Kurz & Klein


Der Schreiber dieser Zeilen, also ich, durfte schon einmal im Kurz & Klein-Kasten eine Platte der Experimental-Postpop-Wahnsinnsvögel Deerhoof aus San Francisco besprechen, das letzte Album MILK MAN war das, und kurz danach durfte er, also ich, Jeff Tweedy von Wiko interviewen, und der erzählte, daß er momentan nur Deerhoof hört. Seitdem – man ist ja dankbar für jede Schublade, die sich auftut – sind Deerhoof bei mir abgespeichert als „Jeff Tweedys Lieblingsband“. Er meinte allerdings, er höre eher die alten Sachen von denen, MILK MAN war ihm irgendwie schon zu geradeaus, offenbar. Das neue Album THE RUNNERS FOUR (Kill RockStars/Cargo) ist jetzt noch „geschmeidiger“ (sagt das Info), aber ich darf vielleicht für den einen oder anderen mitsprechen, wenn ich sage: Für uns ist das immer noch crazy genug, wie da chaotisch zwischen Süßheit und Atonalität herumgewieselt wird, Rhythmen brechen, angerissene Melodien wegbröseln, zwischendurch der schiere Freejazz losbricht, darüber das charmante Tralala von Sängerin Satomi Matsuzaki. Das Ganze ist angenehmerweise immer eher verspielt künstlerisch als verkopft gekünstelt. Aber spielt doch mithin ins Anstrengende hinüber.

Aber was ist „anstrengend“ schon für ein Terminus, um Musik zu beschreiben. Ist CRACKED WIDE OPEN (Waggle-Daggle/Broken Silence), das neue Album von Cloroform „anstrengend“? Ja, schon irgendwie. Aber wer zum Teufel sind Cloroform? Drei Norweger, die, so ihr Info, da oben eine feste Größe der „rhythmic music“-Szene sind, was immer das dann wieder“ ist. Frontmann John Kaada hat schon mit Mike Patton aufgenommen, Bassist Øyvind Storesund ist u.a. Mitglied beim Kaizers Orchestra. Cloroform musizieren auf Kontrabaß(!), Keyboards und Drums und das hat wenig mit „normalem“ Rock zu tun, ist aber auch nicht so ein Gestelze wie Kaizers und nicht so wichtigtuerisch unanhörbar wie viele Patton-Sachen. Sondern … Beispiel: „Eat Your Face“; da rockt so eine funky Strophe dahin, getragen von einer Bratorgel, dann kommt ein Refrain mit Rockgeschrei, dann ein opernhafter Zwischenteil mit Glockenspiel, Klavierlaufund Falseustimme. In der Realität klingt das bei weitem nicht so affig wie die Beschreibung, sondern rhytmisch feist (rhythmic music halt), melodisch originell, und, ja, poppig. Und eben manchmal ein bißchen anstrengend.

Ganz unanstrengend, sondern voll getragenem Wohlklang ist DOVETAIL (Klein/Rough Trade), das dritte Album der beiden Kölner Engländer Alex Paulick und Rob Taylor alias Coloma. Produziert von Tobias Levin, mit luftigen Pop-Arrangements, durchweht von Piano und Bläsern und Vibraphon sowie elektronischen Frickeleien, dazu mit der dezent schwülstigen, zwischen Neil Hannon und Marc Almond vibrierenden Stimme von Taylor, klingt das ein wenig wie die Einheit von The Divine Comedy und Kante. Schön. Aber, flüster: wer Absent Friends und ZOMBI noch nicht hat, sollte erstmal diese Versäumnisse nachholen.

Und was ist denn hier los? Ein Herr namens Rainer von Vielen aus dem Allgäu mit seinem Album Rainer von vielen (EbensoMusik/sfb records). Rainer sampelt wie ein Wilder und hübsch hysterisch Duke Ellington, Charleston und Fingerschnippen in seine ambitionierten raggahüpfigen Tracks rein und pflegt einen angenehm unspackigen Rapstil, der an die selbstgebastelten frühen Platten von Kinderzimmer Productions erinnert, wenn er nicht gerade mit einer komischen Stimme zwischen Kehlkopfgesang und dem Typ aus „Im Wagen vor mir“ toastet. Lustig aber durchaus nicht nur lustig. Mithin nur etwas, richtig, anstrengend.

Das selbstgemalte Cover von Rescued By Rock’n‘ Roll (Dustbowl/Edel) der Norweger Royal Rooster sieht aus wie das der Band von der letzten Abi-Party, hat ein bisschen was von Kiss meets Jet, und genau so klingt die Musik – nur besser, als das Cover gemalt ist. Purple-Orgel ist auch noch dabei – so lustiger, saftiger Schweinsrock halt. Auch aus Norwegen ist die Mädchenband (also: eine Band aus Mädchen, nicht Sugarplum Fairy) The Launderettes, die auf Every Heart Is A Time Bomb (Big Dipper) twangigen Dengel-Sixties-Pop mit Örgelchen und allem spielen, der mal schlangig-loungig sich windend, dann wieder garagig trashig zwischen hübscher Beliebigkeit und regelrecht interesssanten Passagen tänzelt. Und, wenn man es mal über einen Kamm scheren will, in etwa so klingt wie „In The Cold Cold Night“ von den White Stripes mit den Mamas & Papas (ohne Papas, naturgemäß) dazwischen.

Einsalzen kann man die Cherubs, die auf UNCOVERED BY HEARTBEAT(CargoRecords/Cargo) eine Art wir-können-alle-guten-neuen-Bands-nachmachen- Revue abziehen (ein Lied klingt wie Interpol, das nächste wie Franz Ferdinand, dann The Strokes etc.), die ganz okay ist, aber halt nie besser als die nachgemachten Bands selber. Dann lieber übrige Euros in SIPPIANA HERICANE (EMI) von Dr. John investieren. Alle Einnahmen dieses Minialbums – Herzstück ist die vierteilige „Hurricane Suite“ gehen an Musiker-Charities in Lousiana und Mississippi. Und dann kann man sich von dem stimmungsvollen Pianojazz-Blues des um sein New Orleans trauernden Doktors das Herz schwer werden lassen – oder die CD zu Weihnachten verschenken. Apropos: Frohes Fest.