Joe Cocker – Draußen vor der Tür


„Ich hoffe ganz vergessen, wie stark das deutsche Bier ist“. Das breite, sehe/mische Grinsen macht weitere Erklärungen überflüssig. Beim Start seiner jüngsten Deutschland-Tournee ist Cocker wieder ganz der Alte: der Charles ßukowski der Rockmusik. „Kvo beers front unconsciousness“ kommentiert der Tourmanager kopfschüttelnd Cockers Prozent-Pegel . .. Dabei tun Band und Begleitpersonal absolut alles, um dem Problemkind jeden Stein aus dem Weg zu räumen. „Alles ok, Joe?“ -.Meinst du, die Stimmbänder packen’s nochmal?“ Ein Schulterklopfen hier, ein aufmunterndes Wort dort. Wie ein rohes Ei behandelt man ihn, wie ein Riesenbaby, das ohne Aufsicht nicht vor die Tür geschickt werden kann. Trotz der Belastung die einstimmigen Beteuerungen aus dem Kreise der Band: .Great character“ oder „He’s a good guy“. .Hör mal, Joe“, sagt Keyboarder Howard Hirsch vor dem Gig im Berliner Metropol, .wenn deine Stimme Probleme macht, dann stellen wir den Set halt um. Wir können ja die heiklen Num mern weglassen. Ganz wie du möchtest. Du weißt ja, wir tun alles, was du willst.“ Die Stimmbänder halten. Trotz aufkommender Grippe erfüllt Cocker alle vom Publikum in ihn gesetzten Erwartungen: Einige Songs von SHEFFIELD STEEL, (die ohne Sly & Robbie allerdings merklich müder klingen), vor allem aber die unvermeidlichen Oldies zum Mitsingen: „Whiter Shade Of Pale“, „Many Rivers To Cross“, „Feelin Alright“, „Look What You’ve Done“, „Inner City Blues*. Selbst der markerschütternde Schrei in „With A Iittle Help From My Friends“ kommt ganz passabel, Sonder-Applaus für die gesundheitsschädliche Vokal-Tortur, (die Grund für den Ausfall des Münchner Konzerts wenige Tage später ist). Angesichts dieses fragwürdigen Kraftaktes beschleichen den Beobachter doch gemischte Gefühle. Sicher, das (schon etwas betagtere) Publikum liebt ihn aufrichtig, liebt ihn, weil er ein Stück Mensch zum Anfassen ist, der ohne die gängigen Attribute des Popstars auszukommen weiß. Aber auf Seiten der Zuschauer scheint auch ein gutes Stück Voyeurismus mitzuschwingen. Unbewußt will man vielleicht auch den Schwanengesang eines Sonderlings erleben, der sich durch seine alkoholischen Exzesse selbst an den Rand des körperlichen Ruins getrieben hat. Er ist der Freak, die Dame ohne Unterleib, die im Kuriositäten-Kabinett ihr Dasein fristet. Fatal ist nur, daß sich Coker offensichtlich damit abgefunden hat, die ihm vorgegebene Rolle mitzuspielen. Wenn er Randy Newman’s Song „Guilty“ singt mit der vielsagenden Textzeile “ Yes, baby, l’ve been drinkin “ dann scheint er seine privaten Probleme auf allzu plakative Weise dem Publikum zum Fraß anzubieten. Seine resignierende „Mit-mirkann – man’s – ja – machen“ – Attitüde macht ihn mitschuldig an seiner desperaten Situation; Ausbeuter und Ausgebeuteter scheinen sich im Falle Cocker auf halbem Wege zu treffen. Bezeichnend, daß er über seine mögliche Teilnahme an der jüngsten „Rocknacht“ nur am Rande gehört hat. Ursprünglich nämlich sollte er auf der Bühne stehen, als am 16. Oktober der „Rockpalast“ über die europaischen Bildschirme ging. Ein anscheinend etwas undurchsichtiges Taktieren des WDR hatte zur Folge, daß sowohl Cocker als auch der alternativ vorgesehene Neil Young den Termin platzen ließen (und so in letzter Minute Kid Creole die Chance erhielt.). Cocker