Livebericht: Brant Bjork


Dass der Ex-Kyuss-Musiker Brant Björk mit seiner Band im hessischen Marburg bestens aufgehoben war, berichtet MEporter Sönke Knabbe.

roaaaaahhRR!!Brant Bjork & the Bros (mit My Sleeping Karma) / 9. Juni 2010 / KFZ, Marburg

Brant Bjork wurde 1973 in Palm Desert, Kalifornien, geboren. Das sieht jeder, der ihm beim Gitarre spielen zuschaut, und das hört man irgendwie auch. Von weit hinten fällt es schwerer, vorne erkennt man das Geburtsjahr deutlich, das auf seinem Unterarm prangt, direkt über dem Handgelenk. Wer sich dermaßen unprätentiös eine Zahl tätowieren lässt, der ist nicht allzu zögerlich, was die Wahl seiner Hautverzierungen angeht.Nicht verwunderlich also, dass der Mann mit den langen Südstaatler-Locken mehr als nur eine Tätowierung hat. Suchende Blicke finden auf seinem Unterarm Halt, an einer roten Rose umgeben von Dornen – ganz und gar Old-School. Von dort breitet sich eine Banderole aus (zu klein die Buchstaben, um ihre Aussage entziffern zu können); auf der einen Hand meint man irgendetwas mit einer sich rankenden Schlange erkennen zu können (doch ein Totenkopf?), und auf den Knöcheln der Anderen in Schreibschrift L O V E, genau so, dass er das O auf seinem Ringfinger mit einem riesigen Stück Goldschmuck überdecken könnte – und dies auch tut. Den Ring hält er ab und zu in großer Pose in Richtung Publikum, dazu aber später mehr.

Jetzt nochmals zu den Tätowierungen. Die restlichen werden,sofern es weitere geben sollte, von einem oliv-grünem Hemd in Armeemanier verdeckt. So einem in XL-Größe, mit hochgekrempelten Ärmeln und aufgenähten Rocker-Motiven. Am aussagekräftigsten ist jene Tätowierung, die die Haut über der 1973er-Markierung schmückt – in Form eines Hanfblatts. Programmatischer könnte eine Tätowierung nicht sein, von einem Sänger, Gitarristen, Schlagzeuger und Produzenten, dessen Musik gemeinhin unter dem Label Stoner Rock hausiert und deren maßgebliche Eigenschaft Lässigkeit ist. Was hier wie eine etwas allzu deutlich Anspielung ans Kiffen scheint, ist in Wirklichkeit nichts weiter als genau das. Eine ziemlich deutliche Anspielung ans Kiffen, aber auch ein Tribut an ein wesentliches Markenzeichen seiner Musik.Um 1990 herum begründen Brant Bjork und drei Freunde eine neue Stilrichtung, den Stoner Rock. Kyuss hieß die Band. Na ja, und ob das nun Teil des Gründungsmythos ist oder nicht, eine entscheidende Stellung nimmt dabei Marihuana ein. Sie erinnerten sie sich an den alten Bluesrock mit seinem schlichten Schemen, dem Raum für Solis und der bekannten auf-die-Zwei-und-die-Vier-Rock‘n‘Roll-Attitüde. Sie reicherten das Ganze an mit den Erfahrungen, die sie in Punk-und Hardcorebands der 80er gemacht hatten (die waren meist etwas exzentrischer) und weil sie jung waren, sollte das ganze sowieso ein bisschen mehr wummern, als es Bluesrock sonst so für gewöhnlich tut. Also? Also: Die Gitarren tiefer stimmen, nicht einen Halbton, sondern eine halbe Oktave. Na gut, das ist übertrieben, mag aber veranschaulichen, dass die Gitarristen ihre Riffe manche Zeit über einen Bassverstärker spielten. Dann legten sie, was den Stoner Rock in seinem Wesen ausmacht, das Augenmerk auf den Groove. Alles bitte möglichst lässig: Never loose the feelin‘. Auch wenn mit den Gitarren schon reichlich Bass im Spiel war, kam dieser jetzt noch hinzu. Natürlich auch der: mit gehörig feelin‘.

