Mama Moyet


Da steht sie nun, backstage in der Münchener Alabamahalle, wo sie eingeladen war. um fünf Minuten ihrer Musik zum Voll-Playback zu mimen. ALISON MOYET hält plötzlich inne. „Ich denke mir“, sprudelt es dann nur so aus ihr hervor, „die Beatles waren das Schlimmste, was der Pop-Musik je passieren konnte! Willst du wissen, warum? Weil die Manager damals draufgekommen sind, daß du viel mehr Knete aus einer Band rauspressen kannst, wenn die ihre eigenen Songs schreiben. Da bekommt du alle Einnahmen aus Verlagsrechten, Einnahmen aus mechanischen Lizenzen u.s. w.

Seitdem gibt es eine Konspiration gegen Musiker, die nicht ihr eigenes Material schreiben. Sie bekommen schwer einen Plattendeal — und ihr von der Musikjournaille schreibt auch noch abfällige Bemerkungen über sie.

Nimm zum Beispiel Paul Young! Er ist einer der besten Sänger überhaupt,

aber er ist kein Songschreiber. Warum auch? Wer verlangt denn von einem Rechtsanwalt, daß er ein ebenso fähiger Buchhalter ist? Singen und Songs schreiben sind nicht einmal vergleichbare Tätigkeiten. Die eine extrovertiert, die andere eine introvertierte Angelegenheit.

Jetzt haben wir also viele verklemmte Songschreiber, die schlechte Performer sind, und Bühnenpersönlichkeiten, die beschissene Songs singen. Das darfst du alles den Beatles in die Schuhe schieben!“

Miss Moyet zählt sich zu keiner der beiden Spezies. Weder zu den Autoren, noch zu den ausgeprägten Live-Artisten. 1985 ging sie nur ein paar Mal auf die Bühne, einmal beim Live-Aid-Spektakel. wo sie mit dem schon genannten Paul Young duettierte. (Die geplante Single der beiden wird übrigens nie erscheinen, da man mit dem fertigen Produkt im Studio nicht zufrieden war.) Obschon Alison von extremem Lampenfieber gepeinigt wird, stellt sie sich lieber einem Riesenpublikum als dem kleineren Kreis eines intimen Keiler-Clubs: „Wenn ich bei Festivals meine Brille abnehme — dann seh‘ ich überhaupt niemanden mehr und fühl‘ mich okay. Sobald ich aber Umrisse im Publikum sehe, die ich als menschliche Wesen identifiziere, macht mich das total fertig!“

Aber es ist nicht nur die Bühnenangst, die Miss Moyet im Vorjahr so wenig der Öffentlichkeit zugängig machte. Vor einigen Monaten erblickte ihr erstes Kind das Licht der Welt, ein Sohn.

„Ich fragte mich, ob ich wohl eine dieser typischen Hausfrauen werden könnte. Aber damit wird’s wohl nix, 1986 geht’s zum ersten Mal auf Welt-Tournee — und den Kleinen nehme ich auf jeden Fall mit!“

Zur Zeit stellt „Alf“, wie sie in England genannt wird, eine Band zusammen.

„Da werden nur junge und unbekannte Musiker dabeisein. Ich werde einfach Anzeigen im Melody Maker schalten …“

Lang ist’s gar nicht her, da gehörte Alison selbst zu den „young&unknown“. Wie steht sie eigentlich zu Vince Clarks zunehmend erfolgloseren Versuchen, Yazoos glorreiche Zeiten mit immer neuen Duos wieder auferstehen zu lassen?

Alf verzieht das Gesicht. „Vince …du meine Güte …es ist wirklich kein Leichtes, mit diesem Typen zusammenzuarbeiten. Wenn er alles selbst machen könnte, er würde es tun. Er träumt davon, Howard Jones zu sein!“ Sie kichert bei dem Gedanken. „Um ein kleines Geheimnis zu verraten: Er hat sowas ähnliches auch vor. Zur Zeit nimmt er in London Gesangsunterricht …“

Und wo Miss Moyet schon mal in der richtigen Stimmung für ein paar Gehässigkeiten zu sein scheint, fragen wir sofort, was sie denn von der Flying Pickets-Version des Yazoo-Songs „Only You“ hält. „Ich hasse sie! Das war der erste Song, wo ich ungeheuer viel von mir selbst einbringen konnte, obwohl man mir nicht mal Komponisten-Credit gab. Aber ich dachte, diese Fläming Pigs … hmmm, wie hießen die nochmal? Flying Pickets? Ah ja … also ich dachte deren Version ist an reiner rip-off. Und ich wurde halb wahnsinnig, als ich den Song bei meinen ersten Solo-Gigs gesungen hatte und die Leute mich vorwurfsvoll fragten: .Warum machst du eine Coverversion von dem Song… .'“‚ Wie heißt denn dein Liebringssong, Alison?

„Der von den Simple Minds, ,Alive & Kickin‘.“

Sieht so aus, als war das auch dein persönlicher Leitspruch.

„Right, right. Und da mach‘ ich auch ’ne Coverversion, ha, ha, ha …“