Nebel in der Disco


Roisin Murphy hat sich den Traum einer absoluten Party-Platte erfüllt. Ihr Image als Tanzboden-Exzentrikerin sorgt jedoch bisweilen für Missverständnisse.

Irgendwo hinter den Rauchschwaden, die das Interviewzimmer im Bürotower ihrer Plattenfirma vernebeln, muss sie sein: Ah, da sitzt sie ja, eine Silk Cut in der Hand. Roisin Murphy wedelt höflich, aber uneffektiv die Zigarettennebelbänke durcheinander, dann ist sie bereit zum Gespräch. Jetzt, wo man sie schemenhaft hinter dem Qualm erkennen kann, ist man erst mal enttäuscht: Nein, sie trägt leider keins dieser großartig beknackten Viktor & Rolf-Kleider, in denen sie die Hälfte ihrer Karriere zu verbringen scheint. Keine Mäntel, die aussehen wie Betten, kein Hut mit neun verschiedenfarbigen Bommeln darauf, keine 30 cm hohen Folter-Schuhe. „Hahaha“ lacht sie dreckig. „Ich lebe tatsächlich sehr gefährlich in diesen Klamotten. Die Schuhe, die ich in den letzten paar Videos anhatte, waren allesamt nicht eben zum Gehen gemacht. Wenn ich diese Fummel bei Videodrehs oder Foto-Shootings anhabe, ist zum Glück immer jemand in der Nähe, der mich im Zweifelsfall auffangen könnte.“

Andere nehmen gefährliche Drogen, Roisin Murphy trägt stattdessen lieber gefährliche Kleidung. Ihre chemisch hochgepitchte Party-Zeit liegt jedenfalls hinter ihr. Sie gehe äußerst wenig aus heutzutage, erzählt Murphy mit einer lustigen Mischung aus putzigem Iren- und derbem Manchester-Akzent. Trotzdem ist ihr neues Werk letztlich ein urbanes Ausgeh-Album geworden. Eine House- und Disco-Platte, die der Dance-Auskennerin und Party-Rakete einen ganz eigenen Tanzflur schafft. Hört man das Album, durchzappelt es einen unwillkürlich. Murphy: „Ich bin immer noch der festen Überzeugung, dass Musik in erster Linie dazu da sein sollte, Menschen zum Tanzen zu bringen. Ich tanze wahnsinnig gern, und ich muss eben auch zusehen, dass ich mir dazu die entsprechende Bühnenmusik komponiere. Der Tod aller Bühnentänze ist übrigens die Choreographie. Ich habe ein paar Moves, auf die ich immer wieder zurückgreifen kann, der Rest bleibt immer etwas gefährlich. Es ist ähnlich wie bei den Klamotten: Ich könnte jederzeit von der Bühne fallen“, hört man sie hinter einer Rauchwolke hervor sagen.

Nicht zuletzt durch derlei Wagemut hat sich Roisin Murphy das Image einer exzentrischen Pop-Nudel erarbeitet. Eine Wahrnehmung, die der Sängerin durchaus gefällt: „Ja, ich bin wohl etwas exzentrisch. Ich finde es ganz schön, wenn man denkt, ich sei seltsam. Was mir weniger gefällt, ist, wenn man nach Live-Konzerten, auf denen ich sehr expressiv tanze, schreibt, ich hätte sie nicht mehr alle und gehörte dringend in die Klapse.“

Roisin Murphy, das merkt man relativ rasch, ist sichtlich bemüht, sich eine gewisse Naivität und Unschuld zu bewahren, was ihre Rolle als Popstar angeht. Zwar ist sie nach den Moloko-Erfahrungen und mehreren Solo-Jahren schon mehr als routiniert und fliegt inzwischen für Album-Aufnahmen um den halben Globus; im Grunde aber will sie auch als 34-Jährige noch das Mädchen sein, das aus Versehen in den ganzen Zirkus hineingestolpert ist. Sie wird ernst: „Ja, das ist schwer und ein permanenter Kampf. Anfangs wollte ich gar nicht singen, ich wollte nur mit meinem damaligen Freund Mark (Brydon, Roisins Ex-Freund und Moloko-Partner. Anm. d. Verf.) ein bisschen Unfug machen. Ich habe mit gar keiner Musikerkarriere gerechnet. Und dann – zack! – waren wir plötzlich eine Band mit Hits. Heute kann ich mir meine Arbeitspartner alle aussuchen, das ist schön, aber auch ein bisschen beängstigend. Die Naivität läuft permanent Gefahr, auf der Strecke zu bleiben. Aber ich habe da ein Auge drauf.“

Murphys Stärke scheint gleichzeitig ihre größte Schwäche zu sein: „Die seltsame Person aus den Videos und ich hier auf dem Sofa, dazwischen gibt es keinen allzu großen Unterschied. Es ist verwirrend: Ich bin wie jeder andere Mensch, und ich bin diese komische Künstlerin. Ich finde es oft schwer, das auseinanderzuhalten. Aber das war natürlich alles schon viel schlimmer. Ich war 18 Jahre mit Mark zusammen. Zu dieser Zeit waren Privatleben und Bühne völlig untrennbar. Sogar beim Frühstück, ach, sogar im Bett waren wir Moloko! Aber inzwischen habe ich gelernt, die Trennung etwas klarer zu halten und Teile von mir zu schützen.“ Man merkt, dass sie bei dem großen schweren Thema ihres Lebens angekommen ist. Sie spricht jetzt deutlich gehetzter, fast ein bisschen entschuldigend. „Mich hat es geprägt, ständig dieses verwirrte Gefühl zu haben, immer halb Popstar und halb Privatperson zu sein. Wahrscheinlich wird mich das mein Leben lang begleiten.“ Sie nickt nachdrücklich, dann verschwindet sie wieder im Nebel. http://emichrysalis.co.uk/roisin/v3