Shakespeares „Tempest“ als Trip


Mit seiner Utopie „Jubilee“ hatte Regisseur Derek Jarman zum silbernen Regierungsjubiläum der britischen Queen ein höchst gelungenes Anti-Präsent fabriziert. Toyah Willcox, eine seiner Hauptdarstellerinnen, brachte es zu kurzzeitigem Ruhm als Kultfigur auf der Londoner Punkszene, ehe sie wieder für Jarmans aktuelle Produktion „The Tempest“ vor der Kamera stand; einer bizarren Filmfassung des gleichnamigen Schauspiels von William Shakespeare Nichts ist langweiliger im Kino als eine buchstabengetreue Literarurverfilmung. Wenn Laurence Olivier in der Rolle des Shakespeareschen Dänenprinzen an des Gedankens Blase kränkelt, sich Omar Sharif als Doktor Schiwago echauffiert, oder Louis de Funes als Geizkragen durch eine Moliere-Verfilmung plappert, dann sind dies die Leistungen von Literaten, nicht von Regisseuren, von Szenearisten, nicht von Filmemachern.

Denn Film ist Film und hat bekanntlich seine eigenen dramaturgischen Gesetze. Niemand wüßte das besser als der englische Maler, Bühnenbildner und Regisseur Derek Jarman, der sein Kino-Handwerk als Dekorateur bei Ken Russell lernte, der mit seinem ersten Film – dem Schwulen-Epos „Sebastiane“ – die gängige Moral des britischen Kinos verhöhnte und mit seinem zweiten Film „Jubilee der Kultur des Abendlandes einen Grabstein setzte.

Nun kommt Derek Jarmans dritter Streifen „The Tempest“ ins Kino: Eine Verfilmung des gleichnamigen Schauspiels von William Shakespeare, jedoch, gottseidank, keine antiquierte Bühnen-Nachstellung.

Die Story: Bunt, bizarr, ein Märchen über die Wechselbeziehung zwischen Natur und Kunst, ein magischer Spiegel über menschliche Dummheit und Bosheit, ein gescheites Nachdenken über Macht und Verantwortung. Ort und Zeit: Gibt es nicht. Die Verse des elisabethanischen Theaters vor abstrakter und blaustichiger Küstenlandschaft, Schauspieler in Phantasie-Kostümen. Die Ausstattung: Ein Konglomerat verschiedener Stile. Die Schauspieler: Ein Dichter, eine New WaveSängerin, Tänzer, Komiker, Mimen abseits konventinoneller Bühnendarstellung. „Wir empfanden uns als eine Gruppe von Schiffbrüchigen in Zeit und Raum“, sagt Regisseur Jarman, auf die Geschichte seines Films anspielend.

Worum es geht? Prospero, einst Herzog von Mailand, vom eigenen Bruder entmachtet und mit seiner Tochter auf einer unbekannten Insel ausgesetzt, ist dank Zauberkunststückchen Herr über dieses winzige Stückchen Land. Ihm dienen der melancholische Engel Ariel und ein monströser Geist mit Namen Caliban. Als Prosperos Widersacher ihrerseits eines Tages am Ufer der Insel stranden, wird Prospero Gelegenheit zur Vergeltung und zur positiven Änderung des eigenen Schicksals gegeben.

In Derek Jarmans verwunschenem MärchenMAGAZINschloß findet sich das Häufchen versprengter Menschen zu einem Mikrokosmos menschlicher Eigenschaften ein: Der Herzog, der Kunst der Magie zugetan, dem Dichter Shakespeare ähnelnd und von einem wirklichen Schriftsteller – Heathcote Williams – dargestellt; seine Tochter Miranda, von Toyah Willcox als lebendiges Wesen von Fleisch und Blut – statt, wie sonst üblich, als pure Unschuld – vorgeführt; der freiheitsliebende Engel Ariel (Karl Johnson) in der Tradition trauriger Clowns angelegt; dessen böser, sehr irdischer Sohn Caliban – eine hinreißende Rolle für den ebenso diabolischen wie schalkhaften und blinden Schauspieler Orlando (der schon den Borgia Ginz in Jarmans Film „Jubilee“ spielte); machtbesessene, pharisäerhafte oder intrigante Höflinge, Priester und ihre Bediensteten.

Jahrmans Inszenierung: Eine lange Serie von Verrücktheiten, exzentrischer Träume und Visionen von Vergangenheit und Zukunft. Wie Jarman das irre Trio Caliban/Schiffskoch/-Schiffsjunge und, an anderer Stelle, den Zug der Höflinge durch die unwirklichen Inseldünen schickt, die schöne Toyah wie eine kostbare‘ Puppe und nicht von dieser Welt verzückt auf einem Holzpferd durch Stoneligh Abbey reiten und Caliban, rohe Eier schlürfend, mit irrem Lachen durch das Schloß geistern läßt – das alles ist nicht inszeniert sondern cAoreograliert, ein Panoptikum skurriler Figuren, Puppen, Schatten, lebender Kostüme, mit Mengen von Konfetti zu neuem Leben erweckt. Zum schönen Ende bricht sich auch noch das Musical Bahn – die Revue-Sängerin Elizabeth Welch steigt als Liebesgöttin aus den Kulissen ihrer Broadway-Shows herab in diesen Film und singt zum herzzerreißenden Schluß ihren berühmten 30er-Jahre-Song „Stormy Weather“. So gehen, wie im Stück die Magie und das Leben, in diesem Film die Dichtung un;i die Inszenierung eine seltene Allianz von poetischem Zauber und kinematographischer Raffinesse ein. Im Sturm von „Tempest“ verbrüdern sich William Shakespeare und Derek Jarman, als wäre der Sprung über die Jahrhunderte nichts weiter als der flinke Blick in Prosperos Zauberkugel.