Lang FINGER


Der weiße Snow beklaut Jamaicas Rapper und wird damit Stammkunde im schwarzen Selbstbedienungsladen

Das Klischee ist so alt wie die Plattenindustrie: Schwarze säen — Weiße ernten. Elvis holte sich sein Blues-Rüstzeug im schwarzen Memphis, und auch die Rolling Stones liehen sich von Muddy Waters mehr als nur den Bandnamen. Bis heute kassieren Epigonen (Moore) und Verehrer (Clapton) beim Blues ab, während clevere weiße Mittelstands-Kids wie Vanilla Ice oder die New Kids On The Block das schwarze Gold von den Straßen der HipHop-Ghettos kratzen. Neuestes Beispiel: Darrin O’Brien, weiß, 23, Ire. Er nennt sich Snow und beglückt die Charts mit seiner weißgewaschenen Version des Reggae-Ablegers Raggamuffin.

Keine Regel ohne Ausnahme: Auch der schwarze Ragga Shabba Ranks und der Blues-Vater John Lee Hooker haben Stammplätze in den Hitparaden. Andererseits: Eine aktuelle Projektionsfläche für das Klau-Klischee bietet der Rap, der mit seiner altbewährten Prise Rebellion der weißen US-Mittelklasse selbst in domestizierter Form noch einen schönen Schrecken einjagen konnte. Schon für den anerkannten Experten Dwight Yoakam (weißer Country-Musiker) waren die Beastie Boys nichts weiter als „ein paar verdammte Bastarde aus der Mittelklasse von Queens, die schwarze Straßenkultur ausgebeutet haben“. Gegen Vanilla Ice aber waren selbst die verwöhnten Vorstadt-Kids, die zumindest zu Anfang nur ihr Recht auf eine anständige Party wollten, geradezu ein Ausbund an Street-Credibility. Ice war für den Rap das, was Pat Boone für den Rock n‘ Roll der 50er war — die tumbe Witzfigur, der weichgespülte Weißmacher.

Ice wollte cool sein. Snow ist es. Darrin O’Brien macht sich als, wie er sagt, „Reggae-beeinflußter Dancehall-Sänger-Rapper“ ins gelobte Land der vielen Dollars auf. Wegen eventueller Klau-Vorwürfen braucht er sich auch keine grauen Haare wachsen lassen: Reggae zu hören, von dieser Musik tagtäglich beschallt zu werden — das war für den Jungen, der in einem von vielen Immigranten aus Jamaika bewohnten Ghetto in Toronto aufwuchs, so selbstverständlich wie das tägliche Pausenbrot. „Ich liebte alles am Reggae“, erinnert er sich. „Den Gesang, den Bass, die ganze Kultur, die dahintersteckt. Und nur deshalb konnte er mich so aus den Sokken hauen, daß ich die ganze andere Musik dafiir aufgab. “ Die alten Kiss-Platten wanderten schnell auf den Flohmarkt. Die Sache mit den Pausenbrote ist allerdings eine glatte Lüge. O’Brien flog früh aus der Schule, schlug sich als „notorischer Kleinkrimineller“ (O-Ton Plattenfirma) durch. Erste Festnahme: Mit 14. O’Brien hatte Kino-Ehrenkarten geklaut und sie auf seiner Schule verhökert. Später: Schlägereien, Angriff auf einen Polizisten, Einbrüche. Sogar die U-Haft wegen einer Mord-Anklage mußte er absitzten. Zu Unrecht, wie sich herausstellte; der Lockvogel jedoch, den er damals unfreiwillig spielte, diente als Inspiration für seinen gerade auch in Deutschland vergoldeten „Informer“. Im Knast erlebte O’Brien sein großes Coming Out. „Als ich“, sagt er. „das erste Mal länger drin war, mußte ich da mit den ganzen Kapitalverbrechern rumhängen, die auf ihre Verfahren warteten und schwer deprimiert waren, weil sie nicht wußten, was auf sie zukommen würde. Aber wenn ich anfing zu singen, liebten sie es, dann konnten sie ihre Probleme mal für 5 oder 10 Minuten vergessen. Und da sagte ich mir: ,Hay, wenn Du ’s schaffst, eine Meute von potentiellen Mördern zu überzeugen — dann kannst Du alle anderen erst recht rumkriegen.'“

Dabei behilflich war dann der jamaikanische DJ Marvin Prince, der ihn schließlich mit nach New York schleppte, wo Rap-Veteran MC Shan seine Plattenfirmenkontake spielen ließ und Snow — in einer Knast-Pause — ein Album („12 Inches Of Snow“) produzierte, das ihn von der Anklage, eine Art Vanilla Ice der Dancehall-Szene zu sein, locker freispricht: Zu souverän tobt er sich zwischen aufmunterndem Dancehall-Geschnatter, selig-süßer R’B-Ballade und hartem HipHop-Groove aus. Er wird von einem (weißem) Manager und einem (schwarzem) DJ unterstützt und er läßt keinen Zweifel zu: „Ich bin bereit für den Erfolg. „