selbst indes weiß,über diese Vorgänge praktisch nichts. .Da mußt du schon meinen Manager fragen „, kommt es achselzuckend. Auch auf das Zustandekommen seiner jüngsten LP SHEF-FIELD STEEL hat Cocker offensichtlich wenig Einfluß nehmen können. Island-Chef Chris Blackwell (s. auch die Special Story auf S. 86) gab ihm einen Vertrag nur unter der Bedingung, daß seine in der Tat etwas farblose Gruppe durch die Rhythmus-Achse Sly & Robbie und andere Sessionmusiker ersetzt wurde. Mit dem Resultat, daß seine seit mehreren Jahren existierende Begleitgruppe verständlicherweise düpiert war. Über dieses Problem und andere Themen sprach Cocker in einem Interview mit Wolf Kohl, das vor seiner Abreise nach Europa in New York geführt wurde. Joe, wie kam denn die Zusammenarbeit mit Sly und Robbie zustande? „Das war Chris Blackwells Idee. Ich hatte Chris seit einigen Jahren nicht gesehen und kriegte plötzlich eine Nachricht von ihm, worin er meinte, daß er mich auf Slys und Robbies Rhythmus-Basis Country & Western-Songs singen hören könne. Etwa das einzige, was ich über die beiden wußte, war, daß sie mit Grace Jones zusammengearbeitet hatten. Ich dachte, oh dear … Aber ich brachte dann ein paar Songs mit, die ich ausgewählt hatte, Stücke wie „Look What You’ve Done“ oder „Shocked“, ein paar Demos, die ich hatte. Wir probierten ein paar Nummern zusammen und es lief sehr gut… Very basic, yeah. Es hing auch sehr an Alex Sadkins Produktions-Ingenieur-Arbeit. Der holte beispielsweise viel aus Slys Drums-Sound heraus. Sly schlägt das Snare sehr hart und kitzelt die Baßtrommel nur, Alex brachte nun die Baßtrommel richtig raus und rückte das Snare zurück, ein Mix-Problem.“ Waren eigentlich Sly und Robbie je im Gespräch, mit dir live zu spielen? „Doch, ja. Ah ~ ich hatte ein bißchen Probleme mit meiner derzeitigen Band, die waren und sind immer noch etwas verletzt, daß sie auf der Platte nichtmitspielen konnten. Aber Sly und Robbie haben ja auch ihre eigenen Projekte und das hat sich dann sowieso zerschlagen.“ Deine letzte LP LUXURY YOU CANT AFFORD lief ja nicht besonders gut wie kamst du an Allen Toussaint als Produzenten? “ Weiß gar nicht mehr, wer uns eigentlich zusammenbrachte. Esschien mir einlach einegute Idee zu sein, mit ihm zusammenzuarbeiten; wir haben 170 000 Dollar für das Projekt ausgegeben. Aber die Platte lief nicht richtig, obschon ich viele Leute kenne, die sie durchaus schätzen.“ Du stecktest ja zu der Zeit auch in ganz schönen finanziellen Schwierigkeiten. Hat sich das inzwischen bereinigt? „Es handelt sich dabei vor allem um ein Steuerproblem. Ich muß in Raten zurückzahlen. Wenn du es einlach ignorierst, finden sie dich irgendwann über die Jahre. Ich schulde dem Staat etwa 100 000 Dollar oder so …. Hast du eigentlich zwischen dem letzten und dem neuen Album überhaupt Gigs gespielt? Es war ja eigentlich recht still um dich. „Ja, wir machten ein paar Gigs auf dem Kontinent und vor zwei Jahren ein paar Auftritte im Venue, London. War aber alles nicht gerade groß angekündigt.