Iron Maiden


Ne Ladung Lärm gefällig? Kein Problem! Iron Maiden melden sich zurück. Und das gleich doppelt - als Computerspiel und mit Sänger Bruce Dickinson am Mikrophon.

FINSTER ERHEBT SICH IM NEBEL DIE Friedhofskapelle. Umfriedet von einer Kirchenmauer stehen die verwitterten Grabsteine, halb eingesunken in den moosigen Grund. Irgendwas stimmt hier nicht. Irgendwas liegt in der Luft. Vielleicht sind es ja die sägenden Gitarren, die … – Halt, was ist das? Eine Hand bricht aus dem Erdreich, eine Klaue – und gleich darauf erhebt sich ein vermodernder Zombie zu voller Größe. Greift sich tief in den Brustkorb, reißt ein Organ heraus und schleudert es in unsere Richtung. Blitze durchzucken den nachtblauen Himmel, während immer mehr Untote über den Friedhof torkeln und uns mit Totenschädeln, Extremitäten und anderen Dingen bewerfen, die im Zustand fortgeschrittener Verwesung eben nicht mehr ganz niet- und nagelfest sind. Welch Glück, daß wir uns bewaffnet haben. Also schnell nach der Maschinenpistole vom Typ Heckler & Koch MP5 greifen, den Abzug durchziehen und ballern, ballern, ballern, daß es nur so spritzt. BLAMMklickklackBLAMM – schießen, nachladen, schießen. Derweil schwellen die Gitarren an, unverkennbar Iron Maiden, und Bruce Dickinson bellt: „Can I Play With Madness?“. Oh yes, you can, nämlich mit dem neuen Computerspiel „Ed Hunter“. „Immer auf die Köpfe zielen“, sagt seelenruhig Bruce Dickinson, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, „das gibt mehr Punkte“.

Wir reiben uns die Augen und stellen erleichtert fest, daß wir in Sicherheit sind. Zwar ist das Bahnhofsviertel von Amsterdam auch keine ganz zombiefreie Gegend. Doch hier oben, im 6. Stock des Hotels, ist die Situation ein wenig entspannter. Aber eben nur ein wenig, denn Iron Maiden haben die ganze Etage gemietet, eine ganze Woche lang, um lournalisten aus aller Welt ihr Computerspiel vorzustellen und ihr Comeback zu feiern. Ihr Comeback als Computerspiel sozusagen. Und zwar sprichwörtlich, denn in „Ed Hunter“ (VÖ am 17. Mai für PC und Playstation) erscheinen die Köpfe der sechs Bandmitglieder, auf Pfähle gespießt. Wer sie abknallt, kassiert Bonuspunkte für Dave Murray (40) , Janick Gers (43), Steve Harris (42), Nicko McBrain (44) und den einzig Kurzgeschorenen, den Rückkehrer Bruce Dickinson (40), der auch gleich den Gitarristen Adrian Smith (42) wieder mitgebracht hat. Iron Maiden müssen tatsächlich einiges an Gewicht in die Waagschale werfen, wollen sie an die große Zeit ihres Genres anknüpfen. Anfang der 80er Jahre sorgten die Briten – damals noch mit Clive Burr am Schlagzeug und dem verhuschten Paul Di‘ Anno am Mikrophon – mit Veröffentlichungen wie „Iron Maiden“ (1980) oder „Killers“ (1981) für ein mittleres Erdbeben. Unbeholfen zunächst, setzten sie mit ihrer aggressiven Gitarrenarbeit, düsteren Lyrics und simplen Melodien deutliche Akzente in einer Zeit, da der Stern der rabiaten Rockmusik im Sinken begriffen und das Zeitalter der New Wave heraufzudämmern begann. Die lärmenden Jungs in hautengen Stretchhosen und bunten Leibchen avancierten rasch zum Motor der „New Wave Of British Heavy Metal“, kurz und nicht unkomisch auch NWOBHM genannt. Paßte wie die Faust aufs Auge, daß die New-comer mit Martin Birch vom selben Produzenten verarztet wurden, der auch schon der „Old Wave Of British Heavy Metal“ (Black Sabbath etc.) den letzten Schliff verpaßt hatte. Als hier noch glühte, was später zu Schwermetall geschmiedet werden sollte, da wurden Platten von Bands wie Saxon, Tygers Of Pan Tang, Girlschool, Judas Priest oder eben Iron Maiden als heiße Eisen gehandelt. Lars Ulrich machte im fernen Kalifornien seinem Kumpel James Hetfield mit dem seltsamen Vinyl aus Europa die Nase lang – aber nicht nur Metallica, auch die Jugend der Vorstädte gouüerte die konsequente Reduktion von Rockmusik auf gewisse, unumstößliche Grundwerte. Und die wurden spätestens 1983 definiert, als mit „The Number Of The Beast“ das Neue Testament des Heavy Metal an die Spitze der britischen Charts stürmte. Von Kritikern als akustischer Dünnpfiff abgetan, machten die Fans Iron Maiden zur erfolgreichsten Heavy Metal-Band aller Zeiten.

