Michael Schenker


Hurra, Metal-Micky is back! Mit einer Superband! Und wie es aussieht auf Dauer, denn er ist wirklich durch die Hölle hin und zurück gegangen, um von seinen Qualen UFO/Drogen/Alkohol loszukommen. Es waren sicher die schwersten Jahre für Deutschlands bekanntesten Gitarristen, der jetzt ganz gelöst und frei über diese Zeit sprechen kann...

Unten sieht’s aus wie bei ’ner Talentprobe für „Rocky“, Teil 3. Langhaarige Mini-Trucks-Fahrer, (die Sorte mit den Eddie Van-Halen-Bumperstickers) üben sich im Schattenboxen, weggetretenen Preiskloppern nicht unähnlich. Gelegentlich recken sie auch mal den Mittelfinger in die Höhe, eine Geste, die der Vorgruppe The Rubber City Rebels gilt, Jungs, die sich ihre kleinen Gummi-Seelen aus dem Leibe spielen für ein Publikum, das laufend „MSG, MSG“ gröhlt (MSG ist das Logo der  Headliners und gleichzeitig auch die Abkürzung für Monosodium Gltmat, ein bekanntes Konservierungsmittel für Fleisch etc.). Vor der Tür wechseln MSG T-Shirts, -Mützen und anderer Schnickschnack den Besitzer. Ehrlich, das Zeug verkauft sich schneller als Kontrazeptive während des Stromausfalls in New York! Und oben, im Umkleideraum des Country Club, der MSG-Clan- Chrysalis Poromo-Männer in ihren Satin-Jacken, Pressefritzen, Publizisten, Musiker von unterschiedlichem Kaliber, erwünscht oder unerwünscht, und Britt Ekland in getigertem Hosenanzug – alle ziehen sie in engen Kreisen um die Stars des Abends.

Cozy Powell in Lederimitat (Opfer zu vieler Groupie-Diebstähle) und Michale Schenker in echtem Leder, biertrinkend und handschüttelnd. Dazwischen Gary Bardens, der große, langhaarige Sänger, der in seinem Satinanzug wie eine gigantische Seidenraupe aussieht, Kurzum, Michael Schenker is back!

Nach all den Horror-Stories à la „Cuckoos Nest“ – Drogen, Suff, plötzliches Verschwinden, transzendentale Meditation, religiöse Sekten, Unverantwortlichkeit, kleine grüne Männchen in fliegenden Untertassen usw. – müßte man ihn eigentlich für einen typischen Fall für die Rock’n’Roll-Klapsmühle halten und zumindest nervöse Zuckungen oder nervöses Augenrollen erwarten können. Nicht jedoch diesen ruhigen, höflichen netten 25jährigen mit seinen blonden teutonischen Charme, der sich in der letzten Zeit ja auch für Sting z.B. auszahlte. Die einzige Erinnerung an jene dunklen Zeiten ist sein Punk-Haarschnitt. Die blonden Locken von einst mußten nach seinem letzten Verschwinden daran glauben – nach einem monatelangen Versuch, zusammen mit dem ex-Montrose-Drummer Denny Carmassi und dem Bassisten Bill Church ein Comeback zu starten, schlug er seine Gitarre in Stücke, verwüstete sei Apartment, schnitt seine Haare ab und verließ die Stadt. Seine nächste Station: ein Krankenhaus für Drogen- und Alkoholkranke, wo er nach eigenen Aussagen durch die Hölle und zurück ging.

Nach mehreren schlimmen Monaten – körperlich und emotional -, Monaten, in denen er sich bei seinem Manager und engen Freund Peter Mensch verkroch, den braven Jungen spielte, übte und übte, um seiner etwas genervten Plattenfirma zu beweisen, daß er eine weitere Chance verdient habe, nahm er letztes Jahr ein erstes Solo-Album auf. Mit von der Partie waren die allerbesten Session-Musiker, u.a. Don Airey von Rainbow, Mo Foster, Simon Philips und Sänger Gary Bardens, der jetzt als einziger von dieser Besetzung übrig blieb.

