ME.Gespräch mit Thees Uhlmann und Benjamin von Stuckrad-Barre: „Es brennt grundsätzlich hinter uns.“


ME-Redakteur Jochen Overbeck traf die beiden Romanautoren Thees Uhlmann und Benjamin von Stuckrad-Barre zum Gespräch in der Raucherlounge des Hamburger Hotels „Atlantic“. Ein Gespräch über die Sucht, das Schreiben und Brandschutz.

Ein Jahr im Hotel klingt erst mal nach sehr hohen Kosten. Trotzdem hast du die Minibar gemieden und bei Trader Joe’s eingekauft. War das Restvernunft?

Stuckrad-Barre: Du meinst, man könnte auch die Getränke im „Chateau Marmont“ kaufen und zum Schlafen dann rüber in den Supermarkt? Weiß ich nicht. Wenn ich Geld habe, gebe ich es aus. Und wenn ich keins habe, übrigens auch. Geld ist egal. Zumindest das lehrt einen Drogenabhängigkeit. Wenn man einen guten Kurs aushandelt, und das habe ich natürlich von Udo gelernt, und wenn man lange genug bleibt, denken die Hotelmitarbeiter irgendwann: „Der ist immer da, nett zu allen, das Zimmer haben wir aufgegeben“, – und dann wird alles so ein bisschen egal.

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Wie sehr eignet man sich das Hotel an?

Stuckrad-Barre: Erst mal muss man das Rauchverbot kippen – und nicht das Fenster. Da geht man zu Budni (Budnikowsky, Drogeriekette in Hamburg – Anm. d. Red.), da gibt es ein fantastisches Raumspray für 89 Cent. Während des Rauchens direkt in die Luft sprühen, dann riecht das komplette Zimmer wie frisch geduscht. Das ist mein Kompromiss. Gar nicht aus irgendwelchen lächerlichen Punkrock-Gründen. Sondern ich lebe jetzt eine Weile hier, und ich rauche. Und da müssen wir halt sehen, wie wir das hinbekommen, das Hotel und ich.

Verändert Sucht das Verhältnis zu Geld? Man operiert ja mit sehr großen Summen.

Stuckrad-Barre: Der Sucht ist egal, ob du Geld hast oder nicht. Die findet ihre Wege. Die ist wie Wasser. Wenn du kein Geld mehr hast, sagt die Sucht ja nicht: „Ah, okay, dann lassen wir das jetzt.“ Man leiht sich halt irgendwo was. Dann haste wieder drei Fünfer, damit gehst du zum Speed-Imbiss und sagst, „Einmal Döner Spezial“, dann kriegst du einen Beutel Speed, und dann geht es wieder weiter. Zu meinen Junkiezeiten habe ich übrigens auch im Hotel gelebt – weil ich kein Geld hatte, um auszuziehen. Beim Auschecken muss man ja bezahlen. Also blieb ich einfach, denn ich war pleite. Direkt nebenan, im Hotel „Prem“, das es nicht mehr gibt. Das war der damals unwahrscheinlichste Ausgang, zehn Jahre voraus, auf heute geskippt, von damals aus: Jetzt also ich nüchtern, das Hotel dicht. Die Hotelliebe ist natürlich von Udo gelernt, aber nicht nur von ihm: Früher waren Hotels ja nicht teuer, viele Künstler, die ich liebe, lebten jahrelang in Hotels. Auch das „Chateau Marmont“ war früher eher ein Motel, wo Leute für länger lebten, deshalb gibt es auch heute noch in jedem Zimmer eine riesige Küche. Das Ideal: so ein Zehnmarkhotel, wo lauter Künstler wohnen und alles ein bisschen gammelig ist.

(Zweieinhalb Stunden sind vorbei. Thees Uhlmann und Benjamin von Stuckrad-Barre reden weiter. Nach einem Exkurs zum Hamburger Label L’Age D’Or sind sie bei der Schweiz gelandet.)

Uhlmann: Das Hauptinteresse des Schweizers ist es, nichts zu erleben. Weil er Calvinist ist. Das ist der Exzess des freudlosen Lebens. Das determiniert den Schweizer.
Stuckrad-Barre: Die einzige Aktie, die nach dem 9/11 hochgegangen ist, ist die des Schweizer Tunnelbaus. Ich weiß zwar nicht, ob das stimmt, aber ich sage es immer mal gern, wenn es gerade überhaupt nicht passt. Alexander Kluge hat das mal irgendwo gesagt. Der ist ein ganz großes Vorbild im Einfach-irgendwas-Sagen. Gespräch plätschert dahin, man döst so weg, also Querschuss: Die „Ilias“ beginnt ja mit der Aufzählung der Schlachtschiffe! Wenn man so was sagt, ist erst mal Ruhe.
Uhlmann: Ich habe bereits 28 000 Biere getrunken. Das haben wir hochgerechnet.
Stuckrad-Barre: Wie kommst du auf die Zahl?
Uhlmann: Ich habe mit 14 angefangen, Bier zu trinken. Ich bin 41 Jahre alt. Ich bin zweimal die Woche betrunken. Wenn man betrunken ist, trinkt man acht bis zehn Bier.
Stuckrad-Barre: Also 0,33-Liter-Flaschen?
Uhlmann: Ja, klar.
Stuckrad-Barre: Und wie habt ihr Hefeweizen verbucht? 0,5 Liter sind das ja meistens.
Uhlmann: Ich habe in meinem Leben keinen Kasten Hefeweizen getrunken. Wir haben das aber nur grob durchgerechnet. So SAP-mäßig. Also 20 Bier, da kommen vielleicht noch mal sechs dazu. Fußball. 26 die Woche also. 1 352 im Jahr, das mal 26. 123 000 Euro wären das, wenn wir 3,50 Euro pro Bier ansetzen.
Stuckrad-Barre: Davon könntest du eine Woche im „Atlantic“ wohnen!

