Midnight Oil: Peter Garrett – der kantige Querdenker


Drei Jahre waren Midnight Oil weg vom Fenster. Kein Wunder, denn Peter Garrett, der engagierte (Glatz-) Kopfder australischen Rocker, hat ja schließlich noch anderes zu tun, als nur Musik zu machen. Was, das verrät er in einem Interview mit ME/Sounds.

„Wir sind zurück. Und wir waren nie weg.“ Peter Garrett, Sänger, Alleinunterhalter und Prediger der australischen Band Midnight Oil, entlockt seinen Jüngern im ‚St. George Leagues Club‘ lautstarke Ovationen zur Begrüßung. Der Arbeiterclub, 30 Autominuten von der City entfernt, liegt in irgendeinem gesichtslosen Vorort Sydneys, und der Saal ist geschmückt, als ob tags zuvor die Neusüdwalisische Hopfenkönigin gekürt worden wäre und anderntags eine gigantische Bingo-Veranstaltung abgehen würde: überall prangen Luftballons und Girlanden in rot und weiß. Macht aber nichts: „Die Leute kümmern sich hier sowieso nicht um irgendwelche Äußerlichkeiten oder Moden“, sagt Peter Garrett nach der Show im Backstage-Bereich. Nein, die Leute kümmern sich an diesem Abend einzig und allein um Midnight Oil, und ein bißchen vielleicht auch darum, daß die ortsansässigen Dragons gerade ins Football-Finale ihrer Conference eingezogen sind.

Welchen Australier du auch immer fragst, jeder kann dir eine Geschichte über die Band aus Sydney erzählen, und vom Zöllner am Flughafen bis zum Geschäftsmann an der Bar erklärt dir jeder, wie wichtig die Band ihm war oder noch ist. Kein Wunder also, daß an diesem Abend im ‚St. George Leagues Club‘ ein total unterschiedliches Publikum vertreten ist. 15jährige Mädels tanzen am Bühnenrand und schütteln ihr Haar, ein paar 40jährige Arbeiter versammeln sich um ein Heiligtum, das sie sich aus mehreren Dutzend bisher ungeöffneten Dosen ‚Victoria Beer‘ errichtet haben, und eine etwa 65jährige bebrillte Lady protest ihnen zu, bevor sie dann wieder die Band auf der Bühne anfeuert. Sie alle kennen jede einzelne Textzeile der alten Midnight Oil-Songs: „But I work all day on the blue sky mine“. Und auch die Songs des neuen, ‚Breathe‘ getauften Albums kommen spürbar an. Irgendwann im Laufe des Abends wird klar, daß Midnight Oil für Australien eine mindestens ebensogroße Bedeutung haben müssen wie die Toten Hosen für Deutschland. Sie schaffen es, aufrechte politische Statements in wenige Worte zu fassen und in übersichtliche Refrains zu verpacken. Im Zentrum aller Aufmerksamkeit aber steht der hektisch mit den Armen rudernde, über die Bühne taumelnde Sänger: Peter Garrett, mit einem Kopf wie ein Schraubenschlüssel und einem Körper wie ein Weihnachtsbaum, gut und menschenfreundlich wie Wallace und Gromit zusammen, kantig wie Gerard Depardieu plus Danton und politisch korrekt wie Müsli mit Milch und Joschka Fischer. Garrett hat alles im Griff: Musik, Politik und Gestik.

Zurück und nie weggewesen: Ist das neue Album —- nach den drei Jahren seit ‚Earth And Sun And Moon‘ -— nicht doch eher ein Comeback?

Nein, ganz bestimmt nicht. Eher eine Midnight Oil-typische Pause. Nach dem letzten Album haben wir sehr lange getourt, und als dann noch eine EP auf den Markt kam und diese auch viel im Radio gespielt wurde, sagten alle, wir müßten noch mehr Konzerte geben, um einen Hit zu haben. Wir aber sagten danke schön, weil wir genug vom Touren hatten. Das ist eben typisch Midnight Oil.

Nicht sehr erfolgsorientiert, so was.

