Sheryl Crow


Ihr Debüt 'Tuesday Night Music Club' war innerhalb kurzer Zeit zum Platin-Album mutiert. Alle Welt summte 'All I Wanna Do'. Von da an war die Welt nicht mehr in Ordnung. Ihr Ordnung. Ihr neues Album hat sie jetzt selbst produziert. Auf dem Weg zum nächsten Platin traf sie im tiefsten amerikanischen Mittelwesten auf Helmut Werb.

Springfield, Illinois, State Fair. Landwirtschaftsschau und Kirmes aufm Acker vor der Stadt. Hierher kommen einmal im Jahr die Farmer mit ihren Frauen, Kindern, Hühnern und Tomaten. Hier sagen die Leute tatsächlich noch „Gosh Golly“ und „Dangit“, wenn sie eigentlich „Verdammte Scheiße!“ meinen, nachdem sie in dieselbe getreten sind. Hier heißen die Frauen Jennie, und die Männer Bob, und wenn’s hoch hergeht am Freitagabend, wird im Saloon schon mal eint; Remy mit Cola bestellt. Man gönnt sich ja; sonst nix auf amerikanisch. Bob Dole ist| ein hochgeachteter Mann hier in Springfield, Illinois, der Heimatstadt von Abraham Lincoln.

Welcome to Middle America. Hier auf dem Kirmesgelände – zwischen preisgekrönten Kühen und Kürbissen, zwischen den Beach Boys gestern und den Country Boys Brooks & Dünn morgen – hier gibt Sheryl Crow heute abend ein Konzert. „Sheryl Who?“ sagt der Taxifaharer, nie was von gehört. Brooks & Dunn okay, Beach Boys, na klar. Aber Sheryl?

Das soll sich nun ändern. Sheryl Crow beackert das amerikanische Heartland auf primierenden Texten Sheryl Crows von zerstörten Träumen und enttäuschten Hoffnungen.

Oder vielleicht erst recht. Denn es ist fast ironisch. Da singt die Unschuld vom Lande, die es im Sündenpfuhl von Hollywood geschafft hat, über die traurigen Schicksale derer, die ihr zujubeln. Und die wollen nur zu den lustigen Rhythmen tanzen und fröhlich den Refrain vom vergewaltigten Mädchen mitträllern. Als wenn sie gar nicht verstehen würden, was das Girlie in den knallengen Hosen da auf der Bühne meint.

Sheryl und ihrer neuen Band ist’s egal, so scheint es. Sie spielen sich die Seele aus dem Leib, und man glaubt der jungen Frau aus dem Nachbarstaat Missouri („Missuh-Rah“, wie sie’s selber korrekt ausspricht), daß sie all die Geschichten, die sie da aus sich rausschreit, selber erlebt hat: die Leidenswege von Ausreißerinnen, von gefallenen Superstars, von geprügelten Freundinnen und von gelangweilten Möchte-Gern-Musikerinnen, die ihr Leben mittels einer Autowaschstraße analysieren. Aber, so sagt Sheryl, das ist ja gar nicht so. Einiges wohl schon.

Hotelzimmer in Springfield, III.. Sheryl Crow kämpft mit dem Plastikverschluß einer kleinen Evian-Flasche. Eigentlich paßt sie nicht in den Mittelwesten, wie sie so da sitzt, in einer eleganten, durchsichtigen (Wow!) Glitzerbluse, und einer hautengen dunklen Hose. Sie hat sich eine neue Frisur zugelegt. Die langen Locken sind weg, die Haare – und ihr Make-Up – dem neuesten Stil aus Los Angeles angepaßt (ihrer Wahlheimat seit zehn Jahren). Schulterlange blonde Strähnen, Mittelscheitel, Typ ‚Moderne Schlampe‘ oder so. Ihr selbstgewähltes Image clasht seltsam mit der Szene auf der Bauernschau. So ist kein Mädchen aus Missouri oder Illinois, Melrose Avenue eher. Sie ist klein, unsere Sheryl, und fast ein bißchen dünn. Sehr freundlich, nett geradezu, gar nicht so ‚Glamour‘, wie sie sich heute der Öffentlichkeit zeigt, sondern eher der Typ der netten Nachbarin, bei der man nach einer Tasse Zucker fragen kann, oder ob sie mal die Katzen hüten könnte. Sie würde glatt ja sagen, so wie sie da sitzt.

