King Crimson


Sieben Jahre habe er gebraucht, um für diese Band bereit zu sein, erklärt Robert Fripp. Außerdem erfahrt Ihr hier von ihm, was es bedeutet, in der "First Division" der internationalen Rock'n'Roll-Liga zu spielen. Und wie wir es schaffen, 1990 in einer besseren Gesellschaft zu leben...

Der Name King Crimson sorgte für Verwirrung. Die Hamburger Markthalle hat lange nicht mehr so viele Hippies auf einem Haufen beherbergt. Leute, von denen einige mit Sicherheit nicht einmal wußten, was Frippertronics sind und was es mit der League Of Gentlemen auf sich hatte. Wer Robert Fripp kennt, weiß, daß es für die Tatsache, daß jetzt nach sieben Jahren wieder ein paar Musiker unter dem Namen King Crimson auftreten, eine höchst komplizierte Erklärung gibt. Ich hatte ihn zwar gebeten, den philosophisch verzwickten Text seines diesbezüglichen Bulletins im Interview zu vereinfachen. Mit dem Ergebnis allerdings, daß ich mich nun mit dem Problem herumzuschlagen habe, wie ich the iconic aspect of beeing a performer in allgemeinverständliches Deutsch übertragen soll.

Was Robert Fripp in seiner präzisen Gelehrtenart erklärte, war im Grunde Folgendes: Wenn sich der Name einer Band irgendwann mal verselbständigt, ist er nicht mehr an einzelne Mitglieder gebunden. So würden auch die Beatles noch leben, ohne John Lennon. Und Blondie sei eben nicht Deborah Harry. Und so sei auch das allgemeine Interesse am King Crimson nicht abgerissen.

Die Formation, die jetzt unter dem Namen King Crimson durch die Kontinente reist, entschlüpfte ihrem embryonalen Zustand „Discipline“ genannt – als Fripp ihre potentielle Gruppen-Energie erkannte. Und diese Aura befand er für würdig, den legendären Namen wieder in neues Licht zu hüllen. Allerdings ist der Begriff „lengendär“ hier fehl am Platze, denn, so Fripp: „King Crimson ist keine Legende, sondern eine Tradition. Denn eine Tradition ist etwas Lebendiges.“

Zuviel der Theorie? Dann sprechen wir jetzt über die Musiker. Bill Bruford, der nach seinem Gastspiel bei einer der damaligen KC-Besetzung unter anderem bei UK an den Drums saß, war laut Fripp reif für eine Veränderung: „Bill ist der einzige Drummer, der diesem Job gerecht wird. Ich kenne keinen anderen, der hart genug an sich arbeiten würde, um sich im Geiste des guten Willens einer radikalen Veränderung zu unterwerfen. Das, was er in den vergangenen sieben Jahren gemacht hat, gefiel mir zwar nicht, aber Bill ist ein anständiger Kerl und war inzwischen auch an einem Punkt angekommen, wo er für neue Ideen und Vorschläge bereit und offen war. Bei Adrian (Belew) ist es ganz einfach: Er ist eben mein Lieblingsgitarrist. Und Tony Levin ist mein Favorit am Baß. Mit ihm habe ich schon während der Produktion zu Peter Gabriels erstem Solo-Album in Toronto zusammengearbeitet. Im September 1976.“

Adrian Belew hatte sich aui der aktuellen King-Crimson-LP DISCIPLINE als ausdrucksstarker Vokalist entpuppt. Für mein Empfinden eine Kreuzung aus David Bowie und David Byrne, zwei ehemalige Arbeitgeber Belews bekanntlich. „Für mich ist er Adrian Belew“, sagt Fripp. “ Wir haben bei King Crimson den einzelnen Mitgliedern immer die Gelegenheit gegeben, sich selbst zu entdecken. Adrian sah sich bisher immer nur in der Rolle des Sideman, der die Ideen anderer rüberzubringen hatte. Wir haben ihn ermutigt, s&ne eigene Stimme zu finden. „Übrigens stammen auch die Texte des neuen King-Crimson-Materials von Adrian Belew. Parallelen zur modernen, of assoziativen Lyrik seines EXPOSURE-Albums (dem ersten nach der kreativen Pause) waren auch Fripp aufgefallen. Er freut sich: „Sie vermitteln mir das Gefühl, daß ich sie hätte schreiben können. Sie haben mir sehr gefallen.“ Robert Fripp wirkt schmaler und zerbrechlicher als zuvor. Seine Antworten kommen manchmal noch knapper, noch pedantischer, noch komplizierter. Auf der Bühne bleibt er im Halbdunkel, ist auch beim Fototermin während des Soundchecks nicht zu bewegen, ins Licht zu rücken. Sein eiserner Wille, mit dem er sich mittlerweile von der dritten Aktionsebene auf die erste bewegte („first division“) lenkt das Projekt auch aus dem Verborgenen. Da mag sich der extrovertierte Adrian noch so profilieren als Frontmann eines perfekt funktionierenden Klangunternehmens. Von der rhythmischen Attraktivität des New-York-Funk über ein paar afrikanische Accessoirs und die knappen Tanz-Kicks League-of-Gentlemen-ähnlicher Passagen entfernten sich King Crimson im letzten Drittel des Konzertes schließlich von ihrer perfekten Wiedergabe der LP, um nahezu furios ins Hart-Metallische abzuheben. Was den einen im Publikum ihre Ekstase, war der Bewunderern Fripp’scher Minimal-Akustik allerdings ein Dorn im Ohr. Fripp selber sagt von King Crimson, sie seien derzeil der aufregendste Liveact. Und so wie er es sagt, klingt es nicht einmal unbescheiden.

