ME.Gespräch mit Thees Uhlmann und Benjamin von Stuckrad-Barre: „Es brennt grundsätzlich hinter uns.“


ME-Redakteur Jochen Overbeck traf die beiden Romanautoren Thees Uhlmann und Benjamin von Stuckrad-Barre zum Gespräch in der Raucherlounge des Hamburger Hotels „Atlantic“. Ein Gespräch über die Sucht, das Schreiben und Brandschutz.

Du verwendest für Udo Lindenberg ein ganz tolles Wort: „angenehmisieren“.

Stuckrad-Barre: Udo hat den ganz großartigen Trick, ernste Sachen total schlampig zu besprechen und die Egal-Themen hyperernst. Leute denken ja, dass er die ganze Zeit betrunken ist, oder Drogen nimmt, die man noch nicht kennt, jedenfalls halten sie es ansichtig seines Verhaltens und seiner Sprechweise für ausgeschlossen, dass er nüchtern ist. Er hat immer die allerschnellsten Autos, fährt damit aber oft nur so fünf, sechs km/h. Dauernd Polizeikontrollen, weil er auch im Kreisverkehr gern mal stehen bleibt, wenn wir gerade was sehr Interessantes besprechen. Dann winkt die Polizeikelle, und Udo kurbelt das Fenster runter: „Ah, ja. Schöne Uniform. Blau, blau, ja. Ich ja nicht mehr, ne, Blaupause.“ Darauf die Polizisten: „Herr Lindenberg, können Sie bitte mal hier in den Alkometer blasen?“, und er dann so: „Pustefix-Bläser, ne? Ja. Peter Herbolzheimer, kennt ihr auch, ne, die ganz frühen Dinger? Huste, huste, aus der Puste, ,Smogrock‘, auch n starkes Ding eigentlich. Und kennt ihr eigentlich meinen Freund Stuckiman? Copilot, ne? Auch Schleuderexperte, aber wir schnallen uns ja immer an, ne?“ Das Alkometer zeigt null Komma null, und die Polizisten denken, sie brauchen wahrscheinlich neue, ganz andere Messinstrumente, irgendwas ist da, man weiß nur nicht, was genau. Es ist die Naturbreitheit. Udo verhält sich eben immer so, als stünde er an der Bar. In Krisenregionen – ich würde einfach immer Udo hinschicken. Der könnte jeden Konflikt wegangenehmisieren. Und noch was: Man denkt ja, er trägt die Sonnenbrille, weil er nicht so viel Lust auf die Realität hat, alles nicht so ganz genau sehen möchte. Das Gegenteil ist der Fall: Er muss eher uns schützen. Er weiß ganz genau, wann er die Brille absetzen kann und muss, zwischendurch. Das flasht einen so, das ist ein Blick, der ist so tief. Die Sonnenbrille ist eine Höflichkeit gegenüber der Umgebung, um diese Aura zu dosieren.

(Benjamin von Stuckrad-Barre holt jetzt sein Telefon raus und spielt uns einen neuen Song von Udo Lindenberg vor. Er ist sehr gut, eine klassische Udo-Ballade. Viel Klavier. Gesang zärt­licher als zuletzt.)

Uhlmann: Ich möchte noch mal auf das zurückkommen, was du vorhin gesagt hast. Dass es total egal ist, ob jemand 15 Jahre lang schlechte Platten macht oder nicht. Mich fragen sie immer, ob ich die Toten Hosen gut finde. Ich werde da echt ärgerlich. Ich sage: „Das interessiert doch gar nicht, ob ich die gut finde.“ Was interessiert, ist Folgendes: Drei Generationen einer Familie gehen zum Toten-Hosen-Konzert. Wenn die sich beim Babysmachen ranhalten, sind die bald mit vier Generationen da. Wo wird’s noch mal schöner? Wo wird es geiler? Wenn Leute ’ne Sache durchziehen, wenn sie sich mit ihrem Leben zur Verfügung stellen, das ist toll! Diese Häme, die nervt mich.

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Wir müssen über Amerika reden. Wie hast du im „Chateau“ gelebt?

Stuckrad-Barre: Ich wohnte in einem „Garden Cottage“, und weil die Hollywoodaufregung immer nur im Haupthaus stattfindet, war ich da meistens ganz für mich in diesem Zaubergarten. Manchmal waren Leute da, andere Dauergäste, das war großartig, mitten im Schreiben einfach kurz raus, mit irgendwem irgendwas reden. Dieser Garten war mein soziales Netzwerk: Leute gaben mir was zu lesen, hier, tolles Buch, toller Zeitungsartikel, oder jemand spielte einem ein Lied vor, das ihn gerade begeisterte. Der Garten-Barkeeper hat mir einmal pro Woche ein Video auf seinem Handy gezeigt. Ellen DeGeneres, die einen Adele-Song parodiert, eine Kaffee-Autofahrt mit Jerry Seinfeld, solche Sachen. Ein lustiges Video pro Woche, das reicht mir vollkommen. Dieser Garten, direkt am Sunset, war für mich analoges Internet. Das war ideal.