„Ich finde jeden Tag Geschichten für meine Songs. Die Idee für ‚Change‘ zum Beispiel basiert auf einem Artikel in einer Zeitschrift. Es ist die Story eines englischen Produzenten in den 6oer Jahren, der Lo-Fi erfand, indem er Bands einfach in seinem Appartment aufnahm. Dieser Mann revolutionierte damals die Aufnahmetechnik und wurde sehr erfolgreich. Dann brachte er sich um.“

Keine unbedingt positive Weltanschauung, oder? Sheryls Songs haben einen dunklen, fast makabren Unterton. Was in ihrem Erfolgsalbum ‚Tuesday Night Music Club‘ nur leicht durchschien – schwarzer, sarkastischer Humor – bricht in der neuen CD ‚Sheryl Crow‘ voll durch, verwandelt sich in ausgewachsenen Zynismus, in eine seltsam düstere Sichtweise der Welt. In ‚Maybe Angels‘ singt sie von Verlierern, deren letzte Hoffnung der Glaube an Außerirdische ist. In ‚Sweet Rosalynn‘ beschreibt sie die miesen Tricks amerikanischer TV-Prediger, ihr Country orientierter Song ‚Redemption Day‘ wurde von ihren Erfahrungen nach einem Besuch in Bosnien beeinflußt.

Ist die Welt der Crow denn wirklich von Grund auf Böse? Und wenn jemand mal erfolgreich ist wie eben in ‚Change‘ – muß das gleichbedeutend sein mit einem Todesurteil?

„Ich weiß es nicht. Ich bin eigentlich kein zynischer Mensch. Aber ich kann mich nicht selber analysieren, denn dann könnte ich nicht mehr spontan schreiben. Natürlich sind die Personen, über die ich schreibe, davon geprägt, wie ich die Welt sehe. Aber du mußt unterscheiden zwischen dem Song und dem, der ihn schreibt. In einem Punkt hast du recht. Ich bin nicht mehr so gutgläubig und offen wie noch vor einem Jahr. Irgendwie habe ich meine Unschuld verloren.“

Was ist passiert?

„Ich hatte mir alles anders vorgestellt. Berühmt zu sein, und so. Es ist soviel passiert in den letzten Jahren, und nicht alles war positiv. Ich mußte einige harte Lektionen über das Musikgeschäft lernen. Nach der Michael Jackson-Tour hatte sich meine Welt dramatisch verändert.“

Sheryl hatte vor einigen Jahren als Back-Up Sängerin für Michael Jackson gearbeitet. Laut Presseberichten bot der damalige Jackson-Manager Frank DiLeo Sheryl an, ihre Karriere zu fördern, wenn sie sich sexuell etwas williger zeigen würde. Eine Erfahrung, aus der Sheryl nie ein Geheimnis machte, und die sie im ‚Na Na Song‘ auf ihrem Debut-Album verarbeitete.

Nach dieser Erfahrung mit den Realitäten des MusicBusiness fiel Sheryl Crow in tiefe Depressionen. Sechs Monate lang, so hörte man, bewegte sie sich nicht mehr aus ihrem Haus.

„Ich litt mein ganzes Leben lang unter Depressionen. Wie ich später erfuhr, ist das in meinem Fall erblich. Als Kind wurde ich im Glauben groß gezogen, daß Depressionen so etwas sind wie schlechte Launen, etwas, das man in der Familie oder in der Kirche bewältigen kann. Als ich nach Los Angeles zog, ging ich zur Therapie. Aber damals glaubte ich noch an die alte Mär von Verhaltensstörungen. Bis ein Arzt festellte, daß meine Depressionen eine Krankheit sind, die vererbbar ist, und die medikamentös behandelt werden können. Seitdem geht es mir besser.“

Die Presse war nicht immer sehr freundlich mit dir umgegangen.

Sind solche Geschichten nicht der Preis, den man zahlen muß für den Reichtum und den Ruhm?

