, daß sie mit Ihren Texten in den letzten zehn Jahren so eine Art Lokaljournalist geworden sind.“

Viele Ideen scheinen aus dem Lokalteil einer Zeitung zu stammen. Sehen Sie sich als Chronist Ihrer Heimatstadt?

„Vielleicht. Bis zu einem gewissen Grad. Wie Sie wissen, sammle ich seltsame Nachrichten. (Er blättert in seinem Notizbuch). Wußten Sie zum Beispiel, daß ein Skorpion, dem man eine winzige Menge Alkohol auf den Körper tröpfelt, sofort völlig durchdreht und sich mit seinem Stachel selbst totsticht? Und weiter: Wußten Sie, daß eine Stubenfliege nur zwei Wochen lebt? Zwei Wochen! Daran sollte man denken, bevor man eine Fliege an die Wand klatscht: ist sie schon älter, oder eben erst geboren? Mir hat das sehr zu denken gegeben. Ich lasse sie nun lieber in Ruhe einen natürlichen Tod sterben. Sie haben ja nur zwei Wochen. Andererseits kann eine Ameisenkönigin 50 Jahre alt werden. 50 Jahre! Die Ameisenkönigin.“

Heißt das, daß Sie Respekt vor dem Alter haben?

„So habe ich es noch nicht gesehen. Vielleicht sollte ich das aber. (Er liest weiter). In Arizona ist es verboten, Kamele zu jagen. Und jeder Bürger von Kentucky ist verpflichtet, einmal pro Jahr ein Bad zu nehmen. Einmal pro Jahr. Und die Gefängnisse sind voll mit Leuten, die versucht haben, sich darum zu drücken. Eine Küchenschabe kann mehrere Wochen lang mit abgeschnittenem Kopfweiterleben. Und noch eine Geschichte: Ameisen strecken sich, nachdem sie aufgewacht sind. Man hat das unter dem Mikroskop beobachtet. Sie strecken sich. Sie gähnen sogar. Und sie haben kleine Bars, in die sie nach der Arbeit gehen. Das ist wahr. Dort trinken sie diesen Nektar, der sie ein bißchen beschwipst macht. Und Stechmücken schließlich – ich will Sie nicht weiter langweilen mit diesen Dingen – Stechmücken fühlen sich von Blau stärker angezogen als von jeder anderen Farbe. Es empfiehlt sich also, ein rotes Hemd in die Tropen mitzunehmen.“

Wo haben Sie das alles her? Sie müssen unglaubliche Informationsquellen haben?

„Hier ist noch eine: Thomas Edison war seit seinem zwölften Lebensjahr taub. Ein Zugschaffner zog ihn an den Ohren in den Wagon – dabei platzten beide Trommelfelle. Das ist wahr! Aber keiner sagt dir das! Beethoven schüttete sich Eiswasser über den Kopf, bevor er sich zum Komponieren hinsetzte. Stellen Sie sich das mal vor: Schüttet sich Eiswasser über den Kopf und dann „Da-Da-Da-Daaaa““ (klopft mit den Fingern auf imaginäre Tasten der Tischplatte).

Woher bekommen Sie solche Informationen? Nur von Gesprächen mit Leuten?

„Oh – man findet sie überall. In verschiedenen Publikationen. Ich lese die Zeitung. Meine Frau und ich haben einen großen Stapel mit Zeitungsmeldungen, die uns ungewöhnlich, exzentrisch oder irgendwie bizarr erschienen. Am Jahresende setzen wir uns dann vor diesen Stapel und lesen die Ausschnitte. Die eingedampfte Information der Zeitungsausgaben. Wichtig ist nur, aus welcher Perspektive man solche Dinge sieht. Mit Schallplatten mache ich es genauso. Ich kaufe mir Platten, höre sie mir zunächst aber nicht an. Ich begrabe sie im Garten und buddle sie ein ahr später wieder aus. Platten sind manchmal viel zu sehr beeinflußt von der Zeit, in der sie entstehen sie brauchen Abstand davon.“

Machen Sie das auch mit Ihren eigenen Platten? Haben sie deshalb eine ähnliche Roheit wie die von Leadbelly oder Robert Johnson?

