Kritik

„Omnipräsenz“ auf Netflix: Ein halbgarer „Black Mirror“-Krimi auf Brasilianisch


Die brasilianische Netflix-Serie „Omnipräsenz“ verbindet ein ästhetisch ansprechendes Tech-Noir-Setting mit interessanten moralischen Kernfragen, die in ihrer Ausarbeitung leider auf der Strecke bleiben.

Würdest Du Deine Privatsphäre zugunsten Deiner Sicherheit aufgeben? Würdest Du Dein Verhalten ändern, wenn Du wüsstest, dass jede Deiner Bewegungen aufgezeichnet wird? Und spielt es dabei eine Rolle, dass niemand besagtes Filmmaterial jemals zu Gesicht bekommt?

Mit düsteren Serien wie „Dark“, „Marianne“ und „The Rain“ hat sich Netflix in den vergangenen Jahren vermehrt dazu entschieden, seinem Publikum auch internationale Produktionen zuzutrauen. Der brasilianische SciFi-Export „Omnipräsenz“ (Originaltitel: „Onisciente“) von Pedro Aguilera („3%“) soll diesen Trend nun fortsetzen und wirbt im dazugehörigen Trailer mit einer Tech-Noir-Story, die auf den ersten Blick Assoziationen an populäre TV- und Filmproduktionen wie „Black Mirror“ und „The Circle“, aber auch an George Orwells „1984“ weckt.

Willkommen in Omniscient City

Als Schauplatz der in der nahen Zukunft spielenden SciFi-Saga dient „Omniscient City“, eine clean, fast schon steril wirkende Stadt, deren Kriminalitätsrate dank der ständigen Überwachung ihrer Bewohner durch Mini-Drohnen gen null gesenkt wurde. Reklametafeln versprechen ein „Leben ohne Angst“ in einer Welt, die der unseren gar nicht so so unähnlich zu sein scheint, wären da nicht die transparenten Smartphones und, genau, die allgegenwärtige Observation durch eine totalitäre Sicherheitsfirma mit dem treffenden Namen „Omniscient“.

In Omniscient City bleibt (fast) keine Tat ungesühnt.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Nina Peixoto (Carla Salle), eine junge Programmiererin in Ausbildung, die für innovative Weiterentwicklungen des „Systems“ verantwortlich ist. Dieses erfasst nicht nur die Vitalzeichen seiner menschlichen Subjekte, sondern evaluiert außerdem potentielle Gesetzesverstöße. Dass die dem System zugrunde liegenden Algorithmen jedoch eventuell nicht ganz so unfehlbar sind, wie von „Omniscient“ proklamiert, muss Nina schon bald auf erschütternde Weise am eigenen Leib erfahren.

Ein Leben unter ständiger Überwachung

Als ihr Vater Inacio (Marco Antonio Pâmio) Opfer eines gezielten Verbrechens wird, zeigen sich weder der omnipräsente Tech-Gigant, noch die zuständige Regierung kooperativ. Um die Privatsphäre seiner Nutzer zu gewährleisten, verhindert „Omniscient“ die Einsicht der durch die Drohnen gesammelten Daten. Stattdessen bestimmt ein zentraler KI-Supercomputer, ob ein Bewohner gegen das Gesetz verstoßen hat und ahndet entsprechende Vergehen automatisch.

Weil ihr sämtliche Hilfe verwehrt bleibt, muss sich Nina selbstständig auf die Suche nach dem Mörder ihres Vaters machen.

Da dem System jedoch keine Informationen über den mutmaßlichen Mörder von Inacio vorliegen, sieht sich die unter Bewachung aufgewachsene, gesetzestreue Nina plötzlich mit der Notwendigkeit konfrontiert, auf der Suche nach der Wahrheit über den Tod ihres Vaters, ihre ganz eigenen, nicht unproblematischen Ermittlungen einzuleiten und erzeugt so ein Spannungsfeld, das die junge Frau im Laufe der ersten Staffel schließlich von einer unschuldigen Musterbürgerin zu einer risikofreudigen Femme-Fatale-Spionin werden lässt.

