Rock am Ring


Auf den ersten Blick sieht man erst mal nichts Außergewöhnliches. Von außen betrachtet wirkt die schmucke Villa im Frankfurter Stadtteil Dornbusch wie der Sitz einer noblen Kanzlei. Auch eine Unternehmensberatung würde sich hier sicher wohl fühlen. Doch weit gefehlt – hier werden zwar auch Deals abgeschlossen, aber die passen so gar nicht zu den üblichen Geschäften, die in der Bankenmetropole Frankfurt sonst abgewickelt werden. „Dave Gahan ist eben bestätigt worden „. freut sich eine Mitarbeiterin. Wie bitte? Ein Blick auf die mit Tourpostern voll gehängten Wände macht endgültig klar: Hier dreht sich alles um Musik. Dave Gahan statt Dow-Jones, Disturbed statt DAX. Wir befinden uns in den Büroräumen der Konzertagentur Marek Lieberberg, Veranstalter des legendären Rock-am-Ring-Festivals. Deutschlands größtes Open-Air-Spektakel in Sachen Rockmusik findet in diesem Jahr bereits zum 17. Mal statt. Und so ziemlich alle sind sie am Nürburgring schon aufgetreten: U2, David Bowie, Westernhagen, Aerosmith, Grönemeyer, Bob Dylan, Robbie Williams, Pearl Jam, um nur ein paar der allergrößten Acts zu nennen. Begonnen hatte alles vor 18 Jahren: 1985 ging die erste Ausgabe von Rock am Ring über die Bühne, 75.000 Besucher feierten damals auf dem Nürburgring zwei Tage lang eine riesige Party. Wer dabei war, schwärmt heute noch davon, wie Bono von U2 das Dach der monströsen Doppelbühne erklomm und das Publikum aufforderte, sich an den Händen zu fassen und mit ihm „Give Peace A Chance“ zu singen. 16 Jahre nach dem Original hatte auch Deutschland sein ganz eigenes Woodstock. 49 Mark kostete das Ticket damals. Ursprünglich war das Festival als einmalige Angelegenheit geplant, doch schnell wurde klar, dass eine Wiederholung fällig war. Und so ging es 1986 in die zweite Runde. Ein Jahr darauf drohte das Festival im wahrsten Sinne des Wortes abzusaufen – sintflutartige Regenfälle hatten das Gelände am Nürburgring in eine gigantische Schlammgrube verwandelt. Mehr als 60.000 Zuschauer ließen sich jedoch davon nicht beeindrucken und bejubelten Größen wie David Bowie, die Eurythmics und Bob Geldof. 1988 schließlich soff das Festival dann doch ab. Schuld war nicht das Wetter, sondern die übermächtige Konkurrenz: Michael Jackson, Pink Floyd und Bruce Springsteen traten in Deutschland auf und ließen Rock am Ring mit seinem vergleichsweise schwachen Line-up (Chris Rea, Rainbirds, Fleetwood Mac) keine Chance. Gerade mal 30.000 Besucher fanden seinerzeit den Weg in die Eifel. Anschließend ruhte das Projekt Rock am Ring zwei Jahre lang; erst 1991 kam es zu einer Neuauflage. Seitdem ist das Mega-Event zur festen Größe im europäischen Festivalzirkus geworden. 1994 kam der Ableger Rock im Park (damals noch Rock in Riem) dazu, der erst in München, dann in Nürnberg stattfand. 1996 wurde der Rock ’n’Roll-Zirkus auf drei Tage ausgeweitet, hinzu kam eine zweite, kleinere Bühne in Form des Alternatents, die später zur Alternastage ausgeweitet wurde. 1998 integrierte man zusätzlich das House of Comedy, wo über die Jahre Spaßvögel wie Mundstuhl, Atze Schröder oder Oliver Kalkofe ihr Unwesen trieben, seit 1999 gibt es mit dem Talentforum eine vierte Bühne. Eines der legendärsten Festivals fand im Jahr 2000 statt, vor allem die Mischung derverschiedenen Stile machte die Millenniums-Ausgabe zum herausragenden Ereignis. Am ersten Tag spielten Bush, Oasis und Pearl Jam auf der Hauptbühne, am zweiten die Eurythmics, Santana und Sting, am dritten schließlich Korn, Rage Against The Machine und Die Toten Hosen. Im vergangenen Jahr jedoch waren einige Fans ein wenig enttäuscht: Das Line-up ließ einige Wünsche offen, was sich auch in den Zuschauerzahlen niederschlug, die unter denen der Vorjahre zurückblieben.

„Letzes Jahr war die Mischung nicht wirklich ausgegoren“, gibt Andre Lieberberg denn auch offen zu. Der 26-jährige Sohn von Veranstalter-Legende Marek Lieberberg zeichnet in diesem Jahr zum ersten Mal für das Programm von Rock am Ring verantwortlich. Zwar habe man im vergangenen Jahr versucht, die Chili Peppers zu holen, die aber wollten erst zu einem späteren Zeitpunkt nach Deutschland kommen. So fiel das Programm ein wenig einseitig aus. Vor allem das junge Publikum fühlte sich übergangen. „Künstler wie Santana oder Neil Young sprechen zu einem Großteil doch eher eine ältere Zielgruppe an, zum anderen sieht man sie sich lieber in einem anderen Rahmen an. Neil Young ist zwar ein Festivalakt der ersten Stunde, doch das Gros seiner Fans will nicht drei Tage lang im Schlamm zelten, um das Konzert zu sehen“, so Andre Lieberberg. Darum hat er versucht, diesmal ein Programm zusammenzustellen, das sich deutlicher an ein jüngeres Publikum wendet. Auch wenn er betont, dass es nicht darum gehe, „krampfhaft jung zu sein“.