“ Was hältst du eigentlich von der neuen englischen Musik, ihrem heutigen Zustand, den neuen Sachen im Allgemeinen? „Es tut mir leid, aber ich bin mit den Sachen nicht so sehr vertraut, mit Bands wie Haircut 100 und so weiter. Vielleicht liegt es an meinen Lebensumständen und den Leuten, mit denen ich verkehre – aber ich höre halt im Allgemeinen nicht sehr viel von dieser Musik. Ich meine, ich traf ein paar von den Talking Heads in Nassau, Chris und Tina. Und wir spielten ein paar Songs ein, auf denen Chris Schlagzeug spielt. Außerdem ist Adrian Belew auf „Sweet Little Woman“ von SHEFFIELD STEEL zu hören. Das ist aber so in etwa alles, was ich mit New Wave zu tun habe. Ein Problem dieser neuen Bands scheint ihre Unbeständigkeit zu sein, siebrechen oft so leicht auseinander. Vielleicht haben sie aber einfach einen anderen Weg, ihre .roots zusammenzukriegen. Es steckt zweifellos eine Menge Energie im Ganzen … Etwas wie der Blues ist eine starke Grundlage für Leute wie mich. Aber vielleicht kommen diese jungen Leute irgendwie anders zur Sache, und ich bin sicher, daß da etliche gute Musiker darunter sind.“ Es gibt ja im Moment fast so eine Art Soul/R &B-Revival. Hast du jemals von Dexys Midnight Runners gehört? .Nein, Wer??“ Dexys Midnight Runners. “ Texas Mid…7″ Nein, Dexys Midnight Runners. Die sind aus Birmingham und fingen vor etwa zwei Jahren wieder mit Soul an. Ich glaube, daß dieses Bedürfnis gewisser (vieler) Leute nach roots auch dir wieder hilft in deinen Anliegen. „Kann gut sein. Allerdings läuft das neueA Ibum n och nicht so richtig. Ich hörte, daß Frankreich am besten sei, so 35 000 bis jetzt, und Deutschland soll auch ganz gut laufen. England ist langsam. Tja, so ist das…“ Wo lebst du eigentlich zur Zeit? „Seitvierjahren in SantaBarbara, Kalifornien. Als temporary alien resident, ho, ho, ho … Ich lebe dort auf dem Land, und ich brauche die Ruhe. Eigentlich bin ich da in so eine Art Community gerutscht, was mir zunächst gar nicht richtig bewußt war. Der Ort liegt in einer Berggegend, mit Bergleuten, abseits von Santa Barbara. Ich schätze es sehr, von Ziegenmilch und so weiter zu leben. Das bekommt mir alles vorzüglich. Denn sieh mal, ich hob’soviel getrunken bis vor etwa drei Jahren, und das Leben dort hat mir geholfen, mich trocken zu kriegen.“ Also, vor drei Jahren warst du noch schwer drauf? Ja, am Saufen, die ganze Zeit.“ Nur Booze oder auch Drogen? „Ach nein, eigentlich war’s nur saufen, wirklich.“ Und da bist du jetzt gut raus? „Ja, ich denke schon. Ich meine, ich rauche immer noch, wenn was rum ist, aber ansonsten hob’die Sache ziemlich im Griff.“ Prima Joe. “ Yeah, ho, ho, ho … Mit dem Trinken ist das eben so, daß es dich umgänglicher macht, du vergißt den Streß und die Probleme, die du hast. Es ist eine vorübergehende Flucht.“ Kannst du denn heute ganz normal ein Bier trinken, ohne gleich wieder exzessiv zu werden? „Also, ich hasse mich selbst, wenn ich heute wegen Saufexzessen ein Gesicht wie Scheiße kriege. Ich meine, es passiert schon mal, daß ich versacke, z. B. wenn ich nach längerer Abwesenheit nach Santa Barbara zurückkehre. Aber die letzten paar Male war ich dann so out o/ it – und ich hasse das, ich kann mich dann selbst nicht ausstehen. Also, ich trink’heute nur noch ab und zu ’n bißchen Bier, wie du ja hier sehen kannst“ (faßt sich an die Bauchrolle, die früher effektiv schon größer war). Aber es scheint – und das ist sehr wichtig – daß du eine psychologische Bremse hast, wenn du dich selbst in dem Zustand nicht ertragen kannst. Ja, richtig. Ah, hoffentlich … ich würde mich nicht als vollen Alkoholiker bezeichnen – wenn ich da andere Leute sehe, die nicht einen Drink mehr zu sich nehmen können, ohne sogleich abzustürzen.