Lambchop: Etwas muss passiert sein


Jemand wurde beschädigt. Aber Kurt Wagner von Lambchop würde darüber niemals schnöde Befindlichkeitslyrics schreiben. Lieber nimmt er nächstens eine Black-Metal-PLatte auf.

Seit Aw C’mon/No You C’mon scheinen Lambchop musikalisch ein wenig still zu stehen. Doch in Anbetracht des lyrischen Mülls, der einem im Normalfall tagtäglich per Popwurfsendung zugemutet wird, schimmern die Poeme des ehemaligen Fliesenlegers Kurt Wagner wie die prismenförmigen Kristalle eines Amethysten. Ihnen wurde die große Liebe entrissen oder der wichtigste Mensch Ihres Lebens? Nun, Kurt Wagner kann Ihnen auch nicht helfen, niemand kann das. Aber wie er da sitzt, mit seinem fürchterlich uncoolen Käppi, eine Käsesemmel essend, dem Blick des Fragestellers freundlich ausweichend, nicht selten schallend loslachend – darin wohnt schon ein wenig Trost. Kurt, altes Haus, hast es bis hierhin schon einmal geschafft!

Die neue Lambchop-Platte heißt wie das Debüt der Hardcore-Pioniere Black Flag: Damaged. Ein möglicher Grund hierfür: In Wagners Kiefer wurde ein Tumor gefunden, etwas später wurde noch an einer anderen Stelle seines Körpers eine Krebserkrankung diagnostiziert. Beides ist überstanden, doch Wagner kennt die Demütigung, die generell jeder Arztbesuch, jeder Krankenhausaufenthalt bedeutet, mit Sicherheit genau. Beschädigt wird bei solch schwerwiegenden Erkrankungen nie nur der Körper. Ein Verdienst von Damaged ist aber unter anderem, dass Wagner diese Erfahrungen nicht direkt thematisiert, nicht in den Vordergrund stellt, schon gar nicht instrumentalisiert oder verklärt. Man merkt den Texten an, dass etwas passiert sein muss, aber man liest es ihnen kaum an.

Das Wort „Damaged“ steht im Zweifelsfall eben genau dafür: „Beschädigung“. Warum wird der Mensch eigentlich immer weiter beschädigt? Hört das jemals auf? „Der Mensch wird andauernd aufs Neue beschädigt, ja. Das lässt sich nicht leugnen. Es gibt Phasen, wo man denkt: Es geht nicht mehr, ich kann nicht mehr, wann werde ich endlich aufhören, mich so schlecht zu fühlen? Die Leute, die einem dann aufmunternd auf die Schulter klopfen und sagen ‚Schau nach vorne und hake die Vergangenheit ab!‘, wissen nicht, wovon sie sprechen, denn man kann Menschen oder Dinge nicht einfach ‚abhaken‘ und zur Tagesordnung übergehen. So etwas kann Jahre dauern. Aber was den Albumtitel Damaged angeht: ich wollte ein einzelnes Wort, das sehr einfach und nicht zu verzwickt klingt und trotzdem eine Stimmung trifft, die man in den einzelnen Stücken wiederfinden kann.“

Wagner meint, er könne auch gut und gerne ein Black-Metal-Album machen. Das meint er aber nur nebenbei. „Nun, wie man ja schon auf anderen Lambchop-Alben hören konnte, haben mich Texte über die eigene Befindlichkeit, Texte aus der Ich-Perspektive immer eher gelangweilt. Ich mag Wortspiele oder kleine Hinweise, abseitige Geschichten, Dinge, die ich vielleicht mal im Fernsehen oder in einem Buch aufgeschnappt habe und die mich reizen oder inspirieren. Ich mag es, die Dinge in der Schwebe zu lassen. Bei dieser Platte habe ich wirklich sehr lange an den Texten gesessen, und ich denke, dass sie sich teilweise auch sehr stark von den Lyrics, die ich früher geschrieben habe, unterscheiden.“

Und dennoch sind sie immer noch da, die alten Lambchop-Kniffe: „I reach into my pocketbook/ And I light my last cigarette“ (aus „I Would Have Waited Here All Day“). Will er jetzt nur wieder aufhören zu rauchen oder wird er sich gleich umbringen? „I am willing to bear my part/ I’ve been hasty, I’ve been surprised / And for this I’m only partially prepared“ („Prepared“): Für was, verdammt noch mal, für was reicht die Vorbereitung nicht aus? Wagner grient, zuckt feixend mit den Schultern – der Mann hat schließlich auch schon einen Song über Spinnweben geschrieben. Weist man ihn daraufhin, dass einige Zeilen aus dem Lied „Short“ (und aus anderen neuen Lambchop-Liedern) an James Salter erinnern, ja sogar an die akkurate Lakonik der Kurzprosa von Raymond Carver, sagt er ohne Zögern: „Yeah, exactly!“

Das nächste Wagner-Projekt ist schon länger in Planung: ein Album mit Tindersticks-Sänger Stuart A. Staples. Eine Sammlung von alten Kinderliedern soll es werden, Will Oldham und Jarvis Cocker machen auch mit, Duette wird es allerdings nicht geben, dafür ein paar Instrumentals. Wie er Jarvis Cocker kennen gelernt hat, möchten wir wissen.

„Ach, gar nicht. Ich kenne überhaupt niemanden. Stuart kennt sie alle.“

Und damit wären wir auch schon am Ende einer weiteren kleinen Erzählung über Kurt Wagner, der hoffentlich auf alle Zeit verheiratet und in Nashville wohnen bleiben wird. Er wird, der Albumtitel How I Quit Smoking war eben einfach eine Lüge, niemals mit dem Rauchen aufhören und auf diese Weise auch keine Freunde verlieren. Und wie die neunte Lambchop-Platte klingt, wie die Streicher wieder schwelgen und Kurt Wagner wieder wimmert und flüstert, entnehmen Sie bitte irgendeiner handelsüblichen Rezension.

www.lambchop.net