So richtig gerissen hat sich Andre Lieberberg nicht um den stressigen Job. Nach seinem Kommunikationswissenschafts-Studium in London zog es ihn für ein paar Monate nach New York. Danach wollte er eigentlich nach Berlin, aber es kam anders. Und so bastelt er nun mit Hochdruck an seiner Version von Rock am Ring. Was nicht immer einfach ist: „Gerade die großen Acts taktieren natürlich, überziehen die Deadlines und wollen das musikalische Umfeld, in dem sie auftreten sollen, mitbestimmen. Da geht es permanent hin und her, das ist manchmal schon ein wenig zäh“, erzählt er schmunzelnd. Auf der anderen Seite hat er Verständnis für die harten’Verhandlungen: „Ist doch klar, dass jeder versucht, das Beste für sich herauszuholen.“ Bands wie Metallica, zusammen mit Iron Maiden und Linkin Park in diesem Jahr Headliner, haben da natürlich gute Argumente auf ihrer Seite – fast zeitgleich zu den Festivals soll ihr neues Album erscheinen, damit sind sie automatisch ein Thema und ziehen vermutlich jede Menge Leute an. Aber die „unzählen E-Mails und Telefonate“ sowie die endlosen Gagenverhandlungen können Andre Lieberberg nicht schrecken, er kennt das Geschäft.

Und auch die kleineren und größeren Macken der Stars nimmt er gelassen. So auch, als Liam Gallagher in den Umkleideraum marschierte und in seiner ganz eigenen Art meinte, dass es sich dabei ja wohl um eine Jookin‘ dump“, eine „verfickte Müllkippe“ also, handeln würde. Dabei hatte man im Vorfeld versucht, alles so angenehm wie möglich zu gestalten. „Gerade die Headliner bekommen alles, was sie sich wünschen. Sie haben die Möglichkeit, sich massieren zu lassen, sie bekommen eine Anlage, einen Fernseher, um ihnen die kurze Zeit, die sie im Dressingroom zubringen, so angenehm wie möglich zu gestalten.“ Es reichte nicht, Liam Gallagher war sauer, und so „wurden halt ein paar Pflanzen zerstört und gegen die Anlage getreten. Aber was soll man machen“, lacht Andre Lieberberg, „Oasis können sich ja nicht für so ein Festival plötzlich umstellen. Das wäre ja zu viel verlangt.“ Generell findet er, dass es „noch nie so bizarr war, dass es den Rahmen des Vorstellbaren gesprengt hätte“. Oder dass man gar eine Band wieder ausladen würde. Auch als Limp Bizkit mit 18 eigenen Security Guards anmarschierten, die jedes Aufnahmegerät von Journalisten, die sich auch nur in die Nähe der Band wagten, sofort konfiszierten und zerstörten, zeigte man bis zu einem gewissen Grad Verständnis: „Gerade amerikanische Bands sind oft ein wenig angespannt, wenn sie in Europa sind. Sie fühlen sich oft nicht so wohl, wissen, dass ihr Auftritt mitgeschnitten wird, dass so ein Festival eine relativ große Breitenwirkung hat.“ Aber auch mit Limp Bizkit ging am Ende alles glatt „die Hauptsache ist doch, dass sie ein geiles Konzert spielen“. Und dafür tut man hinter den Kulissen von Rock am Ring und Rock im Park wirklich alles. Da werden dann auf die Schnelle noch 50 Flaschen Jägermeister für eine Band herangekarrt. Oder ein spezieller Whiskey, den ein Künstler ganz dringend für sein persönliches Wohlbefinden benötigt… Wenn der dann nicht dasteht, ist das das Drama seines Lebens“, schmunzelt Andre Lieberberg. Und ergänzt: „Aber anders wäre es auch nicht so spannend und gäbe es diese ganzen Mythen um den Backstagebereich gar nicht.“ Auch wenn der so mythisch gar nicht ist. Auch Metallica, Iron Maiden, Marilyn Manson und Limp Bizkit werden in diesem Jahr über ihr Management wieder endlose Listen schicken, auf denen minutiös festgehalten ist, was die Herrschaften in ihren Garderoben hinter der Bühne vorzufinden wünschen.

Andere Bands hingegen wären froh, wenn sie überhaupt im Rahmen von Rock am Ring auftreten könnten und einen der raren Plätze im Talent-Forum ergattern würden. „Wir bekommen jede Woche zwischen 10 und 20 Anfragen“, erzählt Andre Lieberberg, „allerdings müssen wir den meisten absagen. „Um die 100 Bands spielen an den drei Tagen auf den drei Bühnen, und die sind schon jetzt fast ausnahmslos vergeben. Für Comedy ist diesmal überhaupt kein Platz das Comedy-Zelt wurde ersatzlos gestrichen, man will sich auf die Musik konzentrieren. Und auf das Wohl der Besucher. Die dürfen sich auf eine deutlich verbesserte Infrastruktur freuen, mehr Klos und Duschzelte sowie moderate Getränke- und Essenspreise. „Wir werden bereits im Vorfeld streng darauf achten, dass die Leute beim Essen nicht verarscht werden „, verspricht Andre Lieberberg. Beim musikalischen Programm kann schon jetzt nichts mehr schief gehen. Bleibt nur die Frage, ob denn auch der Vater mit dem Line-up zufrieden ist, das sein Sohn zusammengestellt hat. Andre lacht: „Ich glaube, dass es ihm gefällt.“ www.rock-am-ring.com