Wir haben eine sehr begrenzte Definition von Erfolg, Erfolg hieß für uns immer: nicht hungern, nicht arbeiten müssen für den Lebensunterhalt, die Möglichkeit haben, als Musiker zu arbeiten. Wann immer wir die Möglichkeit gehabt hätten, wirklich große Tourneen zu mapeter garrett – der kantige querdenker chen, haben wir uns entschieden, es nicht zu tun. Weil wir auch an die Band gedacht haben, weil wir die Songs nicht zu oft spielen wollten. Sonst hätten wir nämlich das Gefühl für sie verloren. Außerdem war für uns das Geld allein nie der Schlüssel zum Erfolg. Statt dessen ging es uns immer darum, zusammen zu bleiben und die guten Beziehungen innerhalb der Band nicht zu verlieren.

Und dazu braucht es auch Schaffenspausen?

Ja. Manchmal dachten wir schon, wir würden nie wieder ein Album machen. Die anderen Bandmitglieder hatten ihre eigenen Projekte, ich verschwand von der Bildfläche und zog aus Sydney weg. Aber wir haben trotzdem weitergemacht. Wir haben einfach gesagt: Schauen wir mal, was passiert. Laßt uns jemanden suchen, der sich nicht um unseren Bekanntheitsgrad und unseren Namen schert und fanden in Malcolm Burn einen inspirierenden Produzenten. Er hat schon mit Daniel Lanois, den Neville Brothers und Iggy Pop gearbeitet. Wir wollten einfach drauflos spielen und die Sache eins zu eins aufnehmen. Derzeit sind wir sowieso in einer Anti-Pop-Phase.

Deshalb also klingt ‚Breathe so ursprünglich, so „back to the roots“?

Das neue Album ist sehr organisch und sehr authentisch: es umfaßt die Band wie ein Gatter. Wir wollten nicht zu sehr über die Produktion nachdenken, sondern einfach drin sein. ‚Breathe‘ befaßt sich sehr physisch und sehr emotional mit Musik pur.

Die Produktion ist ziemlich einfach, sozusagen handgeschnitten, und verzichtet auf allen möglichen technischen Schnickschnack, scheint es.

Normalerweise ist es so: Je mehr Geld du mit deiner Musik verdienst, desto länger bleibst du im Studio, um neue Technik auszuprobieren. Das ist kreativ, experimentell und kann von mir aus auch ziemlich gut klingen. Aber irgendwann kommst du zu einem Punkt, an dem du das Gefühl bekommst, woanders hinzumüssen.

Und du trittts einen Weg an, der mitten ins Herz deiner Musik führt, zu ihrem Gehalt, ihrem Rhythmus, ihrem Gefühl. Wir haben dem neuen Album gegenübergestanden wie Babys: vergaßen alles, was wir jemals über Produktion gelernt hatten. Du mußt halt wie ein ewiges Kind sein, anders ist Rock gar nicht möglich.

Das klingt nach einem ziemlich antizyklischen Verhalten in Zeiten von Techno und computergenerierten Klängen?

Nun, das hat schon auch alles seine Berechtigung. Ich mag diesen Computerkram einfach nur nicht allzu sehr. Ich habe zum Beispiel eine Woche im Internet gesurft und danach meinen Computer weggeschmissen. Du kannst natürlich jedes Hilfsmittel hernehmen, das dir zur Verfügung steht, es kommt nur auf die richtige Mischung an. Wir arbeiten eben mehr mit emotionalen Sounds: Gesang und Gitarre. Bones (Bones Hillman, der Bassist von Midnight Oil, — Anmerkung des Verfassers) hat gerade ein Projekt mit viel mehr Computerklängen laufen, und es klingt wirklich toll.

