Joachim Witt

Bayreuth I

Wenn die Welt gerecht wäre, dann würde das neue Joachim Witt-Album BAYREUTH I auf Rang 1 der Charts klettern und innerhalb von vier Wochen eine Million Stück verkaufen. Damit wäre Witt noch ein bißchen erfolgreicher als Rammstein mit SEHNSUCHT. Und so sollte es eigentlich sein-wenn SEHNSUCHT der Manta unter den einheimischen Hardcore-Platten ist, dann ist BAYREUTH I der Jaguar XS. Also: Auch nur ein Auto, aber eben mit stilsicherem Interieur, geschmeidiger Fahrweise, exklusiver Verchromung. Oder, um auf die Musik der zurückzukommen: Rammstein wie Witt berufen sich auf Industrial, Electro und Mystisches, textlich dreht sich alles um bedeutungsschwangere Romantik, wüsten Sex und Todessehnsucht. Doch während die Rammstein-Beats einfach nur wild knallen, sind sie bei Witt der Herzschlag einer sensiblen, deformierten Seele. Und während Rammstein-Verse häufig zum Mitgröhlen einladen, benötigt man bei BAYREUTH I das Textblatt, um deren Hintergründigkeit zu kapieren. Wie dem auch sei: Die Welt ist nicht gerecht. Und das bedeutet im Falle von Joachim Witt, daß aller Voraussicht nach auch BAYREUTH l.wie schon die letzten vier Alben des inzwischen 49jährigen Hamburgers, weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden wird. Denn Witt hatte das Pech, 1981 gleich mit seiner ersten Single „Der Goldene Reiter“ ein Superstar zu werden, dessen Popularität seither von Platte zu Platte kontinuierlich gesunken ist. Was absurd ist, denn der Hanseat wurde mit jeder Produktion besser-rhythmisch stets auf der Höhe der Zeit und ein provokanter Wortakrobat, der die schmale Gratwanderung zwischen Ironie, Sehnsucht, Exzeß und den sogenannten großen Gefühlen des Lebens genial meisterte. Auf BAYREUTH I. Witts erstem Album seit über fünf Jahren, ist der König nun definitiv am Gipfel seiner Schaffenskraft angekommen.