Kritik

„Special – Ein besonderes Leben“ ist die beste Netflix-Serie seit langer Zeit


Endlich einmal eine Serie über das Leben mit Behinderung, ganz ohne diesen komplett problembehafteten Ansatz und traurig-düsteren Überzug.

Seit dem 12. April ploppt bei Netflix immer wieder das Vorschaubild eines Mannes mit breitem Grinsen, Doppelkinn und Brille auf. Es sieht aus wie ein Schnappschuss, kein Foto, das man normalerweise als Titelbild nimmt. Dazu die an Comic Sans erinnernde Schrift, die erklärt, dass es um nichts Normales gehe – hier ist alles „Special“. Was zunächst Gedanken an Trashiges von Adam Sandler aufkommen lässt, lohnt sich beim Klick auf den Inhalt umso mehr. Denn die US-Serie „Special – Ein besonderes Leben“ ist das Beste, was Netflix seit längerer Zeit ins Programm genommen hat. Sie erinnert an „Please Like Me“–  und ist doch ganz anders. Die achtteilige Serie hat aufgrund ihrer lakonischen Leichtigkeit einen hohen Suchtfaktor. Dabei sind die Folgen gerade mal jeweils 15 Minuten kurz.

Lieber lügen als die Wahrheit herumzuposaunen

Ryan O’Connell ist der Hauptdarsteller der Serie „Special – Ein besonderes Leben“, in der er sich Ryan Hayes nennt. Die von ihm geschriebene und produzierte semi-biografische Show erzählt von seinem Leben mit Behinderung. Durch seine Zerebralparese wirkt ein Teil seines Körpers ständig schlapp. Er läuft x-beinig, die Hände zusammengekrampft, die Brillengläser sind sehr breit und er trägt immer nur Schuhe, bei denen es keine Schnürsenkel zu verknoten gibt. Neuen Leuten seine Beeinträchtigungen in Tweet-Länge zu erklären, gehört sicher nicht zu seinen liebsten Tätigkeiten.

Nachdem O’Connell/Hayes von einem Auto angefahren wurde und kurzzeitig ins Krankenhaus muss, sieht er darin eine Chance. In der Serie und im wahren Leben erzählt er fortan jedem, dass beispielsweise seine Art zu gehen auf den Autounfall zurückzuführen ist. Klingt nachvollziehbar und ist eine Entlastung an der Erklärungsfront für Ryan.

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Die Lüge legt der mittlerweile 32-Jährige im echten Leben erst mit seinen 2015 erschienenen Memoiren „I’m Special: And Other Lies We Tell Ourselves“ offen. In den acht Episoden geht er nicht den gleichen Weg. Aber da ist er auch kein Buchautor und Texter für TV-Shows (O’Connell schrieb zuvor u.a. für „Will & Grace“ und „Awkward – Mein sogenanntes Leben“).

In „Special – Ein besonderes Leben“ tritt er sein erstes Praktikum bei einem Onlinemagazin an, bei dem Klicks, Selbstzweifel und öffentliche Ausbeutung mehr zählen als Empathie und gegenseitige Unterstützung. Aus diesem Setting zieht die Serie ihren Humor. Uns wird ein Twentysomething präsentiert, der keinen Bock auf Opferrolle und zuhause mit Mama herumhocken hat. Es geht um das Finden einer Identität, fernab von dem, was einen von klein auf begleitet. Ryan will virale Hits texten und er will gesehen werden. Auch als schwuler Mann. Dank seiner Kollegin Kim (Punam Patel) – dem Paradebeispiel eines Millennials – geht er mehr und mehr aus sich heraus, datet, hat Sex.

Thank god, keine Überdramatisierung

Die Entwicklungen in Ryans Leben sind nicht in einer Dramatik à la „Girls“, „Atypical“ oder jeder anderen Serie dargestellt, die sich genau aus dieser Dynamik des Überdenkens nährt. Die Veränderungen passieren einfach, weil er so weit ist. Wir müssen deshalb nicht zuschauen, wie Ryan allein und mit Freunden immer wieder das gleiche Thema durchkaut, hadert und dann doch wieder einen Rückzieher macht. Ein unnötiges Aufbauschen fällt weg, was aber nicht bedeutet, dass erst gar keine Probleme vorhanden wären. Ryans Struggle ist so was von real, nur will er eben deshalb nicht gleich für immer in die Opferschublade gepackt werden. Schwarzer Humor funktioniert für ihn viel besser.

Neben den alltäglichen Problemen gibt es jede Menge Reibungspotential zwischen Ryan und seiner alleinerziehenden Mutter. Auf beiden Seiten werden immer wieder derart viele Grenzen überschritten, dass der große Knall zwischen Mutter und Sohn vorprogrammiert scheint. Diese Erzählweise gibt so viel her, dass man davon ausgehen kann, es könnten problemlos weitere Staffeln geschrieben werden.

Fazit: Entertainment, aber nachhaltig gut

Es ist angenehm einem selbstbewussten Protagonisten zu folgen, der sich auch mal traut, über das zu schreiben, was ihn bewegt. Da muss keiner betteln und er muss auch keinen langen Erkenntnisprozess haben. Und beim Dating darf er ein egoistischer Mistkerl sein oder bei der nächsten Gelegenheit seine Mutter erst anbrüllen, um sie dann wieder anzurufen, wenn das Klo verstopft ist. Die erste Staffel von „Special – Ein besonderes Leben“ kann mühelos in gerade mal zwei Stunden weggebingt werden, ohne dass man sich danach leer fühlt. Das ist Entertainment, aber in nachhaltig. Bloß unbedingt daran denken: Nur im Original macht die Serie auch wirklich Laune.

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