„Keine Ahnung. Ich hatte einfach die Schnauze voll davon. Für die letzte Platte gab ich jedem Interviews, der gewillt war, sich fünf Minuten mit mir hinzusetzen. Am Ende war ich total ausgebrannt. Vielleicht kommt dieses Gefühl nun in meinen Songs durch. Vielleicht bin ich auch nur vorsichtiger geworden.“

Es half auch nicht, daß sich die Mitglieder des ‚Tuesday Night Music‘ nach dem Erfolg nicht besonders nett verhielten.

„Am Anfang war alles okay. Ich wurde zu Sessions eingeladen, weil ich Songs schreiben konnte, und vor allem weil ich einen Plattenvertrag hatte.“

David Baerwald und Kevin Gilbert, die Begründer des ‚Tuesday Night Music Club‘ hatten später behauptet, Sheryls musikalische Talente seien – sagen wir mal – eher bescheiden. Bei den Aufnahmen zu der Scheibe sei sie oft nicht einmal dabei gewesen.

„Ja, das hat mich schon sehr verletzt. Natürlich ist das Blödsinn, was von Gilbert oder Baerwald in der Presse gesagt wurde. Es waren genug Leute dabei, die das Gegenteil beweisen könnten. Der ‚Tuesday Night Music Club‘ fiel nach nur vier Jam-Sessions auseinander. Und je erfolgreicher das Album wurde, desto mehr brachen die Karrieren der Jungs in sich zusammen. Da kam Bitterkeit hoch, obwohl ich mich eigentlich sehr fair ihnen gegenüber verhalten hatte. Ich hatte sie immer nur als brillante Musiker bezeichnet.“

Die Beschuldigungen wurden sehr persönlich. Baerwald behauptete, er sei auch finanziell betrogen worden…

Warum nimmt man als Künstler denn solche Schmerzen und Enttäuschungen auf sich? Warum machst du es denn überhaupt?

„Warum hat Madonna den Wunsch, daß die ganze Welt sie gut findet? Jeder Performer hat dieses beschissene Bedürfnis, von der Öffentlichkeit anerkannt zu werden, sonst könntest du nicht den ganzen Scheiß auf dich nehmen. Aber im Grunde kannst du nicht analysieren, warum du etwas tust, warum manche Menschen erfolgreich sind, und andere nicht.“

Trotzdem – warum will Sheryl Crow im Rampenlicht stehen, mit all den Vor- und Nachteilen?

„Warum mache ich das? Weil ich immer noch davon träume, DEN Song zu schreiben. Weil es Momente gibt, in denen man genau das singt, was man fühlt und das den Zuschauern übermitteln kann. Dieser Augenblick, wenn du eins bist mit deinem Publikum und deiner Musik, das ist wie eine Droge.“

Berühmtsein als Droge?

„Jeder Auftritt bringt mich zu einem High, dann – nur dann – fühle ich mich als eine vollkommene Persönlichkeit. Es ist wie Heroin, und du versuchst ständig, dieses High wieder zu bekommen.“

Auch mit Entzugserscheinungen?

„Ja. Wenn ich von einer Tour zurückkomme, bin ich tagelang vollkommen desorientiert. Für zwei Stunden jede Nacht hast du die Möglichkeit auszuflippen, Energien in unglaublicher Menge zu entfalten. Wenn du dann nach Hause kommst, ist dir deine eigene, ganz persönliche Umgebung total fremd. Ich kann das nicht, aus dem Bus zu steigen, und sagen, ‚Honey, l’m Home‘, und total umzuschalten. Ich falle immer in ein tiefes Loch. Ich brauche immer einige Tage, um das Gefühl loszuwerden, ich müßte jetzt unbedingt etwas tun.“

Hast du früher davon geträumt, ein Superstar zu werden?

„Meine Träume waren immer schwarzweiß. Sie kamen von Schwarzweißfotos in Musikzeitschriften. Ich war süchtig nach jedem neuen Heft, nach diesen Geschichten. Geschichten über Bob Dylan vor zweitausend Leuten, und von Fleetwood Mac, die in einem Tourbus in die Stadt fahren, um ein Konzert zu geben. Ich habe das damals schon gelebt. Das war Musik für mich.“

Aber dann wurde es doch anders?

