Raffertie


Während das Alleinsein gelegentlich zum Luxus erklärt wird, den man sich ab und an gönnen sollte (ist ja alles schrecklich hektisch hier in diesem Leben), fällt es dem Menschen weitaus schwerer, Einsamkeit zu kultivieren. Vor allem in der kulturellen Einöde der Kleinstadt ist Musik für viele heranwachsende Jugendliche das einzig gängige Ausdrucksmittel.

Benjamin Stefanski alias Raffertie ging es genauso, als er an der idyllischen, wenngleich langweiligen englischen Küste aufwuchs und erstmals mit Musik in Berührung kam. Musik deutete einen Fluchtpunkt an, der ihm das Gefühl gab, da draußen würde noch etwas auf ihn warten. „Ein besonderer Moment war für mich das erste Mal, als ich ‚Hope There’s Someone‘ von Antony and the Johnsons hörte“, erinnert sich Raffertie.

Mit dieser Inspiration setzt sich der 26-Jährige daran, sein eigenes Album zu schreiben. Die Intention: Eine Platte, nicht für ihn selbst, sondern für andere zu schaffen. „Mein alter Musiklehrer sagte immer: ‚Es ist das eine, jemanden beim Schokoladeessen zu beobachten, das andere, wenn er sie mit dir teilt.‘ Es wäre egoistisch, Musik nur für mich selbst zu machen.“ Dazu nutzt er auch erstmals seine Stimme, um die elektronischen Beats zu unterstützen, an denen er für SLEEP OF REASON knapp zwei Jahre saß.

Für die Schokoladenseiten auf der Platte nutzt er ein schön breites Spektrum an modernen Sounds. Wer enttäuscht darüber ist, dass Broken-Beat-Enigma Jai Paul immer noch kein offizielles Album präsentiert, wird sich hier wohl fühlen. Dafür sorgen die dezent schreddernden Synthies und Bleeps über tiefe, melancholische Beats und Arrangements, die nicht selten an Remix-Arbeiten von Jamie xx erinnern. Rafferties Gesang, hoch und repetitiv, spielt mit der Ungewissheit, spielt immer mal wieder mit dem Thema Heimatverbundenheit -ganz gut zu hören zum Beispiel auf dem Song „Last Train Home“, der einen pulsierenden Rhythmus hat, wie man ihn auch gern bei The Knife zu hören bekommt.

Stefanskis neues Zuhause ist jetzt erst einmal sein Studio, in dem er nahezu alle seine Arbeiten verrichtet, weil er Ruhe und Disziplin braucht, um mit den Songs fertig zu werden. Sein Label Ninja Tune ist deshalb geduldig mit ihm. Sie wissen, was sie an ihm haben, seit sie durch einige Remixe (u.a. Franz Ferdinand, AlunaGeorge) auf ihn aufmerksam wurden und ihm daraufh in einen Plattenvertrag anboten. Für sein eigenes Label Super bleibt dem Musiker momentan deshalb wenig Zeit. Aber bekanntermaßen macht allzu viel Schokolade sowieso nur dick.

CD im ME S. 19, Albumkritik S. 100

Der Titel SLEEP OF REASON ist eine Anspielung auf ein Bild des spanischen Künstlers Francisco de Goya namens „Sleep of Reason Produces Monsters“.

Für den Song „Build Me Up“ ließ Raffertie einen Kurzfilm von Regisseur Vincent Haycock drehen. Darin geht es auch wieder um Heimat.

Klingt wie: Jai Paul, The xx, Blue Daisy, Mount Kimbie