Für richtige Gesangslinien ist so eine Musik zu cool. Bei Brant Bjork oszilliert die Stimme ständig zwischen singen und sprechen.Die Frage muss gestellt werden dürfen, ob das Marburger KFZ der richtige Ort ist. Der richtige Ort für Musiker, die aus der Weite der kalifornischen Wüste kommen und deren Songs ihrer natürlichen Umgebung so nahe kommen. Wüst und trocken, staubig. Die sich lautmalerisch am besten mit kratzig, knarrend, wummernd, matschig und treibend beschreiben lassen. Die geschaffen sind für öde Gegenden, für Langeweile und gleißende Hitze. Mexikanisches Bier in der Mittagssonne. Wo liegen da die Gemeinsamkeiten? Gibt es überhaupt welche? Das KFZ ist, genau genommen, auch einsam. Wenn man seine Lage umgeben von zahlreichen Studenten-WGs bedenkt. Wenn man das Gebäude als Person begreift, die zwischen all den Wohnbauten eine isolierte Konzertinsel darstellt. Kein Mensch ist eine Insel, das KFZ schon. Hinter dem Parkplatz lauert der Ozean. Leider einer, der nicht auf Lautstärkeregelungen pfeift, wie sonst so üblich bei so großen Wassermassen. Wenn der Beginn auf der Eintrittskarte mit 20 Uhr angegeben ist, dann ist das tatsächlich so gemeint. Gut man weiß das. Schluss ist um 23h, denn nebenan wird geschlafen.Das KFZ muss sich regelmäßig seine Stellung als Veranstaltungsort erkämpfen, muss den Großen ans Schienenbein treten, um überhaupt aufzufallen. Normalerweise. Heute darf ich länger aufbleiben! Brant Bjork & seine Bros sind da.

Das Konzert beginnt spät mit der Vorband gegen kurz nach neun, eine halbe Stunde lässt man sie machen. Ich mag ihren Gitarrensound, später bemerke ich, dass sie Brants Verstärker benutzen, ach so. Nach einer kurzen Raucherpause eben noch drei Bier geholt, es geht jetzt los. Es geht sogar erstaunlich schnell los, noch bevor es zehn wird, steht die Band auf der Bühne. Aus Versehen verwechsle ich den Roadie-Punker mit einem Gitarristen. Ich bin daher ein bisschen verwundert über sein Auftreten, das sieht so gar nicht nach dem Sunshine-State California aus. Und ich frage mich, wie das Großstadtphänomen Iro wohl in die Wüste gelangt ist. Meine Theorie ist jedoch betrunken und nicht erwähnenswert. Macht nichts, der Irrtum ist ja schnell geklärt, der Gitarrist nimmt unscheinbar am Bühnenrand Platz. Vorher reichter dem richtigen Gitarristen noch schnell das Kabel. Um Brant Bjork herum stehen die Bros. Billy Cordell, Giampaolo Farnedi und Brandon Hernderson. Die Band fällt auf, und zwar durchaus auf unterschiedliche Weise. Der Schlagzeuger dadurch, dass er ein bisschen zu abwesend dreinschaut,um es noch als konzentriert durchgehen zu lasen. Giampaolo Farnedi sitzt mit nacktem Oberkörper da. Seine Augen sind weit aufgerissen und wenn er eins der Becken schlägt, dann mit seinem gesamten Körper. Er fixiert das Ziel und bläst zum Angriff. Einen Moment lang gibt es nur ihn und das Ding aus Metall davor. Er ist isoliert von den restlichen Bandmitgliedern. Er gibt den Takt gut an. Der zweite Gitarrist will sich partout nicht mehr bewegen als notwendig. Das ist auf jeden Fall eine sehr effiziente Spielweise, allerdings nicht die ansteckendste. Er wird heute nicht der Publikumsliebling werden.