Einige Texte auf dem neuen Album klingen stark nach Statements, etwa in ‚Common Ground‘: „If we surrender ourselves to industrial rules, we’ll wake up in the wreckage of tomorrow.“

Statement hin oder her, das weiß ich nicht. Ich glaube eben, daß sich die Leute wegen des ökonomischen Nutzens, des Kapitals und der Produktion selber verleugnen: Aber das ist nur ein Teil von dem, was in der Welt vor sich geht. Denn der andere Teil ist der Mensch mit all seiner Freude und all seinem Leid, mit Dichtung und Tanz, Hunger, Durst und Gewalt. Das alles ist viel enger am Menschen dran als die Frage, ob Bill Gates jetzt 20 oder 23 Milliarden Dollar verdient. Grenzen, Hautfarben, die gesellschaftliche Position: das alles kann nie soviel Gewicht haben wie dein Herzschlag.

Der Text von ‚Time To Heal‘ hat offenbar einen ziemlich christlichen Background. Ist der Rockmusiker Peter Garrett ein christlicher Mensch?

Es gibt da ganz allgemein eine Trennlinie zwischen Kreativität mit Zweck und Absicht oder Nihilismus ohne Zweck und Absicht. Für mich selbst kann ich sagen, daß ich in einem nicht sehr dogmatischen, nicht-kirchlichen Sinne eine christliche Sichtweise habe.

Was hat denn eigentlich Peter Garrett während der Band-Pause so alles getrieben?

Nun ja: Erstmal einfach gelebt. Ich habe mich umgesehen, mit meinen Kindern gespielt — ich habe drei Töchter — und sie so erst richtig kennengelernt. Außerdem habe ich viel Zeit damit verbracht, andere Sachen fertigzukriegen, die ich über die Jahre angefangen hatte: meine politische Arbeit, und ich habe einen Film gemacht.

Einen Film?

Ja, eine Dokumentation. Über eine Gegend in Queensland, die dem Verteidigungsministerium gehört. Es gibt da drei große Meeresarme, Flußdelta, in denen es reiches Leben gibt, zum Beispiel Seegrasfelder, in denen Garnelen und zahlreiche Fischarten laichen. Um die Meeresarme herum gibt es sehr alte, bewachsene Sandhügel, die als natürliche Wasserspeicher für die nächstgelegene Stadt, Rockhampton, dienen. Und nun wollten diese Bastarde — Gesellschaften, denen man Land verpachtet hatte — genau an diesen Hügeln und in dieser Gegend den Sand abbauen. Das hätte alles zerstört. Ich traf einen Typen vom Ministerium, der ähnlich besorgt war wie ich, und wir begannen eine Kampagne, eine Kommission wurde eingesetzt, und schließlich beschloß die Regierung, den Abbau zu stoppen.

Ein großer Erfolg.

In der Tat.

Stehen denn solche ökologischen Fragen im Zentrum deiner politischen Akionen?

Zum Teil. Ich interessiere mich aber auch für die Beziehungen zwischenden natürlichen Gemeinschaften und den menschlichen Handlungen. Was wir so alles anstellen mit den Orten, an denen wir leben. Das sind die Fragen der Ökologie. Mich interessiert aber auch, wie Leute mit Macht umgehen, ob sie sie gebrauchen oder mißbrauchen. Und ob es Möglichkeiten für den Bürger gibt, auf politische Prozesse Einfluß zu nehmen.

Ihr habt Euch beispielsweise sehr um Aufmerksamkeit bemüht für die Probleme der australischen Ureinwohner, der Aborigines.

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Ich bin keineswegs Experte für Aborigines-Fragen. Ich habe mich mit diesem Thema nie so intensiv auseinandergesetzt, wie ich es mir gewünscht hätte. Die meisten Australier haben überhaupt nie einen Ureinwohner gesehen, geschweige denn mit einem gesprochen. Wir haben angefangen, Aborigines-Bands einzuladen, mit uns zu spielen, weil wir uns mit dem Uran-Abbau in ihrem Gebiet beschäftigt haben. Nach und nach haben wir die Musiker kennengelernt. Ich habe auch heute noch Kontakt zu den Leuten. Sie sind großartige Poeten, Philosophen, Maler, Tänzer, Musiker. Sie haben eine lückenlose mündliche Überlieferungstradition und eine sehr überlegte Anschauung von Welt und Kosmos. Aber auf der anderen Seite zählen die, die in den Wüsten im Westen leben, zu den Ärmsten Völkern der Welt — und das in einem so wohlhabenden Land wie Australien. Wir müssen ihre Situation verbessern. Das ist einfach eine wichtige Frage in einem so reichen Land: Wie gehen wir mit den Ureinwohnern um? Über kurz oder lang wird sich Australien umgestalten, eine neue Identität finden, die auch die Aborigines mit einschließt. Und noch etwas: Die Beschäftigung mit den Aborigines mag von Deutschland aus gesehen willkommen und korrekt sein. Hier in Australien ist es das nicht. Auch in unserem Publikum gibt es viele Leute, die mit diesem Engagement enorme Schwierigkeiten haben.