„Es ist alles zum Geschäft geworden. Du fragst dich, soll ich da auftreten, oder dort? Was bringt mehr Geld? Was ist besser für deine Karriere? Wieviel Platten verkaufst du? Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist, ich weiß nur, daß es ganz weit weg ist von diesen alten Schwarzweißfotos. Ich muß mich immer wieder selbst daran erinnern, daß ich mit etwas Geld verdiene, das ich nicht nur gerne mache, sondern das das Einzige ist, was ich wirklich gut kann.“

Wovon träumst du letzt?

„Davon wegzukommen.“

Ist das nicht paradox?

„Komisch, nicht? In Bosnien trat ich vor den NATO-Truppen auf, in einem ziemlich kleinen Rahmen – und für einen kurzen Augenblick hatte ich endlich das Gefühl, einer der Troubadoure zu sein, die ich in diesen alten Zeitschriften bewundert habe. Ich will weg von dem ganzen Hype, ich will in kleinen Clubs auftreten, nur mit einer Gitarre. Ich will alles viel, viel kleiner, viel ehrlicher.“

Warum sollte das nicht gehen? Ein Künstler in deiner Situation sollte doch bestimmen können.

„Eigentlich sollte ich wirklich in der Lage sein, sowas entscheiden zu können. Man vergißt, daß sowas möglich ist, weil die Wirklichkeit so aussieht: du hast einen Tourplan, Zeit im Studio gebucht, Musiker zu bezahlen. Alles ist im Voraus festgelegt, es besteht kein Freiraum mehr.“

Vielleicht in ein paar Jahren? Wo siehst du dich selbst in 15 Jahren?

„In 15 Jahren will ich einen Set voller wirklich guter Songs zusammen haben. Schau dir Bob Dylan an. Der Mann hat einen riesigen Katalog von super Songs. Der braucht kein Programm auf die Beine zu stellen, das er mit Material auffüllen muß, das seinen Ansprüchen nicht genügt. Davon bin ich jetzt noch weit entfernt, aber irgendwann einmal möchte ich keinen flachen Song mehr singen müssen.“

Hat Sheryl Crow auch ganz persönliche Träume?

„Klar! Ich komme aus einer sehr einfachen Familie mit vier Kindern. Ich bin auf dem Land groß geworden. Meine Eltern sind nach über vierzig Jahren Ehe immer noch zusammen und glücklich. Ich träume davon, von einfachen Dingen, von einem glücklichen Familienleben mit Kindergeburtstagen, von Ferien mit meinen Eltern und Geschwistern an irgendeinem kleinen Badesee in Missouri.“

Vielleicht erklärt die Sehnsucht nach dieser heilen Welt Missouris Sheryls düstere Sehweise der Wirklichkeit. Vielleicht sind die Gutgläubigen der Welt am Ende am anfälligsten für Zynismus? Sie will es versuchen, sie will sich ihre heile Welt wenigstens im engsten Kreis erhalten.

Ohne dessen Bindung an die sogenannte Traumstadt würde sie vielleicht wieder zurück aufs Land gehen? Vielleicht eine Farm kaufen, Kürbisse ziehen ? Hühner füttern ?

„Vielleicht irgendwann einmal. Immerhin haben wir uns in Los Angeles immer noch kein Haus gekauft, sondern wohnen in Miete. Aber für mich ist das alles nicht mehr so einfach. Auch das Kinderkriegen nicht. Stell dir vor, du bist Mutter von vier Kindern und gehst sechs Monate auf Tournee. Wie machst du das? Ich würde versuchen, mein Kind mitzunehmen, was auch heißen würde, daß mein Mann mitkommen müßte.

Unsere Prioritäten müßten neu geordnet werden. Männer haben es da leichter. Für sie ist es einfacher, Familie mit einer Karriere als Musiker zu verbinden.“

Würdest du etwas anders machen, wenn du nochmal anfangen könntest?

„Nein, eigentlich nicht. Trotz allem bin ich doch ziemlich zufrieden. Nur meine Haare würde ich jetzt nicht mehr blond färben.“