Sarah Kuttner – Die Kolumne


Ich ziehe gerade um. Ja, man muß auch mal den Mut aufbringen, eine Kolumne mit einem Satz von so niederstreckender Schlagkraft anzufangen. Den Rezipienten mitten hineinstoßen ins Epizentrum des alltäglichen Schreckens. Wer schreibt, daß er gerade umzieht, kann sich sicher sein, vor dem inneren Auge des Lesers sofort dessen gesamtes Gruselrepertoire an persönlichen Umzugserinnerungen abzuspulen: im Treppenhaus platzende Kartons, nicht durch die Tür passende Oppenheim-Flügel, tagelange Rückenschmerzen und wieder nur zwei verweichlichte Belle-&-Sebastian-Freundinnen. die sich bereit erklären, beim Tragen zu helfen.

Mein akutes Umzugsproblem ist, daß sich keiner, wirklich niemand aus meinem Freundeskreis bereit erklären möchte, mit anzupacken. Hauptausrede neben fiesen Sommergrippen und familiären Verpflichtungen: Festivals. Wer schon immer mal meinen Freundeskreis treffen wollte, der sollte also auf irgendein Festival gehen, da sind die alle.

Mir hat sich das mit den Festivals nie so ganz erschlossen. Blödsinn, es hat sich mir überhaupt nicht erschlossen. Zum einen finde ich Konzerte an sich problematisch. Zwei, drei Songs höre ich mir gerne an; von Bands, die ich wirklich mag, darf es auch ein ganzes Konzert sein. Aber an drei Tagen 327 Bands hintereinander (von denen eine im schlimmsten Fall auch noch Sigur Rös oder Die Toten Hosen heißt)? Außerdem sehe ich nie was (ich bin nur 1,59 m groß, größer zwar als Keith Caputo und Angus Young, trotzdem wirke ich neben jedem durchschnittlichen Umzugskarton eher klein). Nur wenn ich auf dem Gelände ganz nach hinten gehe, sehe ich was, allerdings sehe ich dann eben nur von ganz hinten was. Hm.

Besonders wenig anheimelnd fand ich es dieses Jahr bei Rock am Ring. Zwar war mir arbeitsbedingt ein Backstage-Aufenthalt vergönnt, allerdings muß ganz klar ausgesprochen werden, daß Backstage-Aufenthalte bei Festivals überschätzt werden. Man erwartet, hinter Festivalbühnen exzessive Rock-Exzesse zu sehen; ich dachte, daß da vielleicht Marilyn Manson von Ozzy Osbourne huckepack über einen Teppich aus nackt auf dem Boden liegenden Feuerwehrfrauen getragen wird oder so. In erster Linie aber sieht man Roadies, die im Büffet rumstochern. Ein Freund erzählt noch heute mit leuchtenden Augen, daß er mal auf einem Festival beobachten durfte, wie Nick Cave eine Bratwurst aß. Zugegeben: Wem es bei der Erzählung nicht heißkalt den Rücken runterläuft, der muß anstelle eines Herzens einen Umzugskarton haben, aberso glamouröse Erlebnisse sind die Ausnahme. Zudem war ich ausgerechnet an dem Tag da, den zartbesaitete Mädchenjungs respektvoll als „den Metal-Tag“ bezeichnen. Slayer und so. Versteht mich nicht falsch: Ich stehe dem Schaffen der Slayer-Gentlemen äußerst respektvoll gegenüber. Aber ich muß nicht zwingend ihren Roadies beim Kartoffelsalatessen zugucken. Darüber hinaus empfinde ich organisiertes Festivalgängertum, wie es bei Rock am Ring anzutreffen ist, als äußerst spießig. Leute, die seit zehn Jahren „zum Ring“ fahren („einfach um mal rauszukommen‘), dort Wagenburgen errichten und in der Mitte ihrer Grillstätte einen Fernseher auf dem Bierkasten parken, sind nichts weiter als junge Schrebergärtner, in Rock gemeißelt. Auf der anderen Seite verdienen sich Jungschrebergärtner und Tote Hosen gegenseitig, so ist es doch wieder eine runde Sache, Rock am Ring eben.

Ich muß jetzt schließen, um zu guter Letzt auch meine Schreibmaschine in einem Umzugskarton zu versenken. Sollte es im nächsten Heft keinen Text geben, hat wohl das Umzugsunternehmen den Karton mit der Schreibmaschine verbummelt. Im selben Karton ist nämlich auch mein Notizbuch mit der Aufschrift „Gute Ideen und extrem wichtige Notizen“…