Rebellion im Kaiser-Kosmos


MUSIK EXPRESS ENTHÜLLT, WAS DER 'KOSMISCHE' REKLAME-RUMMEL VERSCHWEIGT

Im Jahre 1970 gründeten Rolf-Ulrich Kaiser und Peter Meisel in Berlin die OHR Musik Produktion, mit ausschliesslich deutschen Bands im Programm. Sie wollten eine Alternative zu den Plattenriesen und erreichten sie auch. Floh de Cologne (Polit Rock), Tangerine Dream (elektronische Musik) und die Folk-Baden Witthüser & Westrupp starteten das Label. 1971 bot die BASF eine Zusammenarbeit an und es entstand ein zweites Label, das den Namen PILZ bekam. Die bis 1973 produzierten 60 Langspielplatten liefen relativ gut. Zumindest ein paar davon erwiesen sich für deutsche Verhältnisse als echte Renner und bald wurde auch das Ausland aufmerksam. In den letzten Monaten schien es so, als würde ein Kriseln durch die Firma gehen. Traf man irgendwo Ohr- und Pilzgruppen, waren sie in den seltensten Fällen mit Herrn Kaiser und seinen Arbeitsmethoden zufrieden, dennoch wurde bis von ein paar Wochen keine offizielle Gegenstimme laut. Als nun aber Tangerine Dream und Klaus Schulze ihre Kündigungen einreichten, stieg die deutsche Presse ein, und es sah wirklich nach ersten Zerfallserscheinungen aus. R. U. Kaiser hatte kurze Zeit zuvor mit seiner Gefährtin Gille die restlichen Anteile von OHR erworben und sie standen jetzt auf eigenen Beinen. Die frischgebackenen Geschäftsführer stürzten sich gleich mit vielen Ideen und Feuereifer in’s deutsche Plattengeschäft (siehe ME 8/73). Gleichzeitig gründeten sie ihr drittes Label, die KOSMISCHEN KURIERE. Nach den Schwierigkeiten mit einigen Gruppen folgten Schwierigkeiten mit Vertriebsfirmen und eigenem Personal. Im Oktober erscheint jetzt allen Unkenrufen zum Trotz das langerwartete Herbst-Paket der beiden Jungunternehmer. Da sich seit den Anfangstagen 1970 bis heute einiges getan hat, meinen wir doch, dass es für ME-Leser interessant sein dürfte, einmal einen kleinen Blick hinter die Kulissen werfen zu können. Wir führten daher Telefon-Interviews mit den wichtigsten Gruppen aller Kaiser-Labels. Emtidi und Witthüser & Westrupp konnten wir leider nicht erreichen. Natürlich liessen wir auch Plattenchef Kaiser zu Wort kommen.

KOSMISCHES ETIKETT

Auf das Verhältnis zur Firma angesprochen, unterscheiden sich die Meinungen stark. Die einen waren sehr zufrieden, die anderen würden lieber heute als morgen aus dem Vertrag entlassen. HÖLDERLIN z.B. würde ’sofort kündigen, wenn es eine Möglichkeit gäbe‘. Sie möchten sich ‚um keinen Preis mit dem aufgedrückten Kosmik-Etikett identifizieren‘ und ’nicht als Markenartikel gehandelt‘ werden. Ausserdem sind sie sauer weil man sie mit den ‚Aufnahmen zur neuen LP seit einem halben Jahr vertröstet‘, worin sie nur einen Grund sehen: „Wir passen bis jetzt in kein kosmisches Klischee“. Kaiser dazu: „Anfangs waren wir mit den Demo-Bändern nicht zufrieden, doch jetzt wird Dieter Dirks auf meinen Vorschlag hin die Produktion durchführen. Wir greifen bei keiner unserer Gruppen in den Stil ein und ein ‚kosmisches Etikett‘ wird niemandem gegen seinen Willen aufgezwungen. Ich bin nur der Meinung, daß sich Hölderlin’s z.T. engagierte Texte nicht unbedingt mit unserer Musik der Freude vertragen.“

