Justin Vernon: „Ein drittes Volcano-Choir-Album ist wahrscheinlicher als eines von Bon Iver“


Der Volcano Choir kommt mit seinem neuen Album REPAVE auf Deutschland-Tour. Über deren neue Songs und seine alten Projekte sprachen wir mit Sänger Justin Vernon, besser bekannt als Bon Iver.

Justin Vernon ist ein vielbeschäftigter Mann. Nach zwei Alben mit seinem Projekt Bon Iver, einem gewonnenen Grammy, einem Blues-Rock-Album mit The Shouting Matches, Kanye-West-Features und etlichen weiteren Kollaborationen hat der Musiker und Songwriter gemeinsam mit The Volcano Choir ihr zweites Album REPAVE herausgebracht. Aus diesem Anlass erwischten wir Vernon – für die November-Ausgabe des Musikexpress – schließlich doch am Telefon, nachdem er unser erstes Gespräch in größerer Telefonrunde mit seinen Bandkollegen kurzfristig absagen musste. Auch ein Justin Vernon macht mal Urlaub.

Jetzt, im November, kommt The Volcano Choir für zwei Konzerte in Berlin und Düsseldorf auf Deutschland-Tour. Wir sprachen mit Justin Vernon über Japantouren, Ikonen, Kanye West, die eigene Rapvergangenheit und -zukunft – sowie natürlich über den Status quo von Bon Iver.

Musikexpress.de: Gratulation zum zweiten Volcano-Choir-Album, Justin. Im Making-Of sagst Du über einen früheren Japan-Trip mit der Band, Du fühltest Dich das erste Mal als Teil einer Rockband. Was ist mit dem Volcano Choir anders als bei Deinen weiteren Projekten?

Justin Vernon: Zum damaligen Moment war ich schon länger Teil des Volcano Choir als in irgendeiner anderen Band. Es fühlt sich gut an, mit Leuten, die ich so lange kenne, neues Zeug zu entdecken – und Dinge, von denen ich selbst nicht ahnte, dass sie überhaupt möglich wären. Wir sind wie ein Kollektiv, wenn auch ein verwundbares.

Du warst früher Fan der ehemaligen Band Deiner heutigen Mitmusiker, den Collections Of Colonies Of Bees. Ihr kennt Euch aus Wisconsin. Hattest Du immer schon den Drang, eines Tages eine solche Band zu haben?

Justin Vernon: Wir trafen uns in Eau Claire, die Jungs kamen aus Milwaukee hochgefahren und spielten eine Show. Das muss wohl zehn Jahre her sein. Wir wurden Freunde, sprachen über Musik und mailten uns bald Ideen hin und her, noch bevor ich an Bon Iver arbeitete. Damit fing ich übrigens erst an, nachdem wir mit dem Volcano Choir unser Debüt UNMAP aufgenommen hatten.

Mit dem Album gab es keine Tour, oder?

Justin Vernon: Nein, es gab lediglich die vier Shows in Japan und anderthalb Jahre später zwei in Minneapolis.

Über diese Shows sagtest Du auch, dass Du damals ahntest, was Volcano Choir eines Tages könnte. Was denn?

Justin Vernon: Die Liveumgebung auf der Bühne und die dort kultivierte Energie waren überraschend inspirierend.  Wir spielten die Songs ganz anders als wir sie lernten. Das brachte uns bei, wie wir an eine neue Platte herangehen wollen: ohne Angst und so direkt wie möglich. Die ersten Songs für REPAVE wurden gleich nach diesen Shows geschrieben.


Volcano Choir – Byegone (Official Video)von scdistribution

Du erklärst im Making-Of, dass es auf REPAVE um Höhen und Tiefen ginge. Besondere persönliche?

Justin Vernon: Nein, jeder durchläuft doch ständig irgendwelche persönliche Höhen und Tiefen. Um Deine Frage direkt zu beantworten: In den letzten Jahren habe ich mit meiner anderen Band ja nun ziemlichen Erfolg und Berühmtheit erlangt. Ich bin total froh, Musik machen und davon leben zu können. Aber sonst macht es der Erfolg nicht viel mit dir. Er verbindet dich tiefer mit deiner Heimat, deinen Wurzeln. Im Volcano Choir kann ich zuerst ein Künstler sein. Und ich kann reagieren – etwas, das ich mit Bon Iver nicht oft machen kann, weil ich dort alles selber schreibe.

Dein Zutun beim Volcano Choir beschränkt sich wirklich „nur“ auf Reaktion?

Justin Vernon: Ja. Ich schreibe keinerlei Musik, ich singe nur.

Muss für Dich als Musiker und Songwriter schwer sein, nur zu singen.

Justin Vernon: Nein, im Gegenteil, es ist toll. Besonders weil ich die Musik so liebe.

Das wusstest Du aber vorher nicht.

Justin Vernon: Stimmt, ist aber trotzdem unglaublich. Die Musik ist nie ein fertiges Produkt. Ich reagiere, die Jungs reagieren, so funktioniert diese Band.

Es geht auf REPAVE auch um spirituelle Fragen, sagst Du.