„Man kann an dem, wie man wahrgenommen wird, nicht viel ändern. Du bringst deine Sachen heraus und weißt nicht, wo sie auf fruchtbaren Boden fallen. Es passiert schnell, daß man sich vom Rest der Welt abkoppelt und glaubt, man erschaffe etwas wirklich Wichtiges. Fakt ist: In jeder Ejakulation sind 400mal Hundert Millionen Spermien, und manchmal fällt es schwer zu glauben, daß die, die jetzt unter uns weilen, tatsächlich diejenigen sind, die dieses Wettrennen gewonnen haben. (Lacht). Also – ich kann das nicht glauben.“

Einige Ihrer neuen Songs klingen fast wie weiße Gospel-Lieder. Soweit ich mich erinnern kann, sagte Ihre Mutter zur Zeit von „Bone Machine“ zu Ihnen: „Der Teufel haßt nichts mehr als einen singenden Christen“. Wie es scheint, haben sie einen Exorzisten konsultiert?

„Ich weiß nicht. Ich liebe einfach diese Musik. Ich habe schon immer jedem Straßenprediger fasziniert zugehört. Die haben ein kleines Ansteck-Mikrofon am Revers und den Lautsprecher in der Aktentasche. Echt erstaunlich. Sie predigen mit dem Lärm der Zivilisation um die Wette – gegen Busse und Kinder und Hunde und Sirenen. Du siehst diesen Typ da draußen, wie er den Kopf schüttelt, seine Augen schließt und von den „Werkzeugen des Zimmermanns“ predigt. Das ist ein Thema! Diese Typen – ich bin immer wieder stehengeblieben und habe ihnen gelauscht.“

Ihre Predigten sind eine Art Rap, nicht wahr?

„Oh Gott, ja. Auf jeden Fall.“

Andere Ihrer Songs haben dagegen etwas von Kinderliedern. Sind Kinderlieder nicht oft auch ziemlich brutal?

„Auf jeden Fall. Als ich anfing, hatte ich den Song „Bonnie Bonnie Bedlam“ im Programm. Er handelt von einer Irrenanstalt. Ja, ich glaube, daß sich viele Kinderlieder um die Schattenseiten unserer Existenz drehen. Auf meiner Platte habe ich diese Idee aufgegriffen und sie weitergesponnen. Es ist auch eine Art Metapher für das Showgeschäft. Die meisten Leute im Showgeschäft sind auf irgendeine Art und Weise wie beschädigte Gegenstände. Sie stammen aus zerbrochenen Familien – und genau das brachte sie, wie jedermann weiß, auf die Idee, ins Showgeschäft einzusteigen. Es ist so etwas wie ein Waisenhaus für diese Leute. So funktioniert auch der Song „Eyeball Kid“: Was passiert mit jemanden, der ohne Körper geboren wurde? Garantiert wird ihn jemand ansprechen und ihn fragen, ob er nicht ins Management einsteigen wolle.“

Wenn wir schon von Showgeschäft sprechen: Wie steht es mit neuen Filmen? Sie scheinen offener geworden zu sein, was Filmrollen angeht.

„Normalerweise bekomme ich große Rollen nur in eher obskuren Filmen angeboten. Oder einen kleinen Part in sehr großen Filmen. So ist das nun mal. Ich habe neulich in einem Film einen WafFen-Designer gespielt, der ziemlich bizarre Waffen erfindet. Eine davon ist ein „Schuld-Werfer“. Wenn du ihn auf Leute richtest, fangen sie sofort an, sich gegenseitig zu beschuldigen. Der Regisseur hieß Kinka Usher, der Film „Mystery Man“. Ich spielte die Figur des Doc Heller. Hat Spaß gemacht. Eddie Izard spielt mit, Geoffrey Rush, Ben Stiller und William Macy. Und Ricky Jay, der Zauberer.“

Früher gab es meistens eine klare Verbindung zwischen Ihrer Musik und Ihren Filmrollen. Einen Waffen-Designer zu spielen, war sicher neu für Sie?