Mit Bravour übernimmt er dafür viele der Soli und Melodie-Einlagen, die sonst keiner spielt. Der Bassist lässt sich schnell abhandeln, denn er ist nicht weiter aufgefallen. Das geht also auch. Der coolste auf der Bühne ist Brant. Auch er macht keine Bewegung zuviel. Die, die er macht, sind dafür allesamt verdammt cool. Während seines Spiels tun sich zwei Ebenen auf, die nicht so recht zusammenpassen mögen. Die eine geht von der Eingangstür des Konzertraumes bis hin zum Bühnenrand. Hier ist es höllisch laut. Mittlerweile ist es so voll, dass erster Schweiß auf der Haut gerinnt. Die Andere dagegen betrifft all das, was auf der Bühne passiert. Dort steht kein Schaukelstuhl. Es wäre allerdings ein leichtes, sich den Mann auf der Bühne irgendwo im mittleren Westen auf seiner Veranda vorzustellen. Wie er den Oberkörper leicht vor und zurück schiebt und den Kopf im Takt mitwippen lässt. Dazu diese Hand, die über die Saiten schrammeln müsste, diehektisch auf und ab fliegen, gar rasen müsste, um das was akustisch passiert irgendwie erklärbar zu machen, um diesen Sound visuell zu rechtfertigen. Aber sie enttäuscht uns. Sie streichelt nur kurz über die tiefen zwei Saiten und setzt dann wieder aus zur Pause. Beim Singen bewegt sich Brants Gesicht mit, die Nase, die Backen, sie huschen hin und her. Auch der Schnauzbart huscht langsam auf und ab. Das kommt der Karikatur eines Nussknackers gleich, wie sich da alles, was sich zwischen den langen Locken befindet, vertikal verschiebt. Ein Stückchen hoch und wieder runter. Knack. mehr braucht es nicht um Nüsse zu knacken und Zeilen wie diese hinzukauen: she said: / you know you‘re all right / just take your time and start chasing the light / you feel you‘re runnin‘out ouf time but you‘ve just begun your lifeDie Bühne. Für mich meist ein Ärgernis, vor allem wenn es sich um so etwas vermeintlich Demokratisches wie Rockmusik handelt.

Noch mehr, wenn es sich um eine Bühne wie die des KFZs in einem Haus wie dem des KFZs handelt. Das fällt nicht gerade durch seine reizende Atmosphäre auf. Eher dem Gegenteil. Wenn andere Clubs marode heruntergekommen sind, dadurch irgendwie charmant rüberkommen und eine ungewollt lässige Art an den Tag legen, die es ganz nebenbei zu vermitteln schafft, dass hier schon mehr als 300 Bands ihr Bier getrunken haben, dann ist das KFZ eher der Diskosaal einer Jugendherberge. Dazu bietet es alles was nötig ist: einen spannend gemusterten Bodenbelag im Konzertsaal (blau grau schwarz, was äußerst praktisch ist, denn Dreck fällt kaum auf – das kann man sich gut von zu Hause vorstellen), eine Eingangszone mit gekachelten Fliesen (die sind sicher leicht abzuwischen am nächsten morgen; wahrscheinlich wird das sogar noch am selben Abend erledigt, ist ja nur ein kurzer Wisch), dort dann auch gerahmte Bilder an den Wänden und ein Toilettenbereich, der dank seiner wahnsinnig gut gemachten Grottenstein-Imitation an die Wildwassernachbauten eines Themenparkschwimmbads erinnert. Leider geht es noch weiter: Der Konzertsaal besticht durch sein architektonisch interessant gemachtes Satteldach, die Balken sind offen gelegt, um jeden die Sicht auf die Konstruktion zu ermöglichen. Sowieso ist die Sicht viel zu gut. Die Bühnenlampen leuchten grell. Und dazu dieses riesige schwarze Ding da vorne, zwei Vorhänge, je einen auf der linken und einen auf der rechten Seite. Darüber der V-förmige Höhepunkt des Satteldachs. Uff.