„Der Sucht ist egal, ob du Geld hast oder nicht.“ – Benjamin von Stuckrad-Barre

Oder eine Craft-Beer-Brauerei gründen.

Stuckrad-Barre: Was ist Craft Beer?
Uhlmann: Der Versuch der deutschen Brauwirtschaft, die Leute wieder zum Biersaufen zu verführen. So nach amerikanischen Vorbild. Micro-Brewery-mäßig.
Stuckrad-Barre: Das ist das Schlimmste. Dann bist du kurz vor Biermanufaktur, Omas Zwetschgenmarmelade, Apfelkuchen vom Land, handgeschöpfte Schokolade. Alles so Hipsterbeschäftigungstherapie, achtmal um die Ecke gedacht, grauenhaft. Craft-Bier! Wenn ich das höre, sage ich extra laut: Ein
Bitburger bitte! Ein Becks Gold! Ein Jever Fun! Ich bestelle mir zwar nie Bier, auch kein alkoholfreies, aber sagen würde ich’s.

(Nun betritt ein Angestellter des Hotels den Raum. Er hält Stuckrad-Barre und Uhlmann für Mitarbeiter des Regisseurs Kim Frank, der gerade an einem Musikvideo für Udo Lindenberg arbeitet. Stuckrad-Barre hält die Fiktion aufrecht.)

Hotelangestellter: Sorry, ich wollte nur sagen: Das mit dem Phantomzimmer und von da aufs Dach, das klappt leider nicht.
Stuckrad-Barre: Ach, schade. Das wäre so toll gewesen. Hm. Warum denn nicht?
Hotelangestellter: Ich habe zwar den Schlüssel, aber da haben wir ein brandschutzpolizeiliches Problem. Da können Sie leider nicht drehen.
Uhlmann: Ja, das ist schade. Wir hätten so gerne im Phantomzimmer gedreht.
Stuckrad-Barre: Unbedingt. Phantomzimmer, Dach – eigentlich lief alles darauf hinaus.
Hotelangestellter: Ich dachte auch, dass man das machen könnte, aber es geht leider aus Brandschutzgründen nicht. Wenn da was passiert, da kämen Sie dann nicht mehr zurück, weil es keinen weiteren Notausgang gibt da, und wenn es dann hinter Ihnen brennen würde …
Stuckrad-Barre: Es brennt grundsätzlich hinter uns.

ME.Gespräch_0416_Benjamin_von_Stuckrad_Barre_PortraitBenjamin von Stuckrad-Barre
wurde 1975 als fünftes Kind einer Pastorenfamilie geboren. Er arbeitete als Redakteur beim ­„Rolling Stone“, war Produktmanager bei Motor Music und Autor der ­„Harald Schmidt Show“, bevor er 1998 mit ­„Solo­­album“ eines der Schlüsselwerke der späten 90er-Jahre verfasste. Es folgten Bücher wie „Livealbum“ (1999), „Deutsches Theater“ (2001) und „Auch Deutsche unter den Opfern“ (2010). Von 2010 bis 2013 moderierte er die Sendung „Stuckrad Late Night“, 2012 arbeitete er als Co-Autor an Helmut Dietls Film „Zettl“ mit. 2014 strahlte der rbb die Talkshow „Stuckrads Homestory“ aus.  Nun erscheint der Roman
„Panikherz“, als Buch und Hörbuch bei Kiepenheuer & Witsch (Besprechung S. 103). Stuckrad-Barre lebt nicht nur im Hotel ­„Atlantic“, sondern auch in Berlin.

Thees UhlmannME.Gespräch_0416_Thees_Uhlmann_Portrait
wurde durch zweierlei bekannt: 1999 verfasste er „Wir könnten Freunde werden. Die Tocotronic-Tourtagebücher“, schon 1998 erschien mit DU WEISST, WAS ICH MEINE das erste Album seiner Band Tomte, die fortan zu einer festen Größe im deutschen Indie-Pop wurde. Nach vier weiteren Alben – zwei davon konnten sich in den Top 10 der deutschen Albumcharts platzierten – löste Uhlmann Tomte auf. Es folgten die beiden Soloalben THEES UHLMANN (2011) und #2 (2013). Im ver­gangenen Jahr erschien Uhlmanns Debütroman „Sophia, der Tod und ich“. Thees Uhlmann gehört zu den Gründern des Hamburger Labels Grand Hotel van Cleef, auf dem neben Tomte auch Kettcar, Bernd Begemann, Home Of The Lame und Olli Schulz und der Hund
Marie veröffentlichten.

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