REO Speedwagon – Nummer 1 nicht nur in Midwest


Nach dem Motto: wenn du lange hart genug arbeitest, wirst du gelegentlich auch eifolgreich sein, schufteten REO Speedwagon über zehn Jahre und haben es geschafft. Nicht nur, daß sie im Laufe der Jahre einen hohen Flugzeug- und Pilotenverschleiß hatten, sie machen sich über ihre Musik auch Gedanken. Ganz im Ernst! Und an Selbstbewußtsein mangelt es ihnen auch nicht. Warum sie nicht endlich auf die versprochene Tournee kommen, steht im letzten Absatz der Geschichte, die Sylvie Simmons für uns schrieb…

Auch wenn man New York und Los Angeles mit einem chirurgischen Eingriff von der US-Karte entfernen würde, sodaß nur noch der sogenannte Mittelwesten übrig bliebe, würde sich trotzdem niemand über REO Speedwagons mehrfache Platin-Erfolge wundern. Die Band schuftete sin in den vergangenen zehn Jahren durch die ausverkauften Stadien des flachen Landes, als in NY und LA jedermann noch begriffstutzig fragte: „REO – wer?“ Der Name – REO Speedwagon stammt übrigens vom 1911er Modell eines amerikanischen Feuerwehr-Vehikels. „Zunächst haben wir in der Musikwelt nicht gerade den Eindruck hinterlassen, den wir uns eigentlich gewünscht hätten.“ Kevin Cronin, REO’s Sänger/ Frontmann, ist der erste, der dies eingesteht JConzerte waren für uns nie ein Problem, aber wir waren ziemlich frustiert, als wir merkten, daß wir Schwierigkeiten hatten, das auch auf Platte rüberzubrinen. Aber wir haben auf diese Weise die amerikanische Arbeitsmoral zehn Jahre lang aufrecht erhalten wenn du lange genug arbeitest, wirst du gelegentlich auch erfolgreich sein!

Erst waren wir die erfolgreichste Band in Champaign Illinois, dann haben wir uns ausgebreitet und wurden zur angesagtesten Band in ganz Illinois; das wuchs immer weiter, so daß wir in unseren Köpfen irgendwo immer die Nummer 1 waren. Jetzt, zehn Jahre später, ist es also völlig normal, die Nummer 1 im ganzen Lande zu sein, das ist eine völlig natürliche Weiterentwicklung. Ich kann unseren Erfolg mit guten Gewissen akzeptieren, weil wir nie irgendwelche Kompromisse eingegangen sind, um die Leute zu unterhalten. Wenn du mich fragst, ob ich den Erfolg verdiene, dann kann ich nur sagen: Du hast verdammt recht, ich verdiene ihn. Ich habe 15 Jahre darauf gewartet, ich nehme ihn an.“ Kevin Cronin ist mit Sicherheit nicht der Mann mit einem Schuldkomplex. Kevin quasselt unaufhörlich wie ein überdrehtes amerikanisches Kind, das die meiste Zeit seines Lebens vor dem Fernseher verbracht und an den Strahlen gelutscht hat und jetzt erst die Bedeutung von Worten entdeckt. Vielleicht hat er auch gerade erst herausgefunden, daß es Leute gibt, die ihm zuhören. So etwas erreichst du, wenn du auch in New York und Los Angeles Nummer-1-Platten hast, anstatt nur im Midwest „Ich glaube, das liegt auch daran, daß zehn Jahre lang keiner irgendeine Notiz davon nahm, was ich in Interviews sagte und auch daran, daß du immer nur drei Minuten im Radio hattest, in die du dann so viel hineinquetschen wolltest, wie nur möglich“, sagt Cronin mit 78 Umdrehungen. Sein Arzt hat bei Tests schon entdeckt, daß er zehnmal so schnell spricht wie ein durchschnittliches menschliches Wesen.

