Kraan – „Swinging“ Rock vom Weidegut


Sie wohnen im Teutoburger Wald und wollten von Anfang an vieles anders und alles besser machen. Sie sind dicke Freunde und möchten die Freude an ihrem gemeinsamen Hobby Musik auch anderen mitteilen. Und inzwischen können sie sogar davon leben…

Sologitamst und Sänger Peter Wolbrandt, sein Bruder Jan Fride am Schlagzeug, Saxophonist ‚Alto‘ Pappert und Bassist Hellmut Hattler spielen seit beinane zehn Jahren zusammen und sind mit Ex-Karthago Tastenspieler Ingo Bischof heute unter dem Namen KRAAN bis weit über die Grenzen Deutschlands bekannt.

Das Musikerkollektiv lebt weit ab von Straßenlärm und Großstadthektik mit einigen Freunden, Freundinnen und Kindern in der ländlichen Abgeschiedenheit des Teutoburger Waldes – und entwickelte sich dort in aller Stille zu einer der bedeutendsten Gruppen der deutschen Rock-Szenerie.

Es begann in Ulm. Peter, Jan, ‚Alto‘ und Hellmut begannen schon als Schüler in ihrer Freizeit zu jazzen. Eine kleine Erbschaft gab im Mai 1970 den entscheidenden Ausschlag: Die Vier wollten sich als Profi-Musiker versuchen und legten zum Kauf einer Anlage und Bandbus zusammen.

Nach einigen Monaten Kommuneleben ging die Gruppe nach Berlin: Peter studierte Grafik, ‚Alto‘ schrieb sich an der Musikhochschule ein, und Jan Fride jobbte nebenbei als Fotograf.

Graf Metternich, der heimliche Kraan-Mäzen

Ende 1971 siedelten Kraan dann schon wieder um – sie zogen in den Teutoburger Wald. Graf Metternich überließ der Gruppe ein altes Pferdegestüt kostenlos und ohne Bedingungen. So wurden die Musiker von Kraan zu Herren von Weidegut Wintrup, einem anno 1871 erbauten Fachwerkgebäude mit rund 4.000 Quadratmetern Land. Hier kann jeder tun und lassen was er will. Wenn sie sich nicht mit ihren Hobbies Malen. Lesen und Fotografieren beschäftigen, finden sich die Kraan-Leute oft zu langen Sessions zusammen – und spielen zu jeder Tages- und Nachtzeit, so laut sie wollen und können. Der nächste Nachbar wohnt 300 Meter entfernt auf einem Hügel und ist ein guter Freund. ..

So konnten Peter, Jan, ‚Alto‘ und Hellmut vollkommen ungestört ihre erste LP-Veröffentlichung vorbereiten. Mitdurchschnittlich zehn Konzerten im Monat (und einer Gage von 1.200 bis 1.600 DM pro Auftritt) sicherten sich Kraan das Existenzminimum, und durch ihr sparsames mietfreies Leben hatten sie bald genügend finanzielle Mittel zusammen, um ihr erstes Album in eigener Regie zu produzieren. Die LP ‚Kraan‘ mit langen Jazzrock-Improvisationen und fernöstlichen Einflüssen fand bei Presse, Rundfunk und Fans allgemeinen Anklang, und mit einer ausgedehnten Deutschland-Tournee, einigen Auftritten in Holland und der Schweiz sowie der Teilnahme beim Windsor Park-Festival in England avancierte Kraan innerhalb weniger Monate zu einer derbeliebtesten deutschen Live-Gruppen.

„Wenn’s in der Küche stimmt …“

Das etwas rockigere zweite Album ‚Wintrup‘ zeigte im Sommer 1973 die weitere Entwicklung von Kraan: Free Jazz, lyrische Gesangspassagen und Rock werden in präzisen Arrangements eingefaßt, die verschiedenen Stilelemente und Themen immer wieder neu variiert und in dichtem Zusammenspiel miteinander verbunden. „Wenn in der Küche alles stimmt, geht auch die Musik in Ordnung“ ist ein alter Wahlspruch von Kraan – und die Wintrup-Musiker beweisen es tatsächlich. Und nicht nur musikalisch!

Mit organisatorischer Hilfe von Manager Walter Holzbaur organisiert die Gruppe selbst Tourneen, Promotion-Aktivitäten und führt Vertragsverhandlungen mit ausländischen Plattengesellschaften. Auf diese Weise verkaufte Kraan von ihrer dritten LP ‚Andy Nogger‘ in Deutschland über 12.000 Stück. Der Plattentitel mit der Anspielung auf den herrschenden Konsumterror (Nogger Dir einen!‘) wirkte auf die Plattenkäufer nicht gerade abschreckend.

Im Oktober 1974 zeichnete Kraan daraufhin bei zwei ausverkauften Konzerten im Berliner ‚Quartier Latin‘ (mit Conny Plank am Mischpult) ein Live-Doppelalbum auf, und während sich ‚Kraan Live‘ in Deutschland zum Kritikerfavoriten und ausgesprochenen Verkaufsrenner entwickelt, erschien ‚Andy Nogger‘ nach der Herausgabe in unseren Nachbarländern Schweiz, Österreich und Holland Anfang 1975 auch in den USA, Kanada. Australien, England, Skandinavien – und in Südafrika. Schon vier Wochen nach Veröffentlichung in Amerika rangiert das Album in Billboard auf Platz 9 der meistgespielten LPs aller US-Sender…

Fünfter Mann für fünfte LP

Nach dem Auftritt vor rund 25000 begeisterten Dänen beim Roskilde-Festival am 28. Juni dieses Jahres ging Kraan an die Ausarbeitung ihrer neuen LP. Mit von der Partie ist seitdem ein alter Bekannter aus Berlin – Ingo Bischof, Pianist, Organist und Synthesizer-Virtuose von Karthago, sorgt als fünftes Kraan-Mitglied für neuen Schwung. Um das gute Feeling der Probesessions auf Wintrup nicht zu unterbrechen, beschloß die Gruppe, ihr Zusammenspiel mit dem ‚Neuen‘ gleich an Ort und Stelle einzufangen. So wurde das fünfte Kraan-Album ‚Let lt Out‘ eine echte Hausarbeit – aufgezeichnet mit Hilfe von Conny Planks mobilem Studio zwischen Pferdestall und Küchenherd auf dem Gutshof Wintrup.

Nicht nur auf der neuen Platte, auch bei den Live-Auftritten von Kraan wirkt Ingo Bischof, als wäre er schon von Anfang an dabei gewesen. Lange Kollektiv-Improvisationen zwischen Jazz, Rock und Blues werden mit spielerischer Leichtigkeit für ein paar Takte von arrangierten Teilen unterbrochen – da zeigt sich echtes Können (und die Kraan-Leute verwirklichen ihre ausgefallenen musikalischen Ideen mit derart viel Einfühlungsvermögen und Präzision, als wollten sie augenzwinkernd an den Genius eines Frank Zappa erinnern).

Spaß an der Show

Gleich ihrer ungebrochenen Spiel- und Experimentierfreude hat sich Kraan den natürlichen Spaß an der Verbindung ihrer Musik mit allerlei Showelementen bewahrt.

Die nostalgischen Palmzweige auf der Bühne, flackernde bunte Glühbirnen und Flashlights am Schlagzeug gehören einfach dazu.

Das wird nach der 20tägigen Deutschland-Tournee auch die verwöhnten Engländer im Londoner „Roundhouse‘ und ‚Marquee‘-Club überzeugen!!!