Trotzdem. Es muß ja wohl sehr hilfreich für politische Aktionen sein, wenn man Mitglied einer bekannten Band ist, oder?

Natürlich. Es gab eine Zeit, in der wir fünf, sechs Jahre lang beides machen wollten: Musik und Politik. Aber das war irrsinnig schwierig. Auf der einen Seite nahmen wir mal mit, mal ohne Erfolg — an diversen Kampagnen teil. Aber du läufst dabei Gefahr, daß plötzlich nur noch alles über diese politische Schiene läuft und die Leute erwarten, daß du auf alle Fragen Antworten parat hast. Und die habe ich nun mal nicht. Dazu kommt, daß die Politik mehr Gewicht als die Musik bekommt: Mit einem mal wollen dich alle möglichen Leute für alle möglichen Sachen haben — manchmal läuft das ganz natürlich, und manchmal drückst du jemanden nur mal schnell 100 Dollar in die Hand. Da hat sich für uns die Frage gestellt: Was zählt für uns mehr, die Politik oder die Musik? Wir mußten uns entscheiden, und wir sagten uns: Okay, das haben wir jetzt getan, wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben, und nun laßt uns noch ein paar Platten machen. Also, gerade haben wir ‚Breathe‘ fertig, das hat eigentlich nur einen Augenblick gedauert, und demnächst werden wir schon wieder ein neues Album in Angriff nehmen. Schießlich ist es die Musik, die die Band zusammengebracht hat. Aber wir werden uns natürlich trotzdem weiter mit politischen Themen auseinandersetzen.

Das ist augenblicklich nicht gerade gefragt. Mitte der 90er Jahre interessieren Fragen der Politik die Leute nicht besonders.

Das halte ich für ziemlich schlecht. Je weniger Energie du aufwendest, dich mit politischen Strukturen zu befassen, desto machtloser wirst du. Und ich habe keine große Lust, machtlos zu sein. Es gibt in allem, was du tust, immer den Raum, Einfluß auszuüben, etwas zu bewegen, vielleicht auch nur in deiner Beziehung zu einem anderen Menschen oder in deiner Arbeit. Schließlich führt jedes Tun wiederum zu einem Verhalten, das auf dieses Tun reagiert. Jedes gesprochene Wort hat seine Wirkung. Wenn du mit dieser Einflußnahme aufhörst, fangen die Schwierigkeiten erst an, weil die Bösen weitermachen und dich unterkriegen.

Du sagst, eure neuen Songs seien ziemlich schnell und unkompliziert entstanden. Wie läuft das eigentlich so ab. Wo schreibst du deine Texte?

Früher, in unserem alten Haus in Sydney, hatte ich einen Arbeitsraum im Keller, in dem mir nie irgendetwas eingefallen ist. Ich hab‘ dort wirklich niemals irgendwas Gutes geschrieben. Schlimm. Ich hab‘ dann alles oben im Wohnzimmer geschrieben, wenn die Kids im Bett waren. Jetzt sind wir ans Meer gezogen, und da läuft es besser. Es gibt fürs Komponieren keine Formeln und keine Regeln. Es ist einfach Arbeit.

Du arbeitest also gern zu Hause?

Ja. Nur manchmal ist es schwierig. Wenn die Kinder um halb sechs anfangen, im Haus herumzuplärren. Ich schreie dann: „Hey, ich spiele in einer Rockband. Hört sofort auf!“ Und ihre Reaktion ist: „Sag mal, fehlt dir was?“