Rufus Wainwrights: Wie echt ist echt?


Ein Blick in Rufus Wainwrights entrückte Kunstwelt läßt uns versinken.

Es gibt eine These. Darüber, warum die Hemdsärmeligen, die Bodenständigen, die dezidiert Professionellen und die eifrig bemühten Verteidiger des Authentizitätsgedankens die vier triumphalen Alben RUFUS WAINWRIGHT, POSES, WANT ONE und WANT TWO von Rufus Wainwright nicht leiden können: Weil er das Leben nicht so beschreibt, wie es ist, sondern so, wie es sein sollte. Weil Rufus Wainwright, der 31jährige Sohn von Loudon Wainwright III und Kate McGarrigle, das Erhebende, das Größenwahnsinnige und das Pompöse feiert und dabei auch den Kitsch und die Travestie rehabilitiert. Weil er in einer Kunstwelt lebt, einer von vielen möglichen Wellen, in der die Liebe töricht sein darf und die Schlagzeile der New York Times jeden Morgen „Life’s beautiful!“ lautet. Weil er eitel, narzißtisch, bildschön, aufgeblasen und verschlagen ist und die Neider das alles lieber selbst sein würden.

Zu Hause in New York hört Wainwright nicht selten seine eigenen Platten, sein Label hat er einmal angelogen, weil es Zeit für eine neue Lüge war und er einfach Lust darauf hatte: Als WANT ONE veröffentlicht werden sollte, meldete Rufus, er habe auch .

schon WANT TWO fertiggestellt, es müsse also ein Doppelalbum her. Als die Labelbosse es dennoch erst einmal bei WANT ONE beließen, gab sich Rufus Wainwright schelmisch: Die WANT TWO-Stückc seien ehrlich gesagt ohnehin erst halbfertig gewesen. Den Kunstlehrer, in den sich all die jungen Dinger verlieben und den Rufus im herzzerreißenden Stück „The An Teacher“ besingt, hat er übrigens Q im Fitnesstudio persönlich kennengelernt. Das Gesamtwerk des Sängers, Schauspielers (Cameo-Auftritte in „Aviator“, „Moulin Rouge“ usw.) und Fotomodells sagt uns nicht nur eine Menge über Liebe und Tod, sondern verdeutlicht auch einmal mehr, wie unwesentlich es ist, wann und wo die Grenzen zwischen Realität und Phantasie, zwischen fixer Idee und Wahnsinn verschwimmen.

„Old Whore’s Diet“, der Abschluß deines neuen Albums WANT TWO, ist sicher eines der verschwenderischsten und luxuriösesten Stücke, die man in den letzten Jahren gehört hat. Inwieweit ist ein wirklich dekadentes Leben heutzutage eigentlich noch möglich?

RUFUS WAINWRIGHT: Nun,ich habe in der Vergangenheit ein sehr dekadentes „Leben geführt. Im Moment nicht mehr, denn leider lief die Dekadenz bei mir nur noch darauf hinaus, Sex mit Fremden zu haben und ziemlich harte Drogen zu nehmen. Unglücklicherweise leben wir ja auch im Post-AIDS-Zeitalter, das schränkt vieles ein. Schon mit 14, als ich andauernd in die Oper gegangen hin und bereits wußte, daß ich schwul bin, dachte ich, daßich einmal an dieser Krankheit krepieren müsse.

Es ist wohltuend, daß deine Homosexualität und vor allem die oft dümmlichen Klischees, die damit verbunden sind, nicht dauernd zentrales Thema sind, wenn man etwas über dich liest. Hast du dafür eine bestimmte Strategie angewandt?

Ich ging einfach total ehrlich damit um, von Anfang an. Als ich meinen ersten Plattenvertrag unterschrieb, habe ich gesagt: „Ich gehe keinerlei Kompromisse bezüglich meiner Sexualität ein. Ich bin schwul, und das wird sich vermutlich auch nicht mehr ändern. Also nehmt mich unter Vertmg oder laßt es bleiben!“

Den Song „Memphis Skyline“ hast du für Jeff Bucktey geschrieben, der 1997 im Mississippi ertrunken ist. Welche Beziehung hattest du zu Jeff?

Ich habe ihn nur einmal getroffen, aber dieses eine Mal war sehr wichtig für uns beide. Ich trat in einem kleinen, billigen Club in New York auf, und der Sound war erbärmlich. Mitten im Song stand jemand im Publikum auf, setzte sich auf die Bühne und fummelte am Verstärker rum – das war Jeff Buckley. Er blieb den ganzen Auftritt dort sitzen und versuchte, den Sound zu verbessern (lacht). Ich habe Jeff Buckley immer gehaßt. Ich war neidisch auf seine Karriere, auf die ganze Atmosphäre, die in seinen Liedern steckte, ich hielt das alles für Betrug. Es war unheimlich, irgendwie wollte ich sogar, dalä er stirbt. Als ich ihn dann traf, wurde mir schlagartig klar, wie albern und nutzlos es ist, einen anderen Künstler zu hassen, wenn es doch so viele andere Menschen auf der Welt gibt, die man eher hassen sollte. Wir haben die ganze Nacht geredet und unsgroKartig verstanden. Drei Monate später war er tot.

Diese Lücke, die Jeff Buckley hinterließ, wurde in all den Jahren nicht mehr geschlossen. Gibt es dennoch andere Songwriter jüngeren Datums, die du aufrichtig bewunderst?

Tatsächlich denke ich, daß meine Schwester Martha ein größerer Rockstar werden wird, als ich es bislang geworden bin (lacht). Sie hat gerade eine Platte herausgebracht, die ganz wunderbar ist. Ihr bekanntester Song heißt „Bloody Mother Fucking Asshole“.

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