Manager Mensch rekrutierte eine komplette Supergroup um MSG zu formieren –  einst ständige oder nur zeitweilige Besetzung, je nachdem ob Michael oder Cozy Powell die Geschichte erzählten. Ex-Rainbow-Drummer Cozy Powell verriet mir, er habe den Job bekommen, weil Michael jemanden brauchen würde, der ihm von Zeit zu Zeit den Arsch treten könne. Keyboardspieler und zweiter Gitarrist wurde Schenkers alter UFO-Kollege Paul Raymond und als Bassist wurde Chris Glen, ex-Alex Harvey Band, verpflichtet. Die neue Band probte zwei knappe Wochen (einer der Vorteile, wenn man Profis anheuert) und spielte dann eine kurze England-Tournee, bevor man für zweieinhalb Monate in die Staaten ging, mit Zwischenabstecher in Germany, Hamburg, für einen TV-Gig.

Letzte Nacht war das letzte Konzert dieser Tournee. Die Bandmitglieder verschwinden mit verschiedenen Zielen. Cozy zieht’s nach Hause zu seinem Weib, Michael will nach Hawaii, um dort eines zu finden, bleibt aber noch einen Tag in Los Angeles, um sich der lokalen Presse und den Radioleuten für Interviews zu stellen. Wir sitzen im Chrysalis-Büro, draußen wird es allmählich dunkel, und Schenker, etwas geschlaucht vom ständigen Händeschütteln und Reden, ist immer noch in der Lage, alle Fragen, einschließlich die, seine Drogen-Exzesse betreffend, mit kindlicher Gelassenheit zu beantworten. „Ich habe seit zehn, elf Monaten keinen Alkohol mehr angefaßt, ehrlich. Ich hasse Alkohol.“ Das klingt etwas seltsam, besonders aus dem Munde eines Mannes, der es während seiner Zeit bei UFO fast im Alleingang schaffte, den englischen Bierkonsum in ungeahnte Höhen schnellen zu lassen.

Der Grund, warum er die Michael Schenker Group formierte, war nicht etwa der, sich selbst als den großen Gitarren-Helden feiern zu lassen, sondern um eine feste Gruppe zu finden, mit der er arbeiten kann: „Ich wollte mir die Musiker, die ich mag, selbst aussuchen können.“ Nicht eine Band, die er herumkommandieren konnte, trotz seiner Äußerungen, daß er alle Songs alleine schreiben wolle. „Ich bin nicht der Diktator. Ich bin das absolute Gegenteil davon! Ich lasse die anderen immer entscheiden, was sie tun wollen. Ich sage niemals: ‚Jetzt machen wir das und das.‘ Nie! Das ist nicht mein Stil. Ich wollte eine Gruppe, und wir werden sobald wie möglich eine Platte aufnehmen.

Die Gruppe heißt nicht etwa MSG weil ich meinen Namen auf’s Cover haben und berühmt werden wollte. Der Grund ist einfach der, daß er zumindest ein paar Leute gibt, die wissen wer ich bin, und außerdem ist das viel einfacher als einen brandneuen Namen, den niemand kennt, auf’s Cover zu setzen. Außerdem fiel mir partout kein Name ein. Ich kriegte noch nicht mal einen LP-Titel zusammen. Also hab‘ ich’s schlicht MSG genannt und das war’s.“

Obwohl es, wie Cozy Powell formuliert, „abzuwarten bleibt, was die Zukunft bringen wird“, ist MSG, in welcher Besetzung auch immer, ein demokratisches Unternehmen.

Schenker hält nun Rückblick auf die fünf seltsamen Jahre, die er bei UFO verbrachte, der Band, an die er ähnlich freundliche Erinnerungen hegt wie das heutige China für Mao’s Witwe. Viele Männer behaupten, ihr Job würde sie in den Suff treiben, aber Schenker hatte diesen Trip tatsächlich zu durchleben.