KURZ GESAGT: UNSERIÖS

Ähnliche Gefühle gegenüber Kaiser’s Label hegt Florian von POPOL VUH. Er hält die Promotionarbeit für ‚kurz gesagt unseriös‘, und hat ausserdem Probleme, die die Produktionskosten seiner LP’s betreffen. „Nach jeder Fertigstellung muß ich mir Geld leihen, um die Unmenge Rechnungen zu bezahlen, was dazu führt, daß ich jedesmal 4 Monate außer Schulden keinen Pfennig besitze.“ Kaiser erklärt, daß ab „einer gewissen Grenze die Kosten nicht mehr allein beim Produzenten“ liegen, sondern auch der Künstler „daran beteiligt“ wird. ‚Dafür hat Florian alle Freiheiten im Studio und auch seine Sonderwünsche werden erfüllt!‘ Popol Vuh schaltete kürzlich einen Anwalt ein, um den Schriftverkehr mit Herrn Kaiser zu führen, da sie ’nicht mehr mit ihm reden‘ können. Sie hoffen, daß sie ‚entlassen werden, da die Zusammenarbeit einfach nicht mehr klappt‘. Laut Kaiser gibt es jedoch ‚keine Gründe sie aus dem Vertrag zu nehmen‘.

Die Berliner ASH RA TEMPEL ’spielten zwar schon mit dem Gedanken‘, doch momentan haben sie ‚keinen Grund sich zu beschweren‘. ‚Mit den Pressetexten‘ sind sie zwar, ’nicht ganz einverstanden‘, doch verzeihen sie es Kaiser, da er ’seine Sachen wirklich ehrlich meint und voll dahintersteht‘. Sie dürften nicht ganz Unrecht haben, wenn sie glauben, daß es ‚bei anderen Firmen genausoviel zu kritisieren‘ gibt. ‚Wir wissen genau wie unsere Musik aussehen soll und wir lassen uns da von niemanden dreinreden, was bisher auch noch nicht geschehen ist. Wir warten erstmal ab!‘

ZUSAMMENARBEIT FUNKTIONIERT

‚Ein ungetrübt gutes Verhältnis‘ hat auch WALLENSTEIN zur Firma. Mehr wollte uns Jürgen Dollase nicht erzählen, denn ‚im Moment, ist es leider nötig geworden, nur noch auf schriftliche Fragen zu antworten‘. Ihre Musik ist ihnen ‚wichtiger als das ganze Drumherum‘ und sie ‚möchten nicht anderer Leute Wäsche waschen‘.

Etwas verwunderlich düngt mich die zufriedene und abwartende Haltung der Polit-Rocker FLOH DE COLOGNE, die mit ihren Verkaufsziffern zur deutschen Spitze gezählt werden. Ihr Verhältnis zu OHR ist ‚gut und die Zusammenarbeit funktioniert‘. Ihr Vertrag läuft Ende Februar 74 ab, doch sie haben sich ’noch keine Gedanken gemacht über eine Vertragsverlängerung‘. ‚Herr Kaiser akzeptiert unsere Arbeit und hält alles kosmische Gehabe von uns fern. Inhaltlich und musikalisch haben wir alle Freiheiten‘. ‚Nach jeder neuen LP wird von den Flöhen ein ’neuer Prozentsatz ausgehandelt‘ und sie fahren offensichtlich ganz gut dabei. Es ist für sie ‚letzten Endes eine politische Frage‘, ob sie bei Ohr bleiben oder ‚zu PLÄNE wechseln‘. Am liebsten wäre ihnen eine ‚Co-Operation beider Firmen‘.

Nun die Gründe, die zur Kündigung von TANGERINE DREAM und KLAUS SCHULZE führten. Bei beiden geht es um „geplatzte Tourneen, geschäftsschädigende Werbemethoden und um verpatzte Auslandsgeschäfte‘. T. Dream soll Herr Kaiser ein ‚Angebot einer englischen Plattenfirma verdorben‘ haben und Klaus ist mit seinen Beinahmen ‚Quadro‘ und ‚Vierkanal‘ nicht mehr einverstanden.

