Is‘ was faul bei Dir, Michael Schenker?


Michael Schenker stand kurz vor der Explosion. Ein deutscher Journalist hatte das Gerücht verbreitet, der "Mad Axeman" ließe sich auf der Bühne von einem versteckten Gitarristen doublen. Andreas Kraatz ging dem Vorwurf nach und kam zu dem Schluß, daß hier aus einer Maus ein Elefant gemacht wurde...

In knallige Schlagzeilen über Michael Schenker hat man sich mittlerweile gewöhnt. Doch diesmal gab nicht eine Drogen- oder Alkohol-Affäre, sondern die spektakuläre Enthüllung des ‚geheimnisvollen‘ zweiten Gitarristen der MSG Anlaß zu einigem Wirbel. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von dubiosen Machenschaften hinter den Kulissen.

Was war passiert? Ein gewisser Steve Casey, schon bei UFO Roadie von Michael Schenker, soll – vom Publikum durch die Verstärker abgeschirmt – auf seiner Gitarre neben dem Rhythmus auch jene Soli geliefert haben, für die sich Schenker als Supergitarrist feiern läßt. Mit anderen Worten: Casey spielt die Rolle des unsichtbaren Stuntmans, während Schenker den Star mimt und den Beifall kassiert. Ein gravierender Vorwurf also, wenn man bedenkt, daß sich der blonde Teutone vor allem durch seine Soli den Ruf eines Gitarristen der Extraklasse erspielt hat.

Zurück zum Ort des Geschehens: Nürnberg, Anfang September, wo das fünfte „Golden Summernight“ -Festival mit Neil Young als Headliner über die Bühne geht. Als ich auf dem Zeppelinfeld eintreffe und mich hinter den Verstärkern postiere, um die Show der MSG besser verfolgen zu können, ist die Band bereits voll in Fahrt. Der Sound ist klar und kompakt, der Rhythmus abwechslungsreich und druckvoll, alles in allem eine glänzende Vorstellung – Hardrock mit Gütesiegel.

Aufmerksam beobachte ich, wie Schenker in gewohnter Manier – seine Gibson Flying V-Gitarre im Anschlag – über die Bühne pendelt. Aus der Nahe wirken seine Bewegungen weniger kraftvoll, eher etwas ungelenk und fahrig, dennoch bringen seine fingerfertigen Soli, ob in „Armed And Ready“ oder „Are You Ready To Rock“, die Kids vor der Bühne auf Touren. Kurz vor Ende der Show entdecke ich einen Roadie mit einer Gibson-Les Paul Standard-Gitarre hinter Schenkers Marshall-Turrn. Ohne ihn jedoch weiter zu beachten, verlasse ich bald darauf die Bühne.

Ungefähr drei Wochen spater erfahre ich von Schenker, daß jene unscheinbare Person Steve Casey heißt, der aber zu schüchtern sei aufzutreten und deshalb hinter den Boxen die Rhythmus-Gitarre immer dann bediene, wenn er zu einem Solo ansetzt Soweit die Vorgeschichte, Fortsetzung folgt.

Ende November führt mich ein kurzer Abstecher nach London ins Hammersmith Odeon Theatre, wo die MSG im Rahmen ihrer England-Tour gastiert. Manager Rob Cooksey, sichtlich sauer über die Gerüchte, die nun auch auf der Insel kursieren, versichert mir, weder er noch die Plattenfirma Chrysalis hätten je ein Geheimnis aus der Existenz eines zweiten, wohlgemerkt Rhythm us-Gitarristen gemacht. Alle Spekulationen über Steve Casey’s Rolle als gelegentlicher Schenker-Ersatzmann seien barer Unsinn.

Showdown: An diesem Abend ist allein einer Chef im Ring, Michael Schenker, dem die Fans gleich zu Beginn einen triumphalen Empfang bereiten. Überraschend frisch und erholt, keine Spur mehr von den Strapazen der letzten Wochen, bleibt er seinem Ruf als Jeutonic axeman“ nichts schuldig. Von Song zu Song, von Solo zu Solo: Schenker steigert sich zusehends in einen wahren Spielrausch hinein, immer wieder angefeuert vom rhythmischen Beifall des Publikums. Glanzvoller Höhepunkt ist der Song „Rock Bottom“, den er mit markig melodischen Riffs und stellenweise schriller Saiten-Akrobatik zu einer 15-minütigen Gitarrenschlacht ausdehnt. Klar und deutlich höre ich die Akkorde der Rhythmus-Gitarre; während ‚Metal Mickey‘ seine Solonummern liefert.

Fazit: Trotz dieser eindrucksvollen, ja mitreißenden Hardrock-Galashow werden die Gerüchte um Michael Schenker erst dann an Zündstoff verlieren, wenn der Rhythmus-Gitarrist, einerlei ob Casey oder ein anderer, nicht nur zu hören, sondern auch für jedermann sichtbar ist!

