„Polyester“: John Waters drehte in „Odorama“


Eifrige Besucher von Programmkinos kennen den amerikanischen Regisseur John Waters und seinen fülligen Transvestiten-Star Divine als provozierendes Kult-Gespann.

„Pink Flamingos“ und „Female Trouble“ – um die bekanntesten zu nennen – gelten unter Eingeweihten ab Maßstab für Waters‘ Ästhetik des Unästhetischen. Im Vergleich damit ist „Polyester“ satirisches Familienkino. „Polyester“ ist darüberhinaus Waters‘ erster 35mm-Film und sein erster Streifen in „Odorama“. Dies bedeutet, daß der Besucher an der Kinokasse eine Riechtafel mit zehn meist unangenehmen schwefelhaltigen Duftmarken bekommt.

Die Fishpaws sind eine amerikanische Familie aus dem Bilderbuch. Hinter der plüschigen Plastikfassade bürgerlicher Vorstadtidylle (Waters blieb in seiner Heimatstadt Baltimore) spielt sich halt der übliche Terror ab. Der Vater verdient sein Geld mit Pornokinos und verläßt seine dicke Francine (Divine) wegen der Sekretärin. Die Kinder sind selbstverständlich schwer verhaltensgestört. Der Sohn hat die Nase ununterbrochen über irgendwelchen Flaschen mit Putzmitteln, die Tochter geht unerlaubterweise mit dem Elternschreck Bobo (eine gelungene Selbstdarstellung von Dead Boy Stiv Bators) und Francines Mutter ist ein Psychopolyp. All diese Belastungen sind für eine amerikanische Durchschnittshausfrau natürlich zu viel, also greift sie zur Flasche. Ihre einzige Freundin im Elend ist ihre ehemalige Putzfrau Cuddles, steinreich geworden durch irgendeine Erbschaft. Amerikanischer Traum und Alptraum gehen Hand in Hand.

Waters‘ Projektionen wirken wie bewußt zufällig hingerotzte Klischees. Daß bei einem derartigen Griff in die Vollen die Trefferquote allerdings ziemlich hoch ist, versteht sich von selbst. Riesige Limousinen, großkarierte Anzüge, abstoßend Pflegeleichtes, so weit das Auge reicht. Aufgeknöpfte Hemden, Goldschmuck über behaarter Männerbrust. Reiche Spießer zwischen Koks, Mundspray und Sahnetorten, Therapiegruppen als Inseln der Boßhafügkeit und alles maßlos übertrieben.

Eine besonders miese, weil hinterhältige Rolle wies John Waters dem ehemaligen Leinwand-Saubermann Tab Hunter zu, der sich der einsamen Francine als Liebhaber nähert, tatsächlich aber mit ihrer geldgierigen Mutter unter einer Decke steckt. Zum Glück gibt es aber ein Happy End, weil die Kinder nach Knast und Selbsterfahrung zu ganz reizenden Geschöpfen werden und alle schwarzen Schafe am Schluß erschossen bzw. überfahren werden. Die Songs („Polyester Queen“, gesungen von Tab Hunter und „Love Theme“, gesungen von Bill Murray) stammen übrigens von Debbie Harry/Chris Stein.

Natürlich haben wir uns alle mitleidslos amüsiert. Die total überdrehte Tochter ist uns reichlich auf die Nerven gefallen, bei dem Kaliber kommt wahrscheinlich auch keine Synchronisation mehr mit. Edith Massey (Francines Freundin Cuddles) ist in den Staaten gerade wegen ihrer fehlenden Zähne ein Star, und John Waters selbst meint dazu: „Filmen ist für mich eine todernste Angelegenheit. Aber ich habe absolut nichts zu sagen.“

Mit anderen Worten: Für alle, die nicht gleich mit schwerstem Waters-Kaliber anfangen wollen, ist „Polyester“ als harmloser Einstieg zu empfehlen. The real stuff gibt’s dann sicherlich mal wieder in irgendeiner Mitternachtsvorstellung.