„Ich soff wirklich reichlich, anders hätte ich’s nicht so lange bei UFO aushalten können. Es half mir, wenn ich depressiv war oder mit jemandem nicht richtig klar kam. Du trinkst, und danach sieht alles viel viel einfacher aus. Mit Mogg konnte ich einfach nicht richtig warm werden.“ Das ist eine so gelinde Untertreibung, als würde der Papst erzählen, er wäre nicht sonderlich glücklich über die vielen Sünder! Michael nibbelt an seinem Bier. „Es war der absolute Horror für mich; es haute einfach nicht hin. Aber im ersten Jahr ist mir das noch nicht aufgefallen. Ich brauchte ca. drei Jahre dazu. Denn wenn d“ ihn zum ersten Mal triffst, hast du den Eindruck eines recht netten Kerls. Aber nach einiger Zeit dämmerte es mir.“

Wieso?

„Weil er dauernd Leute schlägt, und das ist überhaupt nicht mein Trip. Vor mir waren drei Gitarristen bei UFO, und jeder der drei wurde vor seinem Rausschmiß noch von Phil verprügelt.“ Schenker auch. „Ich hab‘ zu den anderen in der Band gesagt: ‚Wenn Phil mich einmal schlägt, dann ist’s aus.‘ Und er tat es. Ich spielte gerade Billard, und plötzlich kam er, randvoll mit Mandrax, in den Raum und haute alle Kugeln zur Seite. Ich sagte: ‚Phil, das ist Mist. Jetzt müssen wir wieder von vorne anlangen.‘ Er schrie nur: ‚Halts Maul‘ und schlug mir bummm!! in den Magen. Das hab‘ ich ihm nie vergessen; von da an hab‘ ich nur auf den richtigen Moment gewartet. Gerade als UFO sich zu ihrer erfolgreichsten US-Tournee aufmachen wollten, warf Schenker das Handtuch und stieg zum definitiv letzten Mal aus. Eine ganze Zeit lang blieb er völlig untätig. „Ich brauchte ’ne Pause nach all dem Gesaufe und der Tourerei. Ich wollte sowieso nicht mehr auf Tour gehen, wollte nur noch Alben machen.“

Er stieg bei den Scorpions ein, nahm das LOVE DRIVE-Album mit auf und verschwand mitten während der Tour. „Ich hatte keinen Plan, irgendetwas zu tun. Hab‘ ich eigentlich nie. Als ich bei UFO war, habe ich auch nie darüber nachgedacht, was ich sonst noch tun könnte. Vielleicht hab‘ ich mal daran gedacht, die Musik ganz aufzugeben oder nur noch im Studio zu arbeiten, denn damals glaubte ich, daß ich nicht mehr ohne Alkohol auf der Bühne stehen konnte.“

Dann hörte man aus der Gerüchteküche, daß Schenker im Begriff sei, eine Solo-LP aufzunehmen. Kurz darauf hieß es, er sei spurlos verschwunden, sein Apartement wäre leer, und die einzigen Überbleibsel von ihm seien eine zertrümmerte Gitarre, viele leere Flaschen und ein Haufen langer blonder Locken.

„Meine Gitarre hab‘ ich zerdeppert, weil ich bis obenhin voll mit Drogen war und ich mir damals sagte: ‚Ich werde nicht stop sagen, ich werde sterben.‘ Dann befahl ich mir doch ’stop!‘ und war gleichzeitig so wütend, daß ich meine Gitarre in tausend Stücke schlug, den Raum total demolierte, mir eine Rasierklinge nahm und sshhht alle Haare abschnitt. Es tat gar nicht weh. Ich tat das, damit mich niemand mehr erkennen konnte. Und dann kaufte ich mir obendrein noch einen langen, bescheuert aussehenden Mantel, setzte mir ’ne Brille auf und war fortan nicht mehr zu erkennen. Und dann ging ich nach Deutschland und dort angekommen, sofort ins Krankenhaus.“

Schenker erzählt zwar nicht, daß er ein Alkoholiker war, „doch das Krankenhaus war eins von der Sorte, das nur echte Alkoholiker aufnimmt. Ich hatte gedacht, ich könne mit dem Alkohol spielen, aber im Krankenhaus lernte ich, mich ohne den Stoff wohlzufühlen. In den ersten Monaten war das ziemlich hart, doch dann war’s wie der Einstieg in ein völlig neues Leben. Anfangs war’s wie eine Traum, dann gewöhnte man sich daran und dann wird’s völlig normal. Wenn ich jetzt trinke, dann ist das auch wie ein Traum.