Auch sonst ist das letzte Jahr für alle Beteiligten recht stürmisch verlaufen. Obwohl ihn die englische Musikpresse förmlich mit Lorbeeren überschüttet, Auszeichnungen wie Wundergitarrist“ oder „Spielführer der Neuen Schule“

(im Unterschied zur „Alten Schule* eines Clapton oder Beck) keine Seltenheit sind, war der MSG vorerst weniger Erfolg beschieden. Ständige Unruhe in den eigenen Reihen führte schließlich dazu, daß das mit ONE NIGHT AT BUDOKAN (so der Titel desüve-Album) einsetzende konjunkturelle Hoch sich bald schon als Strohfeuer erwies.

Einstals „Supergruppe“ gestartet, war dem Starensemble auf halber Strecke die Luft ausgegangen. Erst warf Paul Raymond (key, g) – nach Schenker von UFO zu MSG gewechselt – das Handtuch, darauf Sänger Gary Barden und zuletzt Startrommler Cozy Powell Nach langer Zeit wieder einmal in der ‚Heimat‘, steht mir Michael Schenker Rede und Antwort, unterstützt vom Wortführer der Band, Bassist Chris Glen und Drummer Ted McKenna (der Schweigsame). Ehe wir aufs neue Album eingehen, interessiert mich vor allem die Meldung, der exzentrische Gitarrist habe den drei Genannten eigenhändig den Laufpaß gegeben.

„Alles Quatsch“, meint Michael, „Paul (Raymond) war einlach scharf auf eigene Songs, die aber irgendwie nicht in unser Konzept paßten. Und da hat er eben den Hut genommen und ist gegangen. Was Gary betrifft, derwollte ein bißchen herumexperimentieren, mehr seine eigenen Sachen machen, vielleicht war’s auch einfach zuviel für ihn. Immerhin war er aus dem Nichts gleich in eine erstklassige Band gekommen. Rausgeschmissen hat ihn jedenfalls niemand Mit Cozy war das was anderes, wir hatten so eine Art Clint Eastwood und Charles Bronson-Verhältnis zueinander…“

„… Cozy hetzte ständig von Job zu Job, hier Solo-LP, da Studio-Ärbeit, und wenn er dann schlaff in den Seilen hing, war Michael schon wieder auf den Beinen und startklar“, ergänzt Chris und fährt fort: “ Was soll’s, das Ganze war eine Entwicklung, die jede Band durchmacht. Nimm etwa Gary, der hat seit zwei Jahren eigene Songs komponiert, Demos aufgenommen und wollte zuletzt sehen, ob er’s nicht auch allein packt.“

Apropos Gary, überrascht hat mich nur, daß auch Graham Bonnet’s vielumjubelter Einstand nicht länger als eine LP gedauert hat. Auf ASSAULT ATTACK (so der Titel des Albums) ist sein Organ noch zu hören, doch live singt der gerade erst verabschiedete Gary Barden wieder in Eurer Mitte. Hat sich das Gruppen-Karussell etwa schon wieder gedreht?

.Dazu muß man die Vorgeschichte kennen“, erklärt Chris, „das hat sich alles schon vor Reading (dem alljährlichen Hard ’n Heavy-Festival auf der Insel) abgespielt. Graham ist sichereiner der stärksten Rock ’n Roll Sänger überhaupt, doch wir hatten etwas übersehen. Daß er nämlich gesundheitliche Probleme hat und als Epileptiker nicht mit uns touren kann. Am Freitag vor Reading hatten wir nach über einem Jahr wieder einen Gig. Zwei Tage davor hatte Graham einen Anfall gehabt und an dem Abend machte er viele Fehler, vergaß die Texte, geriet in Panik und hat die Bühne schon nach der Hälfte verlassen.

Daraufhin haben wir Gary zurückgeholt, am nächsten Tag für Reading geprobt – und weil alles recht gut lief, fragten wir ihn, ob er nicht bleiben will. Und er stimmte zu. Das heißt: Graham ist nicht mehr bei MSG, für ihn geht Gary mit auf Tour.“

Die neuformierte (überwiegend alte) Michael Schenker Group setzt sich demnach aus Michael Schenker, Chris Glen (b), Gary Barden (voc) und last but not least Ted McKenna (dr) zusammen.

“ Genau, MSGstehtvon heute an für McKenna, Schenker und Glen“, scherzt Chris. Für Live-Auftritte hat man außerdem ein noch unbeschriebenes Blatt namens Andy Nye in der Hinterhand, der Paul Raymond an den Keyboards ersetzt. Und jener ominöse Steve Casey übernimmt den Part des Rhythmusgitarristen.

Ein dunkles Kapitel der‘ noch jungen Bandgeschichte‘ ist mit dem Namen des Produzenten Ron Nevison überschrieben. Seine Arbeit am MSG II-Album war mit der Grund für den spateren Mißerfolg. Trotz vieler hochkarätiger Schenker/Barden-Kompositionen war die Scheibe vom Sound her eine Katastrophe, eine herbe Enttäuschung für viele Fans und für die Band ein finanzieller Reinfall.