Kapitel 1 der „REO-Story“ hängt eng mit den Darwin’schen Erkenntnissen zusammen. Die Band machte so eine Art Evolution durch, ausgehend von einer Bar-Combo, die sich aus Studenten der Universität Illinois rekrutierte. Gary Richrath studierte Architektur, Neil Doughty wollte Nuklear-Physiker werden, Cronin selbst Jurist und Alan Gratzer sowie der damalige Bassist, Greg Phübin, studierten, um Hippies zu sein. Jurastudent Cronin („Ich stand unheimlich auf Perry Mason“) war in dieser Blumenkinder-Ära der Kopf einer Band mit Namen „Fuschia“. „Das war wie eine Musikerbörse, erinnert er sich, „Ich gehörte zu den wenigen die Songs schrieben, anstatt sie aus der Musikbox nachzuspielen. Meine Mutter war Poetin und darum war es für mich ganz normal, daß ich meine eigenen Lieder schrieb.“ Sein Vater dagegen beriet die Leute in ihrer Rentenplanung, deshalb war es genauso klar, daß Kevin eine gute Ausbildung bekam, auf die er im Notfall zurückgreifen kann.

Fuschia wechselte damals schneller das Line-up, als heute Rainbow. „Als ich 18 war, brauchte ich zwei neue Leute und so etwas lief immer über Anzeigen in der Chicagoer Tageszeitung. Unter der Rubrik „Musiker“ kosteten die 8 Dollar und ich hatte nicht genug Geld, um zwei zu schalten. Mit unserem Roadmanager – keine Ahnung, wofür wir eigentlich einen Roadie brauchten, wir waren sowieso nie unterwegs – habe ich dann Flugblätter gemacht, die wir heimlich in der Uni kopierten und überall hinklebten.“ Das funktionierte so gut, daß Cronin seine Zeit hauptsächlich damit zubrachte, die Geschäfte anderer Bands in der bewährten Art des zukünftigen Rechtsanwaltes zu regeln. Fuschia machte derweil allerdings schlapp. Eines Tages rief dann eine unbekannte Band mit Schallplattenvertrag an – man war auf der Suche nach einem Sänger und bot ein Gehalt von 200 Dollar pro Woche.

„Ich hatte nie 200 Dollar gesehen. Ich hätte das für 200 im Jahr gemacht. Fuschia war eher eine Folkrock-Band gewesen und REO so eine richtige Boogie Rock Band. Als ich ihren Namen herausgefunden hatte und das Wort ‚Schallplattenvertrag‘ hörte, ging es bei mir nur doonnng!!! Ich hab sie mir angesehen, dann übten wir zusammen, spielten ein paar Wochen lang und machten ein Album. Wir wußten überhaupt nicht was ‚Billboard‘ war oder die Charts, wir sind nur ins Studio gegangen, haben uns einen flotten Tag gemacht, ’ne Menge Shit geraucht und gemeint, wir wären on top of the world.“

Kapitel zwei: Die Band macht sich auf, um den mittleren Westen zu erobern. Sie kaufen sich einen klapprigen Chevrolet und fahren damit zu drei Gigs pro Tag: nachmittags um drei zu irgendeiner Party, dann ungefähr 400 Kilometer zu einem Gig um acht, dann weiteres 300, um in irgendeiner Bar morgens um 3 Uhr aufzutreten und danach wieder heimzufahren. Die Band hielt das ganz gut durch, nicht so der Wagen. Nach einem Jahr etwa traten REO zum ersten Mal als Headliner vor 12 000 Leuten auf. Damit verdienten sie genug, um sich ein Flugzeug zu leisten: einen Sechssitzer, der zwölf Leute faßte, wenn sich die Hälfte der Band samt Equipment plus einiger Kisten Heinecken in den Waschraum verzog.

„Wir hatten einen Piloten angeheuert. Du kannst sagen, wir korrumpierten ihn. Als er anfing, war er so ein kurzhaariger normaler Pilot mit kleinem Hut, der fünf Stunden vor dem Flug kein Bier mehr zu trinken pflegte. Nach einem Monat verschwand zuerst das Hütchen, dann ließ er sich die Haare bis auf die Schultern wachsen und das Fünf-Stunden-Bier-Limit schrumpfte zunächst auf zwei Stunden; ich sollte wohl lieber nicht weitererzählen… Den Beweis seiner Loyalität lieferte dieser Pilot, als sich die Band einst zum Spontan-Picknick auf dem Parkplatz eines Hotels in Tennessee entschloß. Als sie das Hotelmobilar zu diesem Zweck nach draußen zerrten, kreuzten auch schon fünf Polizeiwagen auf. Als die Cops noch überlegten, was sie den Musikern nun am besten ankreideten, fiel sozusagen ein Hubschrauber vom Himmel der REO-Pilot verfrachtete die Band in einer eiligen Rettungsaktion in den gemieteten Chopper.