Ein unausgereiftes System

„Omnipräsenz“ schafft es, offensichtliche Parallelen zu Real-Life-Tech-Giganten wie Google und Facebook zu ziehen, ohne dabei jedoch den sinnbildlichen Zeigefinger zu erheben. Denn tatsächlich sind hier nicht das allwissende Unternehmen an sich oder die Menschen dahinter das Problem. Alle Mitarbeiter scheinen ihre Verantwortung extrem ernst zunehmen, die Sicherheitsvorkehrungen sind immens und von Korruption scheint zumindest in der ersten Staffel (fast) keine Spur zu sein.

Mit nicht ganz koscheren Methoden versucht Nina das System zu umgehen.

Stattdessen liegt das eigentliche Problem bei der Unausgereiftheit des Systems. So reagieren beispielsweise nur die Drohnen der Straftäter selbst auf ein Vergehen, nicht jedoch die Drohne des Opfers. Auch die Beurteilung der Straftaten scheint viel zu subjektiv: Psychische Gewalt bleibt beispielsweise vollkommen ungesühnt. Und auch die Auswirkung kleiner Vergehen auf das restliche Leben der Bewohner ist problematisch: So findet Ninas Bruder wegen einer Anhäufung kleiner Delikte in seiner Jugend keinen Job, was sich wiederum enorm auf sein Selbstwertgefühl und seine gesellschaftliche Position auswirkt. Auch, dass das System Gesetzesverstöße öffentlich über Lautsprecher und Bildschirme mitsamt des Namen des „Straftäters“ verkündet, bietet jede Menge Diskussionspotenzial.

Interessante moralische Konflikte und Gedankenspiele

Der Zuschauer wird auf diese Weise immer wieder mit reizvollen moralischen Konflikten und Gedankenspielen konfrontiert. So äußert etwa Stadträtin Judite Almeida (Sandra Corveloni) an einer Stelle die Behauptung: „Der Beobachter verändert immer das Verhalten des Beobachteten.“ Damit spiegelt sie genau jene Erkenntnis wieder, mit der sich Ninas beste Freundin Olivia (Luana Tanaka) konfrontiert sieht, als ein außerhalb Omniscient Citys lebender Liebhaber ihr spontan das potentielle Tête-à-Tête verwehrt, weil er sich von den anwesenden Drohnen beobachtet fühlt.

Leider bleiben viele der Nebenfiguren auf der Strecke. So zum Beispiel Ninas beste Freundin Olivia.

Leider ist es jedoch auch genau dieser Punkt, an dem die Serie ihre Schwachstellen zeigt. Denn viele interessante Aspekte werden förmlich aus dem Nichts heraus kurz angeschnitten und dann ebenso schnell wieder fallen gelassen. Ähnlich verhält es sich mit Nebenfiguren wie Ninas Bruder Daniel (Guilherme Prates), ihrem Freund Vinicius (Jonathan Haagensen) oder eben Olivia, deren Sexszenen dadurch umso fehlplatzierter wirken. Als Konsequenz bleiben nicht nur viele Charaktere, sondern auch ein Großteil von Ninas Beziehungen und den daraus resultierenden Handlungen schwer nachvollziehbar.

Eine zweite Staffel? Hoffentlich!

Im Weiteren bietet „Omnipräsenz“ vor allem im letzten Drittel der Handlung jede Menge ästhetisch ansprechende Bilder und überzeugende Schauspieler, deren Darstellung leider ein wenig unter der unausgegorenen Synchronisation leidet. Die große Auflösung am Ende dürfte einigen Zuschauern zu diesem Zeitpunkt bereits geschwant haben, ergibt aber immerhin Sinn und liefert ordentlich Stoff für eine mögliche zweite Staffel. Denn auf eine solche ist trotz der Schwachstellen der Serie durchaus zu hoffen.

„Der schwarze Diamant“ auf Netflix: Wie im Fiebertraum

„Omnipräsenz“ ist seit dem 29. Januar 2020 bei Netflix im Stream verfügbar.

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