Weniger bescheiden waren allerdings die Eintrittspreise. Stolze 23 DM, für die Markthalle in Hamburg ein Hohn, kostete ein Ticket an der Abendkasse. Soviel bezahlt man normalerweise für einen Sitzplatz, aber für die meisten gab es an diesem Abend nicht mal einen Sehplatz, denn sogar die Treppenstufen waren dicht bevölkert. Sauer war natürlich, wer nicht einmal den Zipfel eines Musikers sehen konnte, sauer waren auch jene, die nicht begriffen, daß King Crimson 81 nicht mehr so klangen wie King Crimson 71 und jene, die Fripp nach einer Phase der konsequenten Reduzierung plötzlich wieder als Mitstreiter bei einem richtigen Rockkonzert erlebten. Mißtöne, die im allgemeinen Jubeln, Klatschen und Trampeln für Zugaben aber völlig untergingen, „Ich habe sieben Jahre gebraucht, um für diese LP, für diese Band bereit zu sein“, sagt Robert Fripp. Aber indem er mit einer neuen King-Crimson-Formation die sogenannte First division erreicht hat, ist der Kreis für ihn noch nicht geschlossen. „Er geht weiter“, lächelt er konspirativ. Bis zum Jahr 1984 hat er detaillierte Pläne, was seine Karriere betrifft. Und er hegt einige höchst positive Ideen, wie es mit unserer Gesellschaft im Jahre 1990 bestellt sein könnte.

Zunächst aber das Geschäft: Fripp teilt die Musikindustrie in Abteilungen ein. Zuerst „third division“: „Forschung und Entwicklung. Man arbeitet voller Idealismus an hochtrabenden Ideen, verdient aber nichts.“ Bei Fripp selbst war das die Phase der Frippertronics. „Second division“: „Sie setzt dort ein, wo man seinen Lebensunterhalt verdient und mit Ideen hantiert, die zwar durchaus akzeptabel sind, ober weißgott nicht weltbewegend.“

Diese zweite Abteilung spielte sich für Fripp im Rahmen des League-Of-Gentlemen-Intermezzos ab. Das Publikum mochte sie, und Robert disziplinierte sich als Primus inter pares unter anderem, indem er mit ungemütlichen 2-Sterne-Hotels vorlieb nahm. Rock’n’Roll bedeutet nicht, daß du einen Butler hast“, sagte er damals tapfer, konnte jedoch nicht verbergen, daß ihm diese „back-to-the-roots“-Tour im klapprigen VW-Bus ganz schön an die Substanz ging. Mit dem ehemaligen XTC-Musiker Barry Andrews (keyb), der Bassistin Sarah Lee und dem Drummer Johnny Too Bad hatte er zwar eine Truppe beisammen, die noch voll diese Art von spirit besaß, die er bei Profis vermißt. Aber wenn zuviel spirit dazu führt, daß die Bandmitglieder nicht pünktlich zur Arbeit aufkreuzen, geht eines Tages auch Mr. Fripp. der Idealismus aus. Und er entscheidet sich, nun in die dritte Phase, die der first „division“ einzutreten.

„Der negative Aspekt ist die Massenkultur“, erklärt er. „Dazu gehören Popularität, Poster und Anzeigen. Die positive Seite ist jedoch die: Du bist populär, weil du gut bist und nicht, weil du mit billigen Mitteln arbeitest. Du beschäftigst die besten Musiker und greifst die aktuellen künstlerischen Ideen auf. Du kannst dich den Medien stellen und deine Ideen vermitteln; du hast die volle berufliche Kompetenz. Aber du bewegst dich sogar noch darüberhinaus: Dein Leben ist nicht bequem. Du setzt dich beträchtlichen psychologischen, emotionellen und persönlichen Risiken aus. Aber innerhalb dieser „first division“ gibt es für dich auch mehr Möglichkeiten als sonst irgendwo.“

Die Entscheidung, eine first-division-Band zu formieren, fiel im November 1980. Fripp war mit der League Of Gentlemen unterwegs zwischen Manchester und Liverpool. Den Drummer hatten sie gerade in den Zug gesetzt, er hatte sich permanent danebenbenommen. Fripp: „Ich brauchte Leute, die seh ihrer Verpflichtung bewußt sind, das wurde mir klar.“ ‚Profis also? „Professionelle jenseits der Professionalität. Ich wollte eine Band, in der sich musikalische Kompetenz und Lebendigkeit ergänzen.“