„Nicht wirklich. Er ist ein unrasierter Typ, der in einem verlassenen Vergnügungspark in der Wüste lebt. Es ist schwer zu sagen, ob solche Rollen wirklich für mich geschrieben werden. Vielleicht werden sie einfach nur geschrieben, und dann komme ich, probiere sie für mich aus – und sie passen. Keine Ahnung. Was ich aber sicher weiß: Es gibt eine Verbindung zwischen der Art, wie du lebst und dem, was du tust, was du denkst, was du träumst und was dir angeboten wird. Wenn du einmal in einem Film einen Zuhälter gespielt hast, ist die Chance groß, daß man dir weitere Rollen als Zuhälter anbietet. Deshalb versuchen die meisten Schauspieler, so flexibel wie möglich zu sein. Aber ich bin kein Schauspieler. Ich habe in Filmen gespielt, aber ich bin kein Schauspieler im engeren Sinne des Wortes.“

Aber Sie haben es mit Leidenschaft gemacht. Das kommt rüber. Und ist es nicht die Leidenschaft, die einen Schauspieler groß macht?

„Ich denke schon. Dummerweise bedeutet Filmemachen immer, daß man lange Zeit nur herumsitzt und einfach wartet. Meistens wartet man. In Wahrheit wirst du fürs Warten bezahlt. Das Schauspielern selbst ist umsonst.“

Wie steht es mit Konzerten? Gibt es keine Möglichkeit, Sie für Auftritte zu begeistern?

„Ich werde ein paar Shows spielen, aber ich weiß nicht wo und wieviele. Tourneen machen mir Kopfschmerzen. Man ist da immer so lange weg von daheim. Es gibt so viel Leerlauf. Man beißt sich Stücke aus seinem Mantel und stampft mit den Füßen. Ich habe noch keinen Weg gefunden, auf eine gesunde An damit zurechtzukommen. Aber ich arbeite daran. In der grauen Vorzeit war ich permanent auf Tour. Ich lebte aus dem Koffer. Aber jetzt ist alles anders: Ich habe Kinder, eine Familie. Man muß mir also schon etwas verdammt Attraktives anbieten, damit ich meinen Hintern hochbekomme. Verdoppelt die Gage – das meine ich damit!“

Sie sagten einmal, sie mögen Auftritte deshalb nicht, weil Sie im Laufe einer Tour Ihre eigenen Songs mehr und mehr hassen würden.

„Das stimmt. Man trägt sie auf. Es ist wie bei einem Kleidungsstück. Du hast es getragen, es aufgetragen – und kannst es nun nicht mehr anziehen. Schmeiß es weg oder schenk es jemandem. Es gibt Songs, da weißt du im Moment des Komponierens, daß du sie problemlos zehn Jahre lang singen kannst. Andere Songs singst du nie wieder. Es ist schwer vorherzusagen, wie der Lebensweg eines Songs sein wird.“

Aber erweckt man einen Song nicht auch zum Leben, indem man ihn vor Publikum singt?

„Das stimmt, ja. Man stopft einen Song in eine Schachtel. Und dann holt man den Song, den man schon lange nicht mehr gespielt hat, aus dieser Schachtel wieder heraus – und er klingt großartig. Du veränderst ihn in die Richtung, die du jetzt fühlst. Oder interpretierst ihn völlig neu. Das ist eine gute Sache mit diesen Songs. Sie sind frisch. Sie bleiben frisch. Du mußt sie nur vorsichtig behandeln. Aber ich denke, mich interessiert es mehr, Songs zu schreiben. Ich liebe diesen Vorgang. Ich schreibe Songs gemeinsam mit meiner Frau, sie ist ein exzellenter Songwriter: „Du spülst, ich trockne ab.“ „Halt, den Nagel, ich haue mit dem Hammer drauf.“ Ich liebe den Rhythmus dieser Worte. Wir haben eine interessante Form der Zusammenarbeit entwickelt. Ein Spaß für die ganze Familie. Ich liebe das, aber es gibt auch Dinge, die würde ich ebenfalls sehr gerne können. Die Toilette reparieren zum Beispiel. Ich sollte mich auch wieder der Medizin widmen – ein Feld, auf dem ich immer unterschätzt wurde.“

Stimmt es also doch, daß Sie früher einmal Medizin studiert haben?

„Nicht ganz. Ich flog nach drei Jahren von der Uni. Aber ich praktiziere noch ein bißchen nebenher. Zum Sonderpreis.“