Kein Ersatz für Eva


Mitternacht war langst vorüber. Michael hockte auf dem Boden, den Kopf in die linke Hand gestützt und starrte auf den Plattenspieler… and when I die and when l’m dead… dead and gone… „Verdammter Mist“, fluchte er und zog den Stecker aus der Steckdose. „Verdammter Mist!“

Er konnte sich nicht auf den Song konzentrieren, so sehr er sich auch bemühte. Nur die erste Zeile des Textes wiederholte sich rhytmisch in seinem Gedächtnis und Hess ihm keine Ruhe. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ununterbrochen musste er an Eva denken. Eva…

Alles erinnerte ihn an sie. Auf dem Tisch standen die Blumen, die sie gekauft hatte, an der Wand hing ihr Foto. Oberall stiess er auf Sachen, die ihr gehörten und die sie vergessen hatte, mitzunehmen. Und die Wohnung erschien ihm grösser und leerer denn je. Gestern war sie zum letztenmal bei ihm gewesen. Sie hatte ihre Sachen gepackt und die Wohnung verlassen. Zuerst wollte er sie zurückrufen, doch sein Stolz Hess es nicht zu. Und als sie dann für immer gegangen war, wusste er, dass er sie verloren hatte und dass er nie einen Ersatz für Eva finden würde. Am Schlimmsten aber war die Erkenntnis, dass er allein alles verschuldet hatte. Er hatte sie vernachlässigt und stets mehr aus seinem Leben ausgeschlossen. Seine Freunde waren ihm wichtiger. Und drugs. Er hatte schliesslich so viele drugs gebraucht, dass er nicht mehr ohne sie leben konnte. Erst als er stets häufiger Krach mit Eva bekam, versprach er ihr, die Finger davon zu lassen.

„Versprich nichts, was du doch nicht halten kannst“, hatte sie kühl geantwortet.

„Nein“, dachte er, wütend über sich selbst „Ich werde keinen Joint mehr rauchen. Ich habe doch noch einen eigenen Willen. Ich werde ihr zeigen, dass ich es schaffe!“

Er sah aus dem Fenster. Draussen fiel der erste Schnee. Automatisch legte er zum zehnten Mal an diesem Abend die selbe Platte auf… and when I die and when l’m dead … dead and gone… „Nur nicht sentimental werden“, dachte er, wütend über sich selbst. Er hatte keine Lust, ins Bett zu gehen, obwohl er müde war. Zwei Jahre hatte er mit Eva in einem Bett gelegen, ihren warmen Körper neben sich gespürt, jetzt war sein Bett genau so kalt und leer wie die ganze Wohnung.

Plötzlich hielt er es nicht mehr aus. Er musste hinaus und versuchen, zu vergessen…

Musik war sein Leben

Im Club war es angenehm warm. Und allmählich taute Michael auf. Viel war nicht los. An der Bar hockten ein paar Typen, die er nicht kannte. Vor ihm, zwei Tische weiter, standen Freunde von ihm und stimmten ihre Gitarren. Sie machten Session-Musik. Fast jeden Abend. Deshalb gefiel ihm dieser Schuppen so gut Früher war er oft mit Eva dort. Sie hatte in einer Ecke gesessen und zugehört, wenn er mit seinen Freunden musizierte. Musik war sein Leben Sie hatte das respektiert und sich nie beklagt, wenn er sie manchmal zwei Stunden allein Hess, weil er sich nicht vom Schlagzeug trennen konnte.

„Hallo Michael“, begrüsste ihn sein Freund, der in dem Club als Barkeeper arbeitete.

„Was möchtest du haben?“

„Einen Wodka. Und zwar einen doppelten!“ „Den scheinst du nötig zu haben … ,Hab‘ ich auch“. Michael steckte sich eine Zigarette an und nahm ein paar kurze, rasche Züge. „Immer noch nichts von Eva gehört?“ .Nein.“ „Du Idiot) Warum hast du sie laufen lassen? So eine kriegst du nie wieder!“ Während Andy den Wodka einschenkte, sah sich Michael im Club um. Viel los war wirklich nicht mehr. Langsam und vorsichtig nahm er einen Schluck von seinem Wodka. Das Gesöff tat ihm gut und wohlige Wärme durchrieselte seine Adern. Dann stand er auf, ging zu seinen Freunden, die ihre Gitarren gepackt hatten und setzte sich hinter das Schlagzeug. .Okay Jungens“, sagte er. „Los geht’s!“ Und dann ging es los. Michael Hess sich von den Klängen treiben und hämmerte, losgelöst von allem, auf sein Schlagzeug-Für einen kurzen Augenblick vergass er alles. Das war Musik! Er spielte, was er fühlte, er gab alles, und als er nach einer halben Stunde schweissüberströmt die Stöcke fallen Hess, erwachte er wie aus einem Traum. Eisige Kälte schlug ihm entgegen, als er die Diskothek verliess. Vor dem Eingang standen zwei seiner Freunde. „Mensch Mick“, sagte der eine. „Gut, dass du kommst! Hast du einen Trip für mich?“ Mick holte seinen Lederbeutel zum Vorschein, in dem er all diese Sachen bewahrte und leerte kurzentschlossen den ganzen Inhalt in die Hand seines Freundes. „Kannst alles behalten!“ sagte er, ohne eine Antwort abzuwarten. Er schlug seinen Mantelkragen hoch und ging nach Haus.