Sieht er King Crimson nun eigentlich als europäische oder als amerikanische Band? Er überlegt: „Beides“, meint er schließlich. „Rockmusik ist die Volksmusik Amerikas, Europa hat andere Traditionen. Also spielt man in England zum Beispiel Rockmusik nicht in dem Bewußtsein, wie es in Amerika der Fall ist. Die englische Rockmusik entwickelt zur Zeit sehr interessante Ideen – nur kann man sie da nicht spielen. In Amerika besitzen viele zwar die Fähigkeit zu spielen, aber es mangelt an Ideen. So ist es doch nur vernünftig, wen sich beide Bereiche zusammentun.“

Fripp selbst teilt sich zwischen seiner englischen Heimat und New York auf. „Ich finde Englands Kultur sehr negativ; repressiv, kritisch. Ich wünschte mir für die Musik eine positivere Einstellung. In Amerika existiert eine positive Kultur, eine, die dich eher unterstützt. Englische Musiker gehen nach

Amerika, weil man ihrer Arbeit dort positiv begegnet, anstatt sie zu kritisieren und zu beschimpfen. Es ist fast unmöglich, in England zu arbeiten.“

Kaum zu glauben, aber auch ein Mann wie Robert Fripp fühlt sich durch die oft als feindselig empfundene Attitüde der englischen Musikpresse betroffen. Aber findet er den amerikanischen Positivismus etwa erstrebenswerter? „Was ich meine, sind die jungen Leute, die mich in New York auf der Straße ansprechen und fragen: ‚Mr. Fripp, wann arbeiten Sie wieder, wann ist Ihr nächstes Konzert?‘ Das ist die Ebene von Unterstützung, von der ich rede. Für die business-üblichen Unaufrichtigkeiten habe ich sowieso keine Zeit. Außerdem kennt man mich in der Industrie inzwischen gut genug, um zu wissen, daß ich dafür nicht zugänglich bin.“

Die first division läuft bis 1984. Fripps Ideen, die sich darüberhinaus bewegen, sind eher gesellschaftlicher Natur. Wird es auch nach 1984 Rockmusik geben? „Sicherlich. Aber die Umstände werden völlig anders sein, es wird außerdem sehr viel schwieriger. Du kannst dir den Antrag auf eine Reiseerlaubnis sparen, wenn die Kosten so gestiegen sind, daß du sie sowieso nicht bezahlen kannst. Das ist nur ein Beispiel.“

Zum Schluß noch ein wenig Theorie: „Zur Zeit sind einige bemerkenswerte Dinge im Gange. „Robert Fripp denkt an die Leute, die beginnen, Verantwortung zu übernehmen. Die gerade lernen zusammenzuarbeiten und eine Infrastruktur zu bilden, die unsere, uneffektiv gewordene, eines Tages ersetzen wird. „Die nächste Periode ist die des Überganges“ prophezeit er. Seine Vorstellung ist die einer übergeordneten Intelligenz, ähnlich der, die den Vogelschwarm zusammenhält. Und sind wir erst einmal so weit, dann würde auch die offizielle Politik keine Chance mehr haben. Fripp setzt auf ein neues Gemeinschaftsgefühl: „Aber es er/ordert Disziplin. Es lallt uns nicht leicht, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die wir nicht mögen. Darum muß man die Möglichkeit haben zu wählen, anstatt wie in diesem Leben in seiner Situation festzusitzen.“

Der Weg dorthin ist sowohl von Aktivität als auch von Passivität bestimmt. „Nicht ich baue dieses System auf, sondern das System formt mich,“ belehrt mich Fripp. „Glaubst du, daß ein Musiker die Musik spielt? Das funktioniert andersherum: Die Musik spielt den Musiker. Wenn du das erfahren hast, brauchst du dir um sie keine Gedanken mehr zu machen. Was du zu tun hast, ist, über dich selbst nachzudenken. Bring dich in Situationen, in denen du gespielt wirst. Der Antrieb für deine Arbeit verändert sich. Es ist eine enorme Selbstüberschätzung, anzunehmen, daß wir die Welt ändern können. Du mußt dich selbst ändern. Das ist alles. Es ist schwer, aber es ist möglich. Und daran arbeite ich.“

Sein Vertrauen in ein Schneeballsystem, nach dem sich diese neue Bewußtseinswelle ausbreitet, erscheint noch völlig in Takt. Einwände, die die Unbeweglichkeit der schweigenden Mehrheit zu bedenken geben, wehrt er salomonisch ab: „Unsere Absicht ist es nicht, andere Leute zu ändern. Unser Anliegen kann nur sein, uns selbst zu andern.“

Zu Beginn des Interviews hatte ich Robert Fripp gefragt, ob Disziplin eigentlich sein Lieblingswort sei. „Ich mag es häufig benutzen, aber es ist nicht unbedingt mein Lieblingswort“, lächelt er. „Wir haben zu diesem Begriff eine merkwürdige Einstellung. Wir denken da immer an etwas Strenges. Aber so sehe ich es nicht. Für manch einen mag Disziplin eine Bedrohung sein, aber für mich ist Disziplin ein Gefüge, das mich dorthin bringt, wo ich hin will.“