Mit der Zeit wuchsen die Flugzeuge proportional zum Midwest-Publikum, selten aber in ihrer Kultiviertheit. 1978 ließen sich REO mit dem Flying Tuna Plane wie auch mit einem neuen Bassisten, Bruce Hall, ein. „Wir hatten, was den Flieger betraf, einen guten Deal,“ meint Kevin, „weil die Typen unter dem Deckmantel, Rock’n’Roll-Bands zu fliegen, Waffen transportierten. Der ganze Gepäckraum war immer voll von Pot und wir wunderten uns, warum wir nie genug Platz für unsere Gitarren fanden.

Möglicherweise lag es auch an diesem Flugzeug, daß man sie so wenig in der Presse berücksichtigte. Einmal nahmen sie nämlich einen Journalisten vom Rolling Stone mit auf eine ihrer Midwest-Tourneen. „Wir versicherten ihm, daß es sicher sei, ein fantastischer Pilot und so weiter… Bis er den Piloten dann sah, der aussah wie Charles Manson und die ganze Zeit Bier trank.“ Zuerst verloren sie die Bremsen und das Flugzeug krachte irgendwo hinein. Noch ein Versuch. Sie stiegen auf mit einem grüngesichtigen Rolling-Stone-Schreiber, schwankten über dem Flughafen auf und nieder und kamen schließlich über einem Flecken voller Nadelbäume runter. So wurden sie dieses Flugzeug los. Der Pilot ging wieder dazu über, Geschäftsleute zu fliegen und die Maschine selbst kam noch ins Gerede, als es in der Verloren/Gefunden-Rubrik von „High Times“ (dem (Playboy der Drogenwelt) auftauchte – voll mit „einer lächerlichen Menge von Pot und 1,2 Millionen Quaaludes. Die gehörten uns aber nicht,“ beteuert Kevin, obwohl damals noch immer das REO-Logo am Flugzeug klebte. „Glaub mir, wenn es so gewesen wäre, würden wir jetzt irgendwo mit verdrehten Augen liegen.“

Die Band hatte ihre innerbetriebliche Krise 1974, als Kevin seinen Marschbefehl bekam. Er und Gary Richrath hatten „riesige Ego-Probleme“ auszukämpfen und einer mußte gehen. Man holte Kevin jedoch zurück, als REOS’s damaliger Manager, Irving Azoff, abflog, um sein Leben fortan den Eagles zu widmen. Das war 1976. Danach kam die Band mit YOU GET WHAT YOU PLAY FOR heraus, dem ersten von vier Platin -Alben. Damals nahmen sie sich vor, in Zukunft auf „all diese Hollywood-Produzenten“ zu pfeifen. „Seitdem sind wir auch eine neue Band geworden,“ erklärt Kevin dramatisch. Intensives Touren brachte ihnen noch mehr Erfolg. Ihre Musik wurde auch für die Radiostationen (des mittleren Westens zunächst!) akzeptabel, zumal REO jetzt den rohen Boogie-Sound ihrer Live-Auftritte mit eingängigeren, polierteren Passagen kombinierte.