Mein Verhältnis zum Alkohol hat sich geändert.

Eine Zeitlang ließ ich die Gitarre unberührt. Das waren so ca. zwei Wochen, doch dann griff ich sie mir wieder und das war toll, denn, es war völlig neu. Manchmal ist’s ganz gut, die Klampfe für zwei Wochen zu ignorieren, und wenn du dann wieder spielst, dann spielst du ganz anders.“

Nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen worden war, unterwarf sich Schenker einem strengen Fitneß-Programm, das eher zu einem Soldaten als zu einem ungesunden Rockstar-Leben paßte. „Ich lief Rollschuh, joggte, schwamm und trank nur Wasser; manchmal bis zu fünf Flaschen am Tag.“ Während dieser ganzen Zeit wohnte er in einem kleinen Zimmer, daß Manager Mensch ständig für ihn bereithält – „falls ich’s mal brauche, denn ich habe kein richtiges Zuhause.“ Er schrieb Songs und machte Demos, um Chrysalis zu überzeugen, daß er wieder auf dem Dampfer war und eine zweite Chance verdient hatte. „Manchmal kam jemand vorbei, hörte sich meine Sachen an und meinte, ‚aaah, es passiert wieder was‘. Aber so richtig von ihnen gehört, hab‘ ich erst nach ein paar Monaten.

Peter (Mensch) finanzierte alles, was Chrysalis nicht bezahlen wollte.“ Er war auch derjenige, der Michael dazu überredete, seine erste Tour ohne Alkohol zu versuchen. Sein Spruch, laut Cozy Powell, war der: „Geht endlich auf Tour und arbeitet, und haltet Michael davon ab, sich seine Haare abzuschneiden, verrückt zu werden und all diese schlimmen Sachen, die er sich einverleibt haben soll, wieder von neuem zu nehmen!“

Schenker blieb die ganze Tour über clean. Stoisch, ja, aber es war die Hölle. „Es kann verdammt einsam sein, wenn alle anderen mit ihren Frauen einen saufen sind, und du allein mit deiner Perrier-FIasche zurückbleibst.“

Manche schätzen, daß sein Name auf dem Logo Schenker verantwortungsbewußt machen wird und ihn straight bleiben läßt. Er dagegen ist überzeugt davon, daß er fortan gesund leben wird. Und er fügt hinzu: „Ehrlich, ich fühl‘ mich heute wie jedes andere Bandmitglied. Ich bin keiner von der Sorte ‚jetzt komm‘ ich, der beste Gitarrist der Welt!‘ Klar, irgendwie wollte ich immer einer der besten Gitarristen sein, ob du das nun als Ego-Trip bezeichnest oder nicht. Aber ich wollte nie den großen Boß markieren. Denn ich bin nun mal kein Bandleader.

Im Gegenteil, ich bin viel freier wenn kein Druck auf mir lastet. Mogg war da ganz anders. Er ist der Diktator, er will der Bandleader sein. Ich persönlich hasse alle Leader, und darum wollte ich auch nie selbst einer werden. Ich möchte jedem zuhören können, um dann logische Entscheidungen zu treffen. Ich nöchte heute so normal wie möglich sein, verstehst du. Ich bin eigentlich nie normal gewesen. Für mich gab’s bis dato nur ein ganz oben und ein ganz unten, und jetzt möchte ich mal auschecken wie’s in der Mitte dazwischen aussieht. Ich lasse jetzt die Band für mich ausflippen, denn das hab‘ ich alles bereits oft genug gemacht Es hat sich gezeigt, daß das nicht gut für mich war, und daher wird es für mich solch verrückte Zeiten mit Drogen usw. nicht mehr geben.“