“ Mal was ganz anderes. Manchmal hast du doch auch eigene Songs geschrieben, früher. Möchtest du das nicht in Zukunft wieder mal tun? Ja, früher, am Anfang, schrieben Chris Stanton und ich Songs zusammen, er stammt auch aus Sheffield. Ich selbst spiele kein Instrument professionell und deshalb ist es für mich schwierig, meine Ideen richtig aufzuzeichnen. Ich sprach aber kürzlich mit Wally Badaru, der auch auf SHEFFIELD STEEL mitspielt, und vielleicht arbeite ich mit ihm in dieser Hinsicht zusammen. Er spielte mir schon mal ein paar mögliche Akkordfolgen vor, sehr bluesy, sehr soulful.“ Was hast du jetzt als nächstes vor? „Erstmalnach Kalifornien zurück und dann nach Venezuela. Wenn das Equipment ok ist, sind Gigs in Südamerika sehr gut. Ich war schon zuvor da, in Argentinien und Brasilien.“ Wie reagiert denn das Publikum dort auf dich? , Tja, das sind halt Hispanics und die reagieren ein wenigwie die Italiener – was ich bringe, ist etwas anderes, als das was die gewohnt sind. Die nennen mich immer Yoooh‘, you know, Yooooooooooh … !!, ha, ha, ha… unddiekennen mich eben vor allem von den WoodstockBildern, das ist fast alles, was die über mich wissen. Deren eigene Musik ist eine andere Welt, fantastischer Stoff.“ Wird deine Platte eigentlich im Radio gespielt? J-ch hin nicht sicher, ich glaube, gewisse Stationen geben uns gutes airplay, aber viele sagen, daß da keine Hits darauf seien. Etwas Komisches passierte kürzlich. Ich wurde hier in New York von einer Station gefragt, ob ich nicht Lust hätte, meine Lieblingsplatten zu spielen. Ich hatte da unter anderem einen Stevie-Wonder-Song ausgesucht, und der Typ von der Station sagte: nein, wir können hier nicht Stevie Wonder spielen. Jesus …“ Also eine total weiße Station? Ja, und ich sollte ihnen alle meine favorisierten Platten aufschreiben. Und als ich da mit Ray Charles etc., kam, sagten die, gh, sorry, das können wir nicht machen …“ Zigarettenpause. Wie alt bist du eigentlich, Joe, und wann hast hast du angefangen? Jch bin 38, und ich fing etwa mit 12 an; ich hatte so eine Washboard – Skiffle – Group. Dann kam ich in den Rock’n‘-Roll rein, der schon in mir steckte. Es dauerte aber ein ganze Weile, bis ich wirklich bekannt wurde. Chris Stanton und ich brachten ’64 eine Single heraus, ein Beatles-Cover, bekannt waren wir aber immer nur im Sheffield-Umkreis. Danach eröffnete “ Whiter Shade Of Pale“ neue Dimensionen undvon unserer Seite folgte in diesem Sinne “ With A Little Help From My Friends“. Tja, und das war dann der Erfolg, vor allem hier in den Staaten.“ Hattest du damals schon die Band zusammen, die mit dir in Woodstock war? „Also, das alles hat mein Manager zusammengestellt. Es war eine sehr hastige Angelegenheit. Denn viele Leute glaubten, daß Woodstock gar nicht stattfinden würde. Das war auch der Grund, warum Dylan ablehnte. Sein Manager meinte, da käme doch kein Knochen. Nun ja, man hat es dann ja gesehen.“ Fühlst du denn immer noch so einen Rest von Glauben in die ganzen Inhalte jener Woodstock-Generation? Jyun, es hat sich eben erwiesen, daß es nicht ganz so einfach ist, die Gesellschaft zu verändern, wie man sich das damals vorgestellt hatte. Es funktionierte nicht. Vor allem nicht mit den Drogen. Das war und ist die Illusion Nr. 1.“