Lost Highway


Regie: David Lynch Mit: Bill Pullman, Patricia Arquette, Batthazar Getty

Während statischer Lärm für eine Geräuschkulisse aus greifbarer Angst und Paranoia sorgt, stößt eine hörbar irritierte Stimme das Wort „Strange“ hervor, um kurz danach Platz zu machen für krachende Snareschläge, die in die Magengegend schneiden wie ein Rasiermesser durch Butter. Es gibt wohl keine bessere Annäherung als Photeks Drum’n’Bass-Classic ‚UFO‘ an David Lynchs labyrinthartiges Rätselwerk LOST HIGH-WAY, das mit der Entschlossenheit besagter Snarebeats in das Zentrum des Wahnsinns donnert, um dort nach 140 irrwitzigen Minuten zu implodieren. Im selben Maß, wie guter Jungle auf die Regeln konventionellen Songwritings pfeift, löst sich Lynchs merkwürdiges Gebräu aus Magritte, Rockwell und Bunuel, sein erster Film seit der Enttäuschung TWIN PEAKS – FIRE WALK WITH ME vor fünf Jahren, von allen gängigen Erzählstrukturen. Mit seinen Bildern füllt er Räume, bis man die angestrebte Atmosphäre aus Beklemmung, Terror und Panik beinahe körperlich spürt und die Luft in Flammen aufzugehen scheint. Lynch hat nicht vor, etwas zu sagen. Er will zeigen. Zum Beispiel den schlimmsten Alptraum, den man sich vorstellen kann…

In der ersten Hälfte folgt er dem Jazzmusiker Fred (Bill Pullman sieht Lynchs früherem alter ego Kyle Mac-Lachlan zum Verwechseln ähnlich), in den Wahnsinn getrieben von der Gewißheit, daß die Frau (Patricia Arquette im Betty-Page-Look), die er liebt, seine Gefühle nicht nur nicht erwidert, sondern sich auch regelmäßig einem anderen hingibt. An Lynchs ganz frühe Filme ERASERHEAD und DER ELEFANTENMENSCH erinnert diese unbequeme, karge Passage, in der die verstörendste Tonspur der Filmgeschichte mit industriellem Dröhnen Angstzustände hervorruft, ein heimnisvoller Mann (Robert Blake) mit sich selbst telefoniert, Fred vom Dunkel seiner Wohnung geschluckt wird und ein Videoband für die Eskalation des schleichenden Horrors sorgt: Es zeigt die Körperteile einer Frau – offenbar von Fred zerhackt. In Freds Gefängniszelle läßt Lynch das Unerklärliche geschehen: Fred verwandelt sich ohne Vorwarnung in den jugendlichen Mechaniker Pete (Balthazar Getty). Am plausibelsten läßt sich diese unfaßbare Szene als Freds endgültigen Absturz in den Wahnsinn lesen; alles folgende spielt sich nur noch in seinem Kopf ab. Aus dem schleichenden Alptraum wird eine Noir-artige Menage ä trois, in der sich Pete mit Alice (Patricia Arquette, jetzt als blonde Femme fatale), dem Liebchen des unberechenbaren Gangsters Mr. Eddy einläßt und in einen Strudel der Ereignisse gesogen wird, der aus einem James-Ellroy-Roman stammen könnte. Sexuelle Abgründe, Snuff-Filme (mit Marilyn Manson!), Verderben und eine kräftige Dosis Lynch-typischer Gewalt erwarten den Jungen, der kurz vor Schluß, als die Realität auf Freds Fantasiewelt prallt, wieder in die Gestalt Bill Pullmans zurückmutiert. Dieser mysteriöse Trip durch Lynchland ist der beste Film des Regisseurs seit BLUE VELVET, dunkler, böser, schmutziger und geistreicher als es „Akte X‘ jemals sein könnte. Und während des Abspanns resümmiert David Bowie: „l’m deranged.“