Die riesige Bühne ist nicht der Höhepunkt des Raumes sondern ihr Gegner, ich präsentiere in der linken Ecke das Publikum und in der rechten.. die Bühne. Sie braucht gar nicht erst anzutreten, sie hat gleich von Beginn an gewonnen – einen Meter erhöht. Im Grunde genommen also eine wunderbare Umgebung für einen Haufen wilder, ungebremster Jugendlichkeit. In solchen Zentren hat noch jede Kreativität ihr Grab gefunden..Von Wüste und Lässigkeit ist dem KFZ bei der Verteilung Gottes nicht viel übrig geblieben, da hatte Palm Desert mehr Glück. Umso spannender also, ob das Brantsche Konzept auch im dichtbestudenteten Marburg aufgeht. Irgendwann zwischendurch, es sind bereits mehr als zwei Stunden vergangen, tritt Brant Bjork vor seinen Orange-Verstärker. Er hat Lust auf ein Solo, also sorgt er dafür, dass alle ihn hören können. Er dreht den Volume-Regler noch ein Stück nach rechts. Dann folgt das Solo. Von diesem Moment an wird es wirklich laut, das Drehen am Lautstärke-Poti kommt einem Griff ans Ekstase-o-Meter gleich. Nach dem Solo, es sollte das einzige von ihm selbst bleiben, hat das Konzert eine höhere Ebene erreicht. Denn natürlich wird hier kein Regler zurückgedreht, nur etwa weil Brants Auftritt vorbei ist. Nein, stattdessen wummert nun alles nur noch viel lauter vor sich hin. Die anderen wollen gegen seine Gitarre nicht untergehen, also machen sie mit. Eine übersteuerte Orgie findet statt. Nicht selten durchbricht ein Lied jetzt die Zehn-Minuten-Grenze, ohne dabei sonderlich viele unabhängige eigene Ideen zu entwickeln. Es wiederholt sich und wiederholt sich und wiederholt sich und wiederholt sich bis. Was eigentlich? Worin liegt die Qualität dieser Wiederholung?Dazu muss man einen Blick auf das Publikum werfen. Das verliert sich selbst. Erst nach zweieinhalb Stunden ist das Konzert schließlich vorbei, was für das KFZ eine echte Hausnummer ist. Und trotzdem ist es richtiger zu sagen: schon vorbei. Denn die Wiederholung bewirkt eine meditative Versenkung, in der keiner wahrhaben möchte, das innere und äußere Uhr hier nicht mehr ganz Hand in Hand gehen. Stattdessen wurden sie alle zweieinhalb Stunden lang vor der Bühne gefangen.

Trotz der Lautstärke war das verdammt entspannend. An einer coolen Passage, also einer die gefühlsmäßig noch cooler ist als die anderen coolen Passagen, oder vielleicht dadurch erst so richtig cool zu werden scheint, ballt Brant die Faust. Nicht als Aufruf zur Revolution, nein er verzichtet darauf, sie in die Luft zu heben. Er streckt seinen Arm lediglich in Richtung Publikum. Das ist ein ein Handschlag, ein Gruß unter Kumpels. Auf seinem Ringfinger lacht der Totenkopf, und er lacht uns alle an. Auch wir lachen uns alle an.Wir schlagen natürlich sofort ein. Ab jetzt gehören wir zur Gang.Als Dank wirft uns Brant Bjork das Motto des Abends entgegen:Itsy bitsy teeny weeny rock‘n‘roll!Darum geht es also. Es geht darum sein Ding zu machen, es geht um L O V E, wie die Faust uns sagen möchte, und es geht darum sich einfach mal zurückzulehnen und einen durchzuziehen.P.S.: Manch hübschem Mädchen hat es glatt die Schuhe ausgezogen, und das nicht nur sprichwörtlich.