Joachim Kühn – Startschuß zur US-Karriere


Deutsche Jazz- und Rockmusiker etablieren sich immer mehr im Ausland. Jüngstes Beispiel dafür ist der Jazz-Pianist Joachim Kühn, der seit Juli dieses Jahres in Larkspur, einem Vorort von San Francisco lebt. Zum Jahresende kommt Kühn wieder zurück nach Deutschland auf eine kleine Tournee, bevor er im Januar seine erste Amerikatournee unternimmt.

Das amerikanische Musikbranchenblatt Billboard bezeichnete Kühn als „The European Keyboard-Genius“. Für Schlagzeuger Billy Cobham war das Grund genug, ihn für die Aufnahmen zu seiner neuesten LP zu verpflichten, die Ende Juli in New York eingespielt wurde. Kühn betrat damit das Sprungbrett zu einer Karriere in den USA. Zurück in San Francisco, bekam er gleich von verschiedenen Jazzclubs Spielangebote. Die beiden auf Jazz spezialisierten Radiostationen in Frisco luden ihn zu Interviews ein, und selbst das Fernsehen zeigte Interesse. Doch Joachim Kühn möchte nichts überstürzen. Sein Hauptaugenmerk gilt im Moment seiner neuen Band, die er in Los Angeles zusammengestellt hat, und mit der er seine nächste LP aufnehmen will.

Billy Cobham holt Joachim Kühn ins Studio

Für diese Gruppe konnte er erstklassige Jazzmusiker gewinnen. „Das Problem für mich ist“, so sagt er, „daß ich es schwer habe, in Europa die passenden Musiker zu finden. Entweder sind sie zu unerfahren, oder sie sind soweit etabliert, daß sie es alleine schaffen. In Amerika ist das anders. Hier gibt es soviele Musiker, hervorragende Instrumentalisten,die hin und wieder Probleme haben, ihre Familien durchzufüttern. Also sind sie wirklich scharf darauf, irgendetwas zu machen. Dabei spielt natürlich nicht nur das Geldverdienen eine Rolle, sondern auch die innere Einstellung.“ Von der Ex-Tony Williams Lifetime konnte Kühn den Bassisten Tony Newton für sein Projekt gewinnen. Jeff Richmond, Gitarre, spielte vorher bei der Band Flora Purims, und Glen Simmons, trommelte zuvor bei der kalifornischen Jazz-Rock Formation Automatic Man.

Eine Platte mit ausgeschlafenen Sessionmusikern

In seine US-Band setzt Kühn große Hoffnungen. „Meine Musik wird entsprechend neu werden. Schon jetzt schreibe ich Stücke, die der Band auf den Leib geschrieben sind. Es ist für mich wirklich eine ganz neue Erfahrung, mit amerikanischen Musikern eine eigene Band zu haben.“ In dieser Besetzung hat Joachim Kühn bereits Probeaufnahmen für die nächste LP gemacht. Nach seiner Meinung haben die Aufnahmen seine Erwartungen noch übertroffen. Kühn, der in den letzten Jahren eigentlich mehr durch Solo-Projekte geglänzt hatte, sieht sich in einem neuen Abschnitt seiner Karriere. Zwar hat er in den USA schon früher etliche Platten aufgenommen, aber nun sind die USA für ihn eine Basis um weiterzukommen. „Hier in Amerika entsteht im Moment ungeheuer viel Musik“, meint Kühn. Jazz wird wieder populär, hat wieder einen gesellschaftlichen Stellenwert. Die Titel-Story in einem großen amerikanischen Magazin über Jazz hat viel dazu beigetragen. Die großen Jazzmusiker sind hier etabliert wie Hollywood-Stars. Ich habe kürzlich mit Joe Zawinul und Herbie Hancock telefoniert. Die verkaufen schon eine halbe Million Exemplare pro Platte und leben entsprechend in ihren Villen in Hollywood. Auch Cobham gehört in diese Reihe. Aus diesem Grund bin ich eigentlich wirklich froh, mit Cobham eine Platte gemacht zu haben, da mir das hier gewaltig auf die Sprünge helfen kann…“.

Aktivitäten wie Rundfunk und Fernsehen sieht Kühn im Moment als unnötig an, da seine letzte Platte „Charisma“ noch nicht in Amerika erscheinen konnte. „Das Problem mit „Charisma“ ist, daß die Platte im Sheffield Direkt-Verfahren aufgenommen wurde. Ich mußte alles direkt auf Matritze spielen. Von dieser Matritze kann man keine Kopie herstellen, das heißt, meine Plattenfirma müßte „Charisma“ importieren. Das wiederum ist gar nicht so einfach, weil sich das auf den Preis schlagen würde, und Platten kosten in Amerika etwa die Hälfte von dem, was man in Deutschland dafür bezahlen muß.“ Also wird sich Kühn vorläufig noch zurückhalten. Hin und wieder läßt er sich in den einschlägigen Jazzclubs in San Francisco sehen, wo er auch schon ein paar Solo-Engagements wahrnahm. Im November will er nach Europa kommen, wo er ursprünglich mit Zbginiew Seifert auf Tournee gehen sollte. Diese Tour mußte im letzten Moment abgesagt werden, da Seifert krank wurde. So will Joachim Kühn Anfang Dezember einige Solo-Konzerte absolvieren, bevor er dann über Weihnachten wieder nach Larkspur geht, um seine seit langem geplante Amerika-Tournee mit dem Pianisten Andrew Hill durchzuziehen. Schon im Frühjahr möchte er dann seine neue Band in Europa vorstellen. Zu diesem Zeitpunkt wird dann auch seine neue Platte erscheinen.