„Das war kein Produzent, das war ein schlechter Witz, eine einzige Krankheit“, und weiter Originalton Chris, „ganz zu schweigen von dem vielen Geld, ungefähr eine Million Mark, die wir seinetwegen in den Schornstein schreiben mußten.“

„Seitdem nennen wir ihn nicht mehr Ron, sondern Wrong‘ Nevison“, lautet Michaeli Urteil, „und nun geben wir ihm den Rest.“

Das hört sich aus Chris Mund dann so an: „Seine Seh ,.. arbeit hat der Band sehr geschadet. Das Live-Album haben wir deshalb selbst in die Hand genommen. Und das Ergebnis gibt uns Recht. Schon die Demo-Bänder für die Nevison-LPklangen besser als das miserable Endprodukt. Wir hätten das Ganze genauso gut auf deinem Täpe-Recorder machen können.“

Daß man sich im Studio außer verbalen Gefechten auch Handgreiflicheres geboten haben soll, sei nur am Rande erwähnt.

Erstaunlich, daß vor allem Schenker und Glen sich von diesem Rückschlag schnell erholten und unbeirrt die neue Studio-LP in Angriff nahmen. Dabei hat man im Unterschied zum Nevison-Unfall von vornherein besonderes Gewicht auf die Vorbereitungen gelegt. Darhals hatte man sich mit einem Monat begnügt, dafür „aber sechs Monate im Studio verbracht“, in denen alles über den Haufen geworfen wurde. Diesmal dauerte es bald vier Monate, um das endgültige Material herauszufiltern.

Chris: „Michael hatte in der Zwischenzeit an die sechs Stunden Gitarre auf Kassetten eingespielt, die wir dann letztlich auf zwei zusammenschnitten. Einige Songs waren in dieser Fassung fast schon fertig, an anderen mußten wir noch lange feilen. Wichtig ist immer, daß alle Songs von der Gitarre, also von Michael stammen – nur so kommt überhaupt der typische MSG-Sound zustande.“

Die Frage war nun, wer sich auf den Produzenten-Sessel schwingen sollte, um den Songs im Rohzustand den angemessenen Sound-Schliff zu verleihen. Man entschied sich für Martin Birch (ursprünglich schon für Schenkers Solo-LP MSG I vorgesehen), der sich durch seine ausgezeichnete Arbeit mit Gruppen wie Rainbow und Whitesnake oder Schwergewichten wie Blue Oyster Cult und Iron Maiden einen Namen .gemacht hatte. Herausgekommen ist bei dieser Zusammenarbeit ein dynamisches, überaus lebendiges Werk, AS-SAULT ATTACK, auf dem die Band in allen acht Songs ihre neue Power beweist. Welchen Anteil hatte Birch daran, frage ich.

Chris: „Sicher hat er einen wichtigen Beitrag geliefert. Schon allein dadurch, daß er nichts verändert hat. Wenn’s etwas an unserem Material auszusetzen gab, haben wir das mit ihm geklärt, bevor’s ins Studio ging. Im großen und ganzen aber ist das, was dann auf dem Album zu hören ist, bereits vorher im Kasten gewesen.

Seine besondere Leistung besteht vornehmlich darin, keine Band wie die andere klingen zu lassen. Er hat ein Gespür für das Besondere der jeweiligen Gruppe, hält sich an deren Image und bringt das präzise auf die Platte.“

Keine leichte Aufgabe für den Produzenten, wo doch das Image der Band lange Zeit unter konstantem Verschleiß gelitten hatte. Doch das hat man jetzt im Griff, versichert mir Ted: “ Wir haben endlich festen Boden unter den Füßen, mit einem Satz, wir sind eine Band geworden. Dasist die eigentliche Basis und nur auf der kann ’s weitergehen …“

„.:. weil wirwirklich alle an einem Strang ziehen“, fahrt Chris in Sachen ImagepBege fort, „bei Nevison war das längst nicht so. Kaum hafte Cozy seinen Drum-Set beendet, verließ er schnell das Studio, um auf anderen Hochzeiten zu trommeln. Ted dagegen, war diesmal bereits nach 14 Tagen fertig und ist trotzdem bis zum Schluß geblieben. Und die änderen ebenso.“

Also tragt die neue LP nicht von ungefähr den wuchtigen Titel ASSAULT ATTACK, was zu deutsch soviel wie Sturmangriff bedeutet und wohl die wiedergewonnene musikalische Power der Band demonstrieren soll?

Michael: „Wir fühlen uns einfach stark, deshalb der Titel. Im Deutschen klingt das recht aggressiv, um nicht zu sagen kriegerisch, doch uns geht’s dabei in erster Linie um die geballte Energie, mit der wir gemeinsam musikalisch angreifen wollen.“