Du wirst Dich nie andern

Als er gegen Mittag erwachte, fühlte er sich wie zerschlagen. Sein Kopf dröhnte und unter den Augen hatte er bläuliche Schatten.

Draussen regnete es. Der Schnee vom vergangenen Tag war geschmolzen und die Strassen matschig.

Allmählich glaubte er nicht mehr daran, Eva je wiederzusehen.

„Sie ist nicht der Typ, der so etwas verzeiht“, dachte er hoffnungslos. „Sie ist genau so stolz wie ich. Das ist unser Fehler.“ „Du wirst dich nie ändern“, hatte sie mit leiser Stimme zu ihm gesagt, als er schon morgens zur Pfeife griff. „Du bist und bleibst ein Egoist. Ich brauche jemanden, der mir Halt gibt, zu dem ich Vertrauen haben kann …“ „Aber ich liebe dich doch“, wollte er rufen, doch er schwieg, weil ihm seine Worte lächerlich und unglaubwürdig erschienen. „Du hast mir schon so oft versprochen, keine drugs mehr zu nehmen. Wenn du dein Leben kaputtmachen willst, bitte, ich werde dich nicht daran hindern. Aber mein Leben lasse ich mir nicht zerstören. Deine Freunde bedeuten dir alles. Sie haben dich dazu verleitet und auf sie hörst du mehr als auf mich.“ „Das ist nicht wahr“, hatte er gerufen „Sie haben mich nicht verleitet. „Ich will es selbst“ Und so hatte es begonnen. Ein Wort ergab das andere, schliesslich hatte sie geweint und er war weggelaufen. Fort von ihr, fort von allen unbequemen Fragen. Die ganze Nacht hatte er mit Freunden durchgesoffen und erst morgens kam er nach Hause.

Eva natte ihn aus grossen ungläubigen Augen angestarrt Sie hatte weder geschrien noch getobt, wie er es eigentlich gehofft hatte, sondern nur leise gesagt: ,Okay, wie du willst. Es ist aus. Ich bleibe nicht länger bei dir, denn wenn ich länger bei dir bleibe – das weiss ich sicher – komme ich nicht mehr von dir los. Wahrscheinlich bist du ohne mich glücklicher…“ Er hatte gelacht, denn er war sich ihrer so sicher. .Nie wird sie fortgehen“, dachte er. „Das bringt sie nicht fertig. Sie ist nicht so stark wie sie sagt. Sie braucht mich.“ Als sie dann ihren Koffer packte, lachte er nicht mehr. Plötzlich wusste er, dass es ihr ernst war und seine Kehle war wie zugeschnürt. Zuerst wollte er ihr hinterherlaufen, sie festhalten, doch dann iess sein Stolz es nicht zu. Als sie die Tür hinter sich schloss und es plötzlich still war, fielen ihm all die Worte ein, die er ihr hatte sagen wollen. Doch da war es zu

Die Erinnerungen taten weh

Michael setzte sich in den Sessel und versuchte, ein Buch zu lesen. Doch er konnte sich nicht konzentrieren. Als er plötzlich feststellte, dass er eine halbe Stunde brauchte, um auch nur eine Seite zu lesen, gab er es auf. Er hatte rasende Kopfschmerzen und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. „Bin ich wirklich schon süchtig“, dachte er erschrocken. „Kann ich wirklich nicht mehr ohne drugs leben?“ Irgendwo musste er noch Stoff haben. Nachdem er sämtliche Schränke und Schubladen hastig durchsucht hatte, entdeckte er in einer kleinen Dose einen Rest Haschisch. Seine Hände zitterten, als er das Kraut mit dem Tabak mischte und in die Pfeife stopfte. Doch schon beim ersten Zug wurde ihm wohler. „Ich hatte ihr versprochen, es nicht mehr zu tun“, dachte er verzweifelt. „Aber wenn sie doch nicht mehr zurückkommt, dann ist es mit mir sowieso aus. Dann gehe ich kaputt.“ Er hockte sich auf den Boden und legte noch einmal die alte Platte von Blood. Sweat & Tears auf… and when I die and when l’m dead… Plötzlich kamen ihm lauter dumme, unsinnige Gedanken. Wenn er nur sterben würde, dann würde sie bereuen und um ihn weinen. Sein Leben war sinnlos geworden. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie viel sie ihm eigentlich bedeutet hatte. Er rollte sich auf den Rücken und schloss die Augen. Die Pfeife war aus und die Erinnerungen taten weh. Er war müde und sah alles nur noch wie durch einen dichten Schleier.

Plötzlich bildete er sich ein, Eva würde neben ihm stehen. Er fühlte ihre kühle kleine Hand auf seiner heissen Stirn, er roch ihr Parfüm, das er ihr geschenkt hatte… er träumte… Ein schöner Traum. Zu schön, um die Augen aufzumachen und die Wirklichkeit vor sich zu sehen. „Eva…“ leise flüsterte er ihren Namen. Er spürte ihre Nähe fast körperlich und ihre Lippen suchten die seinen. Nein, das war kein Traum. Er wagte nicht, die Augen zu öffnen, er hatte Angst, das Traumbild zu verjagen. Doch dann sah er sie… Sie sah ihm in die Augen und er wusste, sie würde bleiben. Sie brauchte ihn genau so wie er sie brauchte. Sie hatte ihm verziehen, sie liebte ihn, so wie er war, mit all seinen Fehlem. Er schloss sie in die Arme und ihr Kuss wischte alle Sorgen fort Sie würden es schon schaffen… Eva und er!