Neben dem Gitarrenriff zur Pubertät setzte die Band mit provokantem Artwork, dämonischem Brimborium und einer schaurigen Identifikationsfigur als Maskottchen auf gekonnte Vermarktung. Der androide Psychokiller „Eddie The Knife“, vom Banddesigner Derek Riggs entworfen, tumte über Leichenberge („The Trooper“), barmte in der Gummizelle („Piece Of Mind“), patrouillierte durch ein Blade-Runner-Setting („Somewhere In Time“), steuerte Jagdflugzeuge („Aces High“) oder schwebte, surreal ausgeweidet, über arktischen Wassern („Seventh Son Of A Seventh Son“) – und stieg immer mal wieder aus seinem Grab, um unbotmäßigen Musikjournalisten an die Gurgel zu gehen („No Prayer ForThe Dying“). „Die ganze Bilderwelt von Iron Maiden schrie schon immer danach, in ein Computerspiel umgebettet zu werden“, brüllt Rob Smallwood, weil er die beiden PCs übertönen muß, auf denen gerade simultan „Ed Hunter“ gespielt wird. Der Mann mit dem bezeichnenden Nachnamen hält als Manager bei Iron Maiden alle Fäden in der Hand und bahnte die Rückkehr von Dickinson/Smith ebenso an wie die Umsetzung des Ballerspiels. Wir erinnern uns, BLAMMklickklackBLAMM, und der Spieler kann sich den Soundtrack zum Gemetzel aus einem Menü der 20 beliebtesten Maiden-Titel auswählen – von den Fans per Internet gekürt.

„Schon vor meinem Ausstieg bei Maiden haben wir den Plan gefaßt, Eddie in einem Spiel auftreten zu lassen“, erklärt ein sichtlich aufgekratzter Bruce Dickinson, „da trifft es sich prima, daß die Reunion mit der Fertigstellung des Projekts zusammenfällt!“ Persönlich schätze er ja eher strategische Spiele wie „Sim City“, seine Kinder aber hätten viel Spaß gehabt mit Ed Hunter. Dem Maskottchen hatte Dickinson allerdings zwischenzeitlich den Rücken gekehrt, um seine glücklose Solokarriere voranzutreiben: „Skunkworks“ (1996) ging im Treibsand des Grunge unter, mit „Chemical Wedding“ (1998) konnte Dickinson sich immerhin wieder als Maiden-Sänger empfehlen. Zum richtigen Zeitpunkt, weil Iron Maiden gerade ihren Ersatzsänger Blaze Bayley als Ballast abwarfen, weil „The X-Factor“ und „Virtual XI“ wie Blei in den Regalen lagen, weil kein rechtes Songwriting mehr Zustandekommen mochte. Weil vielleicht auch einfach Sense is‘ mit Metal? „Quatsch“, blafft Janick Gers, „das wird behauptet, seit es Metal gibt. Das haben sie in den 70em über Deep Purple geschrieben, in den 80ern über uns, und sie werden es wieder schreiben, wenn wir im Sommer auf Tournee gehen und das neue Album kommt!“ Wo früher ein mechanischer Eddie über die Bühne stakste, soll sich die Reunion-Tour komplett ums Computerspiel drehen: „Die Tour wird das Spiel“, beteuert Dickinson, möchte mehr aber auch nicht verraten. Für den Flobbyfechter und Kinderbuchautor gehört das Klappern zum Handwerk: „Die Leute wollen kein Pop- Metal mehr, wie es Metallica liefern. Wir werden ihnen den wahren Metal- Sound zurückgeben – und größer sein, als wir es jemals waren.“ Iron Maiden für die ganze Familie? Der Masterplan ist denkbar einfach: „Ed Hunter“ soll die Kids locken, und mit einem live dargebotenen Gitarreninferno namens „Triple Axe Attack“ werden Altfreaks angesprochen – drei Gitarren auf einmal! Das haben zuvor „nur Lynyrd Skynyrd“ gemacht, meint Dickinson, „außerdem sieht’s geil aus.“