„Das Publikum, welches wir anziehen, besteht aus Leuten, die sowohl zu den Eagles gehen würden als auch zu Ted Nugent, wo sie dann ihre Whiskey-Flaschen schwingen. Und wenn die alle in einem REO-Konzert aufeinandertreffen, kriegen die Leute, die sonst eher zurückhaltend sind, auch einen Energieschub. Wer will denn nicht vom Sitz hoch und tanzen und einfach mal wild sein? Und wenn die sanfteren Songs kommen, wissen Hardrock-Fans, daß es danach gleich wieder losgeht und sitzen still, um zuzuhören und kreischen danach wieder los. Wir waren nie eine Rock’n’Roll-Band, die sich nur hinstellt und meint: Okay, wir brauchen nur laut und schnell zu spielen und jeder steht auf und klatscht mit. Das ist nur ein Teil des Ganzen. Wir sind eine Rock’n’Roll-Band, die sich über ihre Musik Gedanken macht.“ Wahnsinn, ja, meint Kevin, aber irgendeine Substanz, irgendeine Botschaft müsse schon dahinterstecken.

Die „Botschaft“, die sie in ihrer jüngsten LP, HI INFIDELITY vermitteln, ist wohl bislang ihre persönlichste; sie betrifft nämlich eine selbst durchlittene Untreue von Ehefrau bzw. Freundin der beiden Songschreiber Cronin und Riehrath. „Bis zu diesem Album haben wir in unseren Songs nur allgemeine Ideen zum Thema Erfolg verarbeitet. Schon vor HI INFIDELITY haben wir Millionen von Platten verkauft, obwohl wir nie im ganzen Land Nummer 1 waren. Wir haben es nun fast geschafft, wie könnten wir jetzt noch über Leute schreiben, die dem Erfolg nachjagen? Gary und ich dachten da an unsere persönlichen Beziehungen. Einige der Dinge, die ich in den Song verarbeitet habe, hätte ich nicht einmal mit meinen Freunden besprechen können, das wäre mir zu peinlich gewesen… Das Thema Untreue ist ja irgendwie tabu, als ob es das schlimmste ist, was einem je widerfahren kann. Das kann gut sein, aber ich finde nicht, daß man darüber eine Beziehung abbrechen muß. Wenn eine Frau im Leben mal einen schwachen Moment hat – speziell wenn die Männer in einer Rockband spielen und oft lange von ihren Frauen und Freundinnen fort sind – soll man dann sagen, ich will mit dir nichts mehr zu tun haben, wenn man sie liebt? Natürlich tut so etwas weh, und ich war in einem ziemlich miesen Zustand, als ich ‚Keep On Loving You‘ schrieb. In den meisten Rock’n’Roll-Songs hättest du wahrscheinlich gehört: ‚Ich hab dich erwischt, Baby, hau ab‘ oder ‚für Männer ist das okay, aber nicht für Frauen‘. Aber solche Gedanken sind mir fremd, ich kann diese doppelte Moral immer noch nicht richtig verstehen. Ich denke, daß ‚Keep On Loving You‘ ein Versuch war, diese Doppelmoral anzugreifen. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, meine ich, daß dies fast ein feministischer Song ist.“

Seltsam von Feminismus zu hören, wenn man es mit einer sprichwörtlichen macho Rockband zu tun hat, die wegen ihrer Album-Cover des Sexismus bezichtigt wird. Cronin schiebt das auf den Artdirector und schließt eine Entschuldigung für diejenigen ein, die sich angegriffen fühlen. Die unbekleidete Frau auf dem HI-INFIDELITY-Cover würde jedoch einen Sinn ergeben, „denn schließlich ist es ja das, wonun es auf diesem Album geht.“

HI-INFIDELITY ist Kevins Lieblingsalbum. Er spielt es Zuhause „wie jedes andere“. Dies ist die eingängiste LP von allen, obwohl überraschenderweise sieben der zehn Titel Demo-Bänder sind, die REO hinterher- beim besten Willen einfach nicht mehr optimaler nachspielen konnten. „It’s hard to fuck a good song“, mein Kevin. Und ohne großes Studio-Bnmbonum laßt sich so ein Titel natürlich auch aufs beste live präsentieren.

REO Speedwagon sollten jetzt eigentlich durch die Bundesrepublik touren. Aber ihre US-Tournee ließ sich so erfolgreich an, daß sie noch um Wochen verlängert wurde. Und wen interessiert schon der lächerliche Abstand zwischen den Alpen und der Nordsee, wenn er gerade die Grenzen des amerikanischen Mittelwestens gesprengt hat!