R. U. Kaiser zu den Kündigungsgründen: ‚Ich bin von keinem der beiden der Manager und habe mich daher in diese Sachen kaum eingemischt. Klaus‘ Tournee fiel aus, weil der Veranstalter unser zuerst vereinbartes Preisangebot wieder ausschlug und ihn linken wollte. Die England-Tour von T. Dream sollte durch sehr kleine Clubs mit minderwertiger Bezahlung in kleinkarierten Verhältnissen stattfinden, und das haben sie bestimmt nicht nötig. Ich bin auch sicher, dass die Plattenangebote, die bis jetzt noch zu niedrig liegen, in nächster Zeit stark erhöht werden. Unsere Werbemaßnahmen waren mit beiden abgesprochen und es war vereinbart, daß Edgar (Fröse) selbst seine Texte schreiben sollte, doch als die letzte LP von ihnen erscheinen sollte, hatten wir noch nichts erhalten. Klaus war teilweise so begeistert über die Promotion, daß er sich eine Menge nachrucken liess. Am Cover seiner neuesten Platte bestimmte er selbst mit und sie läuft unter dem Namen Klaus ‚Quadro‘ Schulze. Unsere Texte sind in DIESER Art, weil wir feststellen konnten, daß ihre Musik ein so breites Publikum anspricht, daß uns ‚Stockhausen‘ Texte nicht sinnvoll erschienen. Ich bin ausserdem der festen Überzeugung, daß T. Dream wirklich Science-Fiction-Musik macht, und zwar eine der schönsten, die wir haben. Wir haben beiden Anwälten mitteilen lassen, daß wir einer Vertragskündigung widersprechen, da uns bis heute noch keine echten Gründe zur Kündigung vorliegen. Ich bin fast sicher, daß hinter der ganzen Berlin-Aufregung nur Klaus‘ Frau steckt, die anfangs bei Gille und mir mitarbeiten wollte, die wir aber ablehnten, wonach sie auf Kosten von Klaus und T. Dream nun eigene Geschäfte führen will. Es wird sich aber in Bezug auf unsere Gruppen nichts ändern!“

KAISERS KOSMISCHES HERBST-PAKET

Das kosmische Herbst-Paket kommt im Oktober auf den Markt und es enthält auch einige der neuen LP’s der befragten Gruppen. Mit dabei wird die 3. WALLENSTEIN-LP sein, die nicht wie geplant den Titel ‚Rory Blanchford‘ sondern ‚Cosmic Century‘ genannt wurde. Sie ist schon mit dem neuen Geiger aufgenommen und soll laut Dollase die beste bisher sein. Sobald der neue Mann (German Pop News) sich eingelebt hat, werden Vorbereitungen zu einer Frankreich-Tour beginnen. HÖLDERLINS zweite Platte wird erst nächstes Jahr erwartet und sie haben im Moment sehr viele Gig-Angebote zu erfüllen. Eine neue ASH RA TEMPEL-LP ist ebenfalls im Paket und sie heißt ‚Ash Ra Tempel starring Rosi‘. Wie uns Gitarrist Manuel sagte, ist es ‚mehr Rosi’s Solo-Platte und nicht unbedingt die übliche ART-Musik‘. Sie singt, spricht, spielt Harfe und Vibraphon und als Gast wirkt der Wallenstein-Drummer mit. ‚Atem‘ von TANGERINE DREAM erschien schon Mitte dieses Jahres, während KLAUS SCHULZE eine neue Doppel-LP aufgenommen hat. ‚Cyborg‘ wurde mit Orchester und etlichen Cellisten eingespielt und besitzt mehr Klassik-Touch als die früheren Produktionen. Von Klaus und T. Dream existieren noch ca. 50-60 Stunden Musik, die bei älteren Plattenaufnahmen abfielen und sich vielleicht noch zum Veröffentlichen eignen. Auch FLOH DE COLOGNE wartet mit einem neuen Longplayer auf, der sich mit dem Wirtschaftsdenkmal Flick beschäftigt und ‚Geier-Synphonie‘ genannt wird. In Co-Operation mit dem linken Pläne-Verlag erscheint auch eine Single von ihnen. POPOL VUH hat fast in der gleichen Besetzung wie ‚Hosianna Mantra‘ ein neues Werk kurz vor der Veröffentlichung was sich ‚Seligpreisung‘ nennt und ihr viertes Album darstellt. Ash Ra Tempel und Popol Vuh stellen gerade eine neue Besetzung zusammen und möchten so schnell wie möglich ‚on the road‘ ziehen. Floh de Cologne beendet im Oktober ihre ausgedehnte Deutschland-Tour und beginnt dann mit der Arbeit an einem neuen Programm, dessen Thema noch nicht feststeht, wovon aber eine LP Anfang nächsten Jahres erscheinen wird. Klaus Schulze unternimmt Konzertreisen durch Ungarn, Rumänien, Frankreich und zusammen mit Tangerine Dream nach England. In Berlin bastelt er gerade an einem elektronischen Aufnahmestudio, an dem sich auch der Senat beteiligen soll. Im Kaiser-Herbst-Paket befinden sich außer den oben genannten Platten noch fünf mit den Titeln ‚Sci-Fi Party‘, ‚Planeten Sit-in‘, ‚Galantic Supermarket‘, ‚Zeitschiff‘ und ‚Cosmic Jokers‘, die eine Science Fiction-Musik enthalten sollen. Zu 80% snd alle Platten quadrophonisch aufgenommen, was neue Hörerlebnisse bringen soll. Ihr seht, es läuft einiges in nächster Zeit.