Justin Vernon: Ja. Der Titel kommt vom Song „Alaskans“ und vom Fakt, dass alle von uns, egal wie weise oder nicht weise sie sind, Erfahrungen machen. Uns allen werden bestimmte Dinge von der Welt erzählt und Ansagen gemacht, wie wir uns verhalten sollen und wie wir angeblich voneinander abhängen und doch eigenständig seien. Leute versuchen dich in eine bestimmte Richtung zu lenken. Religionen zum Beispiel wollen sich den Geist der Menschen zu eigen machen und vermeiden, dass sie selber entscheiden. REPAVE beschreibt für mich das Konzept und Gefühl des Albums, das sagt: Geh‘ deinen eigenen Weg. Hab‘ die Courage nicht immer wissen zu können und müssen was richtig und falsch ist, während du deinen eigenen Weg zur Erfüllung findest. Am Ende des Albums und des Songs „Almanac“ kommen meine Lieblingszeilen: „shed your skin like a master, and the pastor, coming down to the ground“, heißt es da. Das ist ein Weg zu sagen: „Hey, wer auch immer deine Ikonen sind – begrab‘ sie, bevor du die Sicht darauf verlierst, was Leben hier auf der Erde wirklich ausmacht.

Hattest Du nicht auch Ikonen, zu denen Du aufschautest?

Justin Vernon: Doch, jede Menge. Musiker sowie Menschen, mit denen ich mich durch mein Philosophie-Studium beschäftigte. Als ich älter wurde, habe ich einige von ihnen getroffen und gemerkt: Wenn du andere Leute auf ein Podest setzt, tust du dir damit selbst keinen Gefallen, weil es nicht stimmt. Das sind auch nur Menschen. Die können natürlich für etwas stehen für dich, das ist auch toll. Letzten Endes geht es aber nur darum, dass du deine Familie hast und glücklich bist.

Welche Deiner damaligen Helden hast Du mittlerweile kennengelernt?

Justin Vernon: Ich traf zum Beispiel Bonnie Raitt und sprach mit ihr über Musik und Leben, mittlerweile hat sich daraus eine kleine Freundschaft entwickelt.

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Auch Kanye West hast Du bereits öfter getroffen, Ihr nehmt regelmäßig gemeinsam Musik auf für Eure Alben. Rapmusik ist aber nichts, das Du selber schon wirklich probierst hast, oder?

Justin Vernon: Doch, jede Menge. In der High School war ich in Rapbands. Ich arbeite konstant immer wieder an Rapmusik, mache HipHop seit nun über 15 Jahren. Natürlich war ich nie ansatzweise so gut wie Kanye. Aber ja, ich arbeite auch jetzt gerade an neuem Zeug mit ein paar Leuten. Keine Ahnung, wo das hingehen wird.

Mit anderen Rappern?

Justin Vernon: Aktuell ist nur ein Rapper zugegen. Aber es gibt sonst noch nicht viel zu reden.

Gibt es HipHop-Projekte von Dir, die man heute noch hören und vielleicht im Netz finden kann?

Justin Vernon (lacht): Nein, nichts davon kann man im Internet finden – hoffe ich zumindest! Die Situation mit Kanye aber kam für mich sehr glücklich und gut, weil ich seine Musik sehr gut verstehen konnte und kann.

Jetzt sag uns doch wenigstens einen Namen Deiner damaligen Rapprojekte.

Justin Vernon: Es war die Band meines Bruders und lief unter seinem Namen. Wir bastelten herum, ich rappte, er machte die Beats. Das ist jetzt aber 14 Jahre her!

Dieses Jahr hast Du bereits ein Bluesrock-Album mit The Shouting Matches veröffentlicht. Was findest Du im Volcano Choir, das Du solo und in anderen Bands nicht findest? Deine Bandkollegen Chris und Tom sagten uns, es ginge bei dieser Frage um totale Freiheit, Unvorhersehbarkeit und, wie Du selbst schon gesagt hast, Reaktion. Was noch?

Justin Vernon: Diese Band ist für mich die bisher größte Sache. Die Antwort muss deshalb eine Erklärung sein, wer diese Typen sind und was sie mir bedeuten. Da gibt es eine Brücke des Vertrauens zwischen uns, für deren Entdeckung man tiefer gehen müsste. Alles aber läuft zusammen in dem Wort „Reaktion“. Das ist das Wahrhaftigste, was ich über unser Projekt sagen kann.

Und was ist mit Bon Iver?

Justin Vernon: Ich habe keinerlei Pläne im Moment. Ich könnte nicht sagen, dass es für immer vorbei ist. Ich kann aber auch nicht sagen, dass es garantiert in absehbarer Zeit weiterginge. Ich habe mir selbst gesagt, schlichtweg nicht darüber nachzudenken.

Warum überhaupt die Pause? Zuviel Hype und Aufmerksamkeit?

Justin Vernon: Naja, es wird auf Dauer eben ziemlich langweilig. Vor allem aber wollte ich mit dem Volcano Choir zusammensein und arbeiten. Die Jungs sind mein Ventil. Ich brauche diese Band.

Wird man Dich dennoch mit anderen Bands, Musikern und neuen Projekten hören können?

Justin Vernon: Oh ja. Ich arbeite gerade an einem Album mit einem Typen namens Aero Flynn aus einer Band namens Amateur Love. Wir haben die letzten neun Monate an Songs gearbeitet und unser ganzes Herz da rein gelegt. Er ist so gut wie Neil Young und macht minimales Krautrock-Zeugs. Das beschäftigt mich in den nächsten Monaten, wir suchen ein Label. Vielleicht klappt ja eine Veröffentlichung im Winter.

Und ein drittes Album mit dem Volcano Choir?

Justin Vernon: Ich kann auf jeden Fall sagen, dass es ein drittes Album mit Volcano Choir wahrscheinlicher als ein drittes Album von Bon Iver geben wird!

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REPAVE von Volcano Choir ist am 30. August 2013 erschienen, die Band tourt aktuell durch Deutschland.

Volcano Choir live 2013 auf Deutschland-Tournee:

14. November Berlin, Huxley’s

15. November Düsseldorf, Zakk