„In Krisenregionen – ich würde einfach immer Udo hinschicken. Der könnte jeden Konflikt wegangenehmisieren.“ – Benjamin von Stuckrad-Barre über Udo Lindenberg

Uhlmann: Wann hast du den ersten Buchstaben deines Buches geschrieben?
Stuckrad-Barre: Vor einem Jahr. Ich wusste ehrlich gesagt gar nicht, dass ich Amerika so gut finde. Ich hatte mich eigentlich immer empfunden oder gedacht als Gesinnungslondoner. Musik, Haltung, alles. Ich war nur kurz ein paarmal in New York, und natürlich ist das die Stadt aller Städte, aber sie brachte in mir nichts zum Klingen, ich dachte immer nur, super Stadt, aber die kommen möglicherweise auch ohne mich klar. In Los Angeles hingegen war es gleich ganz anders, denn da sind eigentlich alle so wie Udo. Die reden einfach irgendwas, Schnickedischnack. Die stehen alle den ganzen Tag halb nackt auf der Straße, kommen vom Sport oder gehen da gerade hin, Kleidung, Kleidung als Selbststilisierung, existiert da praktisch nicht. Du musst halt zum Sport gehen und so grüne Säfte trinken, der Körper ist die Kleidung. Aber diesen Hipsterstress – kann man jetzt wieder eine Jeansjacke mit Cordkragen und kariertem Futter oder so tragen, aber nur noch bis März und so weiter, alles das gibt es in der Stadt, die als die oberflächlichste von allen gilt, nicht. Wie man da miteinander umgeht, das empfinde ich als zutiefst humanistisch. Man spricht den ganzen Tag mit wildfremden Leuten, an der Ampel, im Supermarkt, überall. Man redet einfach los, mal gucken, wo der Satz landet, guter Anfang immer: ein Kompliment. I like your shoes!
Uhlmann: Diese ganzen 90er-Jahre-Vorwürfe, die Amis seien ja so oberflächlich, sind totaler Quatsch. Wenn du jemanden in der Kneipe erzählst, du kommst aus Deutschland, sagt der: „Ah, mein Großvater hat früher Deutschland bombardiert. Und mein Neffe studiert in Berlin!“ Mein Vater hat es mir während unserer ersten Amerikareise so erklärt: Nachdem die Siedler die Indianer abgemurkst hatten, war Amerika so leer, dass sich alle total freuten, wenn sie durch die Prärie ritten und jemanden trafen. Da haben die sofort gefragt: „Hey, wo kommst du her? Nee! Was machst du? Liegt da hinten in den Bergen Schnee?“ Deshalb unterhält sich dort jeder mit dir. Das haben wir hier einfach nicht. Das ist ja auch das Geile an Wien, wo man teilweise auch in Kneipen sitzt, wo ein Querschnitt der Gesellschaft herumhängt.

(Eine Tür am Ende des Raumes öffnet sich. Es tritt der „Spiegel“-Mann und Toten-Hosen-Biograf Philipp Oehmke ein, der auf dem Weg nach New York ist. Er ist baumlang und trägt eine Winterjacke von Canada Goose, die so groß und warm aussieht, als bräuchte er gar kein Hotelzimmer, sondern könnte in dieser Jacke wohnen.)

Uhlmann: Wir haben gerade über die Toten Hosen geredet. Und über Rocco.
Philipp Oehmke: Ich kenne Rocco noch aus Bonn. Ende der 80er-Jahre. Er spielte bei The Timelapse. So ’ne Modband, die im Grunde das vorweggenommen hat, was später dann Britpop war. Er war dort Rudertrainer. Ich bin natürlich nur einmal hingegangen, dann nie wieder. Schien mir zu gefährlich mit so einem kleinen Ruderboot auf dem Rhein zwischen den Kähnen. Und er war Fanclub-Chef von Family 5. Wir sind immer mit ihm nach Düssel­dorf gefahren. Haben Stunde X angeschaut und so. Wir haben ihn damals übrigens immer „Bick“ genannt, er hieß eigentlich Stefan Bickerich.

(Das Gespräch kommt jetzt auf die Toten Hosen. 1000. Auftritt, Durchhänger, Campinos Familie. Schließlich „Raise Your Voice“, die gemeinsame Single mit Greg Graffin von Bad Religion.)

Uhlmann: Als Kettcar angefangen haben, spielten sie als Support für Bad Religion. Die waren vorher irgendwo in der italienischen Provinz unterwegs. Eines Tages sagte der Bassist: „Ich will einen Cheeseburger.“ Die Tourmanagerin so: „Wir sind in Italien, hier gibt es wirklich gutes Essen, das mit dem Cheeseburger könnte schwierig werden.“ Der Bassist so: „Ist mir egal. Ich will einen Cheeseburger.“ Sie stellt  also mitten in der Pampa einen Cheeseburger auf, legt den in seine Garderobe – dann geht jemand von der Crew vorbei, denkt, „Oh, ein Cheeseburger“, und snackt den weg. Der Bassist hat geweint.
Oehmke: Kids, ich muss zum Zug. Nach Bonn, zu meinen Eltern. Der Vater von Bick war übrigens dort „Spiegel“-Redakteur. Der hat das Bonner Büro geleitet.
Stuckrad-Barre: Es war wahrscheinlich etwas aufregender, damals das Bonner Büro zu leiten als heute.
Uhlmann: Ob es das noch gibt?
Oehmke: Nee, ich bin neulich an der Adresse vorbeigegangen. Ist weg.
Stuckrad-Barre: Wäre großartig, wenn es das noch geben würde. Wenn da einfach noch einer sitzen würde, den sie komplett vergessen haben, und so vor sich hinleitet